Was ich mir dann aus dem Netz zusammenpuzzelte und was mich erstaunte, waren die Lebensumstände eines Familienvaters mit Villa am Meer, wie sie schöner kaum sein könnte: Auf grüner Wiese stehen einladend weißlackierte Liegestühle mit Blick aufs glitzernde Wasser. Auch eine Bilderbuchgroßmutter ist zu sehen, daneben eine nette Frau und ein lächelndes Kind und im Hintergrund besagte wohl schon über einhundert Jahre alte gepflegte Villa mit Walmdach.
Wer so wohnt, dachte ich, der hat es geschafft, der muss im Leben ein paar Weichen in die richtige Richtung gestellt haben. Solche Orte finden sich sonst nur noch auf Postkarten oder in Kaffee-Werbungen der 1970er Jahre.
Was mich hier nachhaltig irritierte: Besagte Traumvilla steht mitten im Habeckland. Hier war der amtierende Bundeswirtschaftsminister einmal stellvertretender Ministerpräsident, hier ist er aufgewachsen, die Menschen hier formten auch sein Weltbild und seine Art zu leben.
Aber die Entfernung zwischen dem klugen Autor und Robert Habeck könnten kaum größer sein. Oder ist da doch eine Nähe vorhanden, die ich nicht erkenne? Erlauben die gleichen Lebensumstände solche gegenläufigen Entwicklungen? Ich kann es mir nicht vorstellen.
Kommen wir zum Inhalt dessen, was mir der Autor so ausführlich schrieb: Ein düsteres Bild der Gegenwart und ein noch düsterer Blick in die Zukunft. Aber wie kann so ein dunkles Weltbild in so einem Idyll entstehen, wo man am Samstagmorgen sein Brötchen aufschneidet, die gute Butter verstreicht und ein warmes Ei darüber löffelt, um dann vielleicht spielerisch zu fluchen, wenn ein wenig Eigelb beim Zubeißen seitlich an den Fingern vorbeirinnt?
Ich konnte nicht widerstehen und rief die angefügte Telefonnummer an. Das Gespräch zog sich hin, keiner mochte auflegen, beide hatten immer noch eine Idee, was noch zu erzählen sei. Schnell entstand ein großes Einvernehmen, welches meine Verwunderung noch verstärkte.
Unsere Lebensumstände sind sicher ganz verschieden, in der Herkunft unterscheiden wir uns ebenfalls. Aber dennoch war da eine Gemeinsamkeit, die das Gespräch sehr angenehm machte. War das die Art und Weise, wie wir auf die Dinge schauen, wie wir die Gegenwart erleben und Zukunft denken?
Rein materiell hat der Mann viel zu verlieren, dachte ich sofort. Also muss es etwas geben, das er mehr fürchtet, als Nachbarn, die ihn nicht einladen, Freunde in den sozialen Netzwerken, die ihn entfreunden und blockieren, Gespräche die verstummen, wenn er den Raum betritt und Geschäftspartner, die keine mehr sein wollen, Kunden, die ausbleiben und Aufträge, die storniert werden.
Aber ängstlich klang nicht, was er mir nach und nach erzählte. Eher so, als gäbe es da einen unverrückbaren moralischen Kompass, eine Feinjustierung, die durch nichts zu erschüttern oder zu verunsichern ist. Ich kanns nicht präziser benennen, als mit dem Begriff Ehrlichkeit. Ausgerechnet Wikipedia hat eine schöne Definition von Ehrlichkeit, die so geht: „Die Ehre (Ehrenhaftigkeit) als persönliches Attribut kann als Ergebnis der Ehrlichkeit (ehrlichen Verhaltens) angesehen werden.“
Was ich daraus gelernt habe: Sich über die bestehenden Verhältnisse zu empören, wird nicht zwangsläufig von persönlichen Besitzverhältnissen diktiert. Auch das ist eine Lehre aus den Corona-Jahren.
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Das gilt übrigens auch für die traditionelle politische Links-Rechts-Navigation: Wer im August 2020 in Berlin dabei war, als Michael Ballweg hunderttausend Menschen für die Grundrechte auf die Straße brachte, da waren solche Teilnehmer deutlich in der Überzahl, die man ohne zu zögern dem linken Spektrum zuordnete.
Arm oder Reich spielte ebenfalls keine Rolle. Vielleicht ist das eine gewagte These, aber ich glaube, damals formte sich eine Bewegung aus Leuten, die ein starkes Gespür für Unrecht haben. Oder sogar für die Vorläufer kommenden Unrechts.
Aber was eint diese Menschen konkret? Ich glaube, eine Antwort gefunden zu haben in einer Reihe von Fremdscham-Momenten, ausgelöst von Protagonisten des Corona-Regimes wie dem gescheiterten CDU-Kandidaten Armin Laschet, der sich gerade reinwaschen will mit der Forderung einer Corona-Kommission und der sich gegenüber der Bildzeitung allen Ernstes als Maßnahmen-„Lockerer“ verkaufen wollte.
Aber was unterscheidet nun die einen von den anderen? Was ist es, dass die einen schwer belastet und andere keinen Deut interessiert? Warum riskiert einer wie Sucharit Bhakdi seinen exzellenten Ruf, warum opfert er alles, was er sich in Jahrzehnten aufgebaut hat? Und warum leisten Figuren wie Dieter Nuhr Abbitte und warum bleiben Kollegen wie Lisa Fitz und Uwe Steimle standhaft?
Eine der naheliegendsten Antworten hat fast etwas enttäuschend Banales: Es ist eine Charakterfrage. Und es hat sicher auch etwas mit einer Qualität der persönlichen Vorausschau zu tun.
Der Autor, der mir einen Text schickte, könnte seinen Kopf in den Sand stecken, sich in seiner Villa verschanzen und eine goldgelbe Semmel essen. Aber es ist ihm einfach unerträglich zu wissen, dass sich um ihn herum eine Welt neu aufstellt, deren Bedrohlichkeiten er materiell womöglich als einer der letzten zu spüren bekäme.
Aber darum geht es ihm nicht. Etwas ist in ihm angelegt, das man als Frühwarnsystem bezeichnen könnte. Die Corona-Pandemie hat aufgezeigt, wie wichtig diese sensiblen Seismografen des Bösen sind. Ganz gleich, ob diese nun in einer Villa oder einer Etagenwohnung aufgestellt sind.
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Kommentar von Thomas K.
In der modernen Wissenschaft wird Charakter auch als „emotionale Intelligenz“ bezeichnet (Wiki), also die Fähigkeit zur Empathie und Selbstkontrolle.
Bei Hundewelpen gehört es zur „Früherziehung“ (bei Menschen eigentlich auch) eine Frusttolleranz auszubilden, also die Fähigkeit, Frust ertragen zu können. Eine hohe Frusttolleranz macht unabhängig von einer schnellen Befriedigung seiner Bedürfnisse und somit auch resistenter gegen Versuchungen, wie z.Bsp. Bestechungen.
Empathie, das habe ich an meinen Sohn erfahren dürfen, ist zum Glück auch erlernbar. Er zeigte in seiner Kindheit erschreckend wenig Empathie. Wir hatten viel darüber recherchiert und erfahren, dass Empathie kein reines genetisch vorgegebenes Merkmal ist, sondern glücklicherweise (nach-/aus-) gebildet werden kann, was wir dann auch gefördert hatten.
Eine Gesellschaft, die „… nicht korrumpierbar“ ist, halte ich somit für durchaus erreichbar.
Die Ausbildung dieser beiden Charaktereigenschaften, Empathie und Selbstkontrolle (Erhöhung der Frusttolleranz) müssten nur oberstes Ziel der Ausbildung unserer Kinder und Jugend sein.
Leider zeigen die „Leitfiguren“ das Gegenteil. „Erfolg“ ist nur noch die maximierte Anhäufung von Dingen und nach diesen Dingen, soll unter allen Umständen, mit allen Mitteln gestrebt werden.
Die religiösen Werte, werden (vielleicht bewusst) diffamiert und abgeschafft. Die Gesellschaft wird jeglicher moralischer Instanzen beraubt. Kirche, Familie, bedingungslose Freundschaft (in guten und schlechten Zeiten) wird abgeschafft und für, in einer modernen Gesellschaft, unnötig gebrandmarkt.
Alles fängt mit der Erziehung unserer Kinder und Jugend an, mit der Entwicklung von Empathie und Selbstkontrolle, sowie der Vermittlung ethischer Rahmen.
Es fängst in den Schulen an. Schaffen wir das, ist eine menschliche Gesellschaft möglich.
Im Krieg erobert man strategisch wichtige Ressourcen. Energieversorgung, Versorgungswege usw. Für eine menschliche Gesellschaft, benötigen wir die Schulen, Familien und die Rückeroberung oder Auflösung unfreier Medien.
Dann müsste eine, gegen korrupte Versuchungen standhafte Gesellschaft möglich sein. Es wären nur noch einzelne, die den Versuchungen erliegen würden und es gäbe eine Breite Maße, die so etwas ächtet.
So zumindest meine Theorie.
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Kommentar von akimo
Bitte herzlichste Grüße an diesen Leser!!
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Kommentar von peter struwwel
"... nicht korrumpierbar". Eine Welt, werter Herr Wallasch, wie sie in Ihrem Titel zum
Ausdruck kommt, wäre zu schön. Sie wird aber nach meiner festen Überzeugung nie
erreichbar sein. Nichts ist so stark der "Versuchung" ausgesetzt, und dieser auch immer
wieder so "lustvoll" und mit "Gewinnn" nachgegeben, wie gerade die Phänomene Moral
und Charakter. Auch die Ampelregierung, in ihrem Bemühen, den deutschen Weg in
den Orkus zu pflastern, hat ... Charakter, wenn auch nicht den, der üblicherweise in der
Umgangssprache mit diesem Begriff in Verbindung gebracht wird. Charakter ist ja auch
zunächst nichts weiter als eine Disposition, und damit weder gut noch böse. Erst im
Laufe eines Lebens prägt sich eine Bündelung dieser Eigenschaften aus. Wenn alles gut
geht, sozusagen, also im günstigsten Fall, werde ich dann so etwas wie charakterfest.
Solche Menschen ordne ich dann einem Menschen(schlag) zu, den ich den "Luther-
Charakter" nenne: "Hier stehe ich, ...". Im Extremfall werden daraus sogar Märtyrer.
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Kommentar von Brainchip
Nun - der Text eines neugierigen Journalisten ist feinsinnig geschrieben. So einfach aus der Seele heraus. Das finde ich immer sehr ansprechend!! Natürlich will der Leser dann auch den Text des "Autors" lesen. Was mir die Geschichte an Gedanken zutrug, ist doch meine alte und ureigenste Meinung, die die wenigsten verstehen oder begreifen. Wenn ich erfolgreich war im Leben, es sozusagen geschaffte habe, wie dieser "Autor" anscheinend, dann muss derjenige sich schnell klar werden, ob er tatsächlich in Deutschland bleiben will.
Sicher hat "der Mann viel zu verlieren". Ist es das wert? Nur weil man sich "als Deutscher fühlt"? Oder es seine "Heimat" ist? Die Welt da draussen ist so schön, da gibt es unzählige Länder, wo man freier leben kann, weniger Steuern bezahlt und wo auch schöneres Wetter ist.
Wir wissen alle nicht, was noch passiert, doch wenn man sich Wahlumfragen anschaut, hat die CDU 30% der Stimmen und wird mit den Grünen eine Koalition gründen wollen. Das ist genauso der gleiche Müll, wie man jetzt in Deutschland, nur der Kanzler ist ein anderer, einer der von BlackRock protegiert wird.
Wir kennen unzählige Top-Leute aus allen Herren Länder (sprich ganze Welt) hier in der Schweiz, Forscher, Ärzte, Pharma-Wissenschaftler, Manager usw. Die haben hier eine "neue Heimat" gefunden, wie ich auch.
Deswegen kann ich jedem Erfolgreichen raten, sein Kapital zu sichern, nie in Deutschland lassen. Ich selbst habe alles verkauft, Haus und Hof, nur weg wollte ich. Und ich habe es schon 1994 getan. Das war mein grosses Lebensglück. Der "Autor" des unbekannten Textes wird sich Gedanken machen müssen. Was hat es einen Sinn, wenn man sein ganzes Leben erfolgreich gewesen ist, und dann kommen so schreckliche Sozialisten daher, und nehmen dir alles weg?
Politik ist das schmutzigeste Geschäft der Welt. Und die Mächtigen hängen wie Kletten aneinander und halten wie eine Mafia zusammen, weil sie selber davon profitieren. Und bei Sozialisten ist es immer so gewesen, dass der kleine Bürger der Dumme ist. Die jüngste Geschichte hat es gezeigt, bei Hitler, bei Honecker, bei Merkel und Scholz... immer wieder.
Nur Frieden und Freiheit geben dem Leben einen Sinn. Und das findet heute keiner mehr in Deutschland.
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Kommentar von Torsten Kandziora
Wirklich toll geschrieben. Jetzt warte ich sehr gespannt auf den Text des Lesers mit Charakter und schönen Haus am Meer. Dem "düsterem" Blick auf Gegenwart und Zukunft.
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Kommentar von Exmalico
Lieber Herr Wallasch, nachdem Sie uns alle nun so neugierig darauf gemacht haben, fehlt nur noch der Text Ihres Lesers (es sei denn, er möchte den nicht veröffentlicht sehen?)... :-) Übrigens ist ein solches "Frühwarnsystem" (oder auch einfach die besonderen "Antennen" hochsensibler Menschen) oft eine Bürde. Wenn man frühzeitig vor bestimmten Entwicklungen gewarnt hat, gibt es aus dem Freundeskreis keinen schlimmeren Kommentar dazu als "Du hattest leider damals völlig recht".
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Kommentar von Ronald
Charakter, entweder man hat ihn oder man hat ihn nicht.
Kaufen kann man ihn nicht.
Und das ist gut so.
Kurzer Schwenk, Fakt ist, MDR 27.3.2023, die Krankenhäuser waren überlastet, es wird weiter gelogen, die Moderatoren nehmen es ohne Widerspruch hin….
Frau Dr. Heide Richter-Airijoki, fürchterlich, Lügen ohne Ende!!!
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Kommentar von Holger
@Christian: Es gibt zu der Frage ein ganzes Buch: "Säen bei Nacht" von Marita Lanfer.
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Kommentar von Christian
Danke für die guten analytischen Gedanken!
Auch mich bewegt die Frage, was ist im Lebenslauf der Selbstdenker zu finden, das sie zu einem hat werden lassen.