Die Freiheit lässt sich niemals verteidigen, wenn man mit einer Distanzierung beginnt

Compact-Debatte: Anwalt Ralf Ludwig und das alte Trauma der RAF-Anwälte

von Alexander Wallasch (Kommentare: 13)

Ralf Ludwig schreibt: „Pressefreiheit kämpft nicht für die Inhalte von Compact, sondern für das Recht, sie äußern zu dürfen.“© Quelle: Pixabay / Saurabhsinha

An einem Beitrag auf Alexander-Wallasch.de entzündete sich heute eine Debatte, die mich überrascht hat. Gestern fragte ich in Richtung der Anwälte von Jürgen Elsässer und der das Verbot kritisierenden Kollegen von den Neuen Medien:

„Warum ist es für die glorreichen Verteidiger der Meinungs- und Pressefreiheit so wichtig zu erwähnen, dass man den Verleger Jürgen Elsässer als Typ und seine Compact-Produkte persönlich überhaupt nicht schätzt?“

Mir war nämlich aufgefallen, dass, ganz gleich, wer sich gegen Nancy Faesers Verbot von Compact in Stellung brachte, immer automatisch auch bemüht war, zu erwähnen, dass er selbst natürlich rein gar nichts von Compact und seinem Verleger hält.

Mein Argumentation dagegen:

„Die Freiheit lässt sich niemals verteidigen, wenn man mit einer Distanzierung beginnt.“

Und ich schrieb explizit, dass in der aktuellen Situation „niemand auch nur ein Sterbenswörtchen von mir erfahren wird, wie ich zu Elsässer und seinen Produkten stehe“.

Der Grund ist ganz einfach: Jede kritische Bemerkung – so man Kritik an Compact/Elsässer übt – stände automatisch unter Verdacht, nur geäußert worden zu sein, um sich ein Alibi zu verschaffen, sich überhaupt gegen das Verbot zu stellen.

Ich schrieb:

„Alles andere kooperiert zwangsläufig mit der Verbotsverfügung, mit Nancy Faeser.“

Anwalt Ralf Ludwig – ein durchaus mutiger, verdienter Corona-Maßnahmen- und Impfkritiker und heute einer der Verteidiger von Jürgen Elsässer – sah das alles ganz anders und eröffnete eine Debatte auf Telegram, die ich im Folgenden ungekürzt abbilde.

Aber zuvor alles Gute zum Geburtstag an Ralf Ludwig, der heute 52 Jahre alt wird.

Ludwig schreibt also:

Hier muss ich entschieden widersprechen – Alexander Wallasch ist der Auffassung, es sei jetzt "der falscheste Zeitpunkt, eine Verteidigung der Pressefreiheit mit der Schutzbehauptung zu verbinden, man sei definitiv kein Freund von Elsässer und seinen Produkten".

Das Gegenteil ist aus meiner Sicht der Fall. Die Pressefreiheit, die Meinungsfreiheit und die Versammlungsfreiheit beginnen überhaupt erst an dem Punkt, an dem wir uns als Gesellschaft dafür einsetzen, dass sie auch selbstverständlich da wirken, wo wir die geäußerten Inhalte ablehnen oder sogar argumentativ auf das Schärfste bekämpfen.

Gerade diejenigen, die Compact und seine Inhalte als fragwürdig, geschmacklos, verabscheuenswürdig, rückwärtsgewandt, verschwörungstheoretisch oder was auch immer ansehen, sind jetzt gefordert, alles dafür zu tun, dass die Auseinandersetzungen über diese Positionen in einer politischen Arena stattfinden.

Pressefreiheit kämpft nicht für die Inhalte von Compact, sondern für das Recht sie äußern zu dürfen. Für das Recht in einer zensurfreien Gesellschaft zu leben.

Ich brauche keine Frau Faeser und keinen Herrn Haldenwang, um mir meine Meinung zu bilden. Ich kann selbst entscheiden, ob und wie ich zu den Inhalten stehe.

Mich muss niemand vor irgendwelchen Meinungen schützen. Aber - lieber Alexander Wallasch - ich kann und darf mich umgekehrt für das Äußerungsrecht einsetzen, auch wenn ich die Äußerungen rundweg ablehne. Das nenne ich Freiheit.

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Danke an Ralf Ludwig. Aber dazu stellen sich mir mehrere Fragen:

Warum soll überhaupt jemand die persönliche Haltung eines Anwalts oder eines Journalisten erfahren, der sich gegen die Verbotsentscheidung von Frau Faeser richtet?

Ich halte diese Meinungen schlicht für irrrelevant, wenn die Frage nach einer Rechtmäßigkeit des Verbots verhandelt wird. Aber noch viel wichtiger: Wie soll man hinreichend ausschließen, dass eine mit der Verteidigung der Pressefreiheit einhergehende Distanzierung von Compact und Elsässer – und es machen fast alle, die damit befasst sind – nicht als vorauseilende Abbitte, als Greenwashing verstanden wird?

50 Jahre zurück: Viele kritische Anwälte, welche die RAF oder ihre Vorläufer verteidigt haben, hatten ein massives Problem: Ihnen wurde vom Staat immer wieder eine zu große Nähe zu ihren damaligen Mandanten unterstellt. Und zu Recht! Anwalt Mahler etwa gehörte sogar zum Gründungspersonal der RAF.

Wenn es dergleichen bei ihnen gab, dann hatten die kritischen Anwälte spätestens hier ihre Unschuld verloren. Die Frage ist nur, ob die Antwort darin bestehen kann, sich pro forma von der Haltung der Mandanten und von ihren Produkten zu distanzieren und die persönliche Haltung hier ins Spiel zu bringen, die aber grundsätzlich niemanden interessiert. Und im Verfahren auch niemanden zu interessieren hat.

Im Idealfalle verbirgt der Jurist nämlich seine eigene Sicht der Dinge und kümmert sich ausschließlich um seine Verteidigungsaufgaben. Um was auch sonst? Denn wenn er sich inhaltlich distanziert, dann müsste er von Fall zu Fall auch inhaltlich explizit zustimmen. Aber so etwas findet nicht statt! Ausschließlich in der Distanzierung. Und das nennt man Greenwashing.

Und dieses Greenwashing kooperiert zwangsläufig mit der Verbotsverfügung von Nancy Faeser. Journalisten und Anwälte sollten auf solche persönlichen Stellungen verzichten und einfach ihre Arbeit machen. NACH einem Prozess/ einer Entscheidung bleibt genug Zeit, Stellung zu beziehen. Wenn man unbedingt der Meinung ist, dass die Welt an der eigenen Meinung so ein gesteigertes Interesse hat.

Ralf Ludwig hat jetzt einen weiteren Beitrag zur Debatte via Telegramm veröffentlicht:


Ein Verlegerverband äußert sich zum vorläufigen COMPACT-Verbot:

Der Verband der Zeitschriftenverleger (MVFP) rügt das Verbot des rechtsextremen Magazins „Compact“. Für dessen Inhalte hege man keine Sympathien, doch das Verbot über das Vereinsgesetz sei „rechtlich zweifelhaft“.

Quelle:
https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/verlegerverband-mvfp-ruegt-compact-verbot-19864884.html

Der Journalist Alexander Wallasch kritisiert hier die regelmäßigen Disclaimer und fragt, warum sich Medienvertreter und Anwälte zunächst distanzieren, um dann die staatlichen Maßnahmen zu kritisieren.

Aus Sicht von Wallasch zeigt diese rituelle Distanzierung möglicherweise bereits ein tiefergehendes Demokratiedefizit oder ein mangelndes Demokratieselbstbewusstsein des Äußernden auf.

Denn wer demokratische und rechtsstaatliche Freiheitswerte in sich trägt, braucht sich nicht der intoleranten und inhumanen Zustimmung der Mehrheitsgesellschaft zu vergewissern, um die zivilisatorisch fortgeschrittenste Position als Selbstverständlichkeit zu äußern.

Die Würde des Menschen ist unantastbar besagt das Grundgesetz an erster Stelle. Das Grundgesetz enthält auch keinen Disclaimer. Warum? Weil es selbstverständlich für alle gilt.

In diesem Sinne bin auch ich hier in meine eigene Denkfalle gelaufen.

Selbstverständlichkeiten heißen so, weil sie aus sich heraus selbst verständlich sind.
Wer die Freiheit achtet, sollte über die Freiheit sprechen und nicht begründen müssen oder wollen, warum er sie verteidigt.

 

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