Für Schulen: Neue Demokratie-App gegen Verschwörungs­theorien

Betreutes Lesen oder Demokratie­bildung?

von Alexander Wallasch (Kommentare: 1)

Deutsche Schulen sollen jetzt mit einer App experimentieren, die Kinder immun macht gegen Verschwörungstheorien. So startete jetzt die Einführung der Buzzard App an Schulen beispielsweise im Kreis Birkenfeld. Ziel sei es, Filterblasen aufzubrechen und Verschwörungs­theorien zu entlarven berichtete u.a. der Wochenspiegel über diese Aktion.

Was es darüber jetzt schon zu hören gibt, klingt einerseits vielversprechend aber leider auch grotesk. Dieser Widerspruch hat Gründe: Tatsächlich wäre es wünschenswert, wenn schon Schüler erleben dürften, dass es Debattenbeiträge zu den wichtigen Fragen unserer Zeit gibt, solche, die ihnen in vielen Altmedien und im öffentlich-rechtlichen Fernsehen vorenthalten werden. Denn so beschreibt sich Buzzard selbst: „Die App zeigt täglich verschiedene Standpunkte auf aktuelle Themen aus 1800 Zeitungen, Magazinen, Social-Media- und Web-Blogs vom ganzen Meinungsspektrum im Überblick.“ Klingt doch toll und im positiven Sinne vielfältig.

Fragwürdig ist hier allerdings, warum man so etwas explizit jungen Menschen erzählen muss, sie sind es doch, die sich seit Jahren und immer öfter ihre eigenen Kanäle suchen, um eben jene Vielfalt zu bekommen, die über den begrenzten Medienkonsum ihrer Eltern und Großeltern, also ihrer Vorgängergeneration hinwegschaut. Eigentlich wäre so eine App doch viel notweniger bzw. sinnvoller in der Alterskohorte der – sagen wir mal – 35- bis 60-Jährigen.

Aber der Pferdefuß kommt noch: Die verschiedenen Standpunkte werden in dieser App „journalistisch“ eingeordnet. Und dank dieser journalistischen Einordnung sollen die Kinder nun lernen „ihre eigenen Filterblasen aufzubrechen, Verschwörungstheorien zu entlarven und Verständnis zu entwickeln für die Motive von Andersdenkenden.“

Das ist mindestens merkwürdig von den jungen Machern der App und ein wenig unverschämt gegenüber den Probanden: Journalisten (zu denen wir gleich noch kommen) vorwiegend aus einem bestimmten Habitat, verteidigen ihre Monopolstellung in den Alt-Medien und im öffentlich-rechtlichen Rundfunk gegen echte Alternativen mit dem Argument, man wolle so Alternativen aufzeigen?

Die von der Jugend verlassen Medien (nur noch ca. acht Prozent lesen diese Alt-Medien-Blätter oder ihre Online-Auftritte) stellen auf diese Weise den Kindern und Jugendlichen über den für diese Schüler verpflichtenden Schulunterricht nach. Lerneffekt hier allenfalls: Ist das schon Nötigung?

Also eher ein schulisches Jura-Seminar.

Bis vor kurzem (möglicherweise heute noch?) mussten Eltern die Teilnahme ihrer Kinder am Sexualunterricht per Unterschrift bestätigen, wird hier eine solche Unterschrift nicht verlangt.  Oder können die Eltern diese Medien-App-Arbeit an ihren Kindern ablehnen? Sie sollten zumindest darüber nachdenken.

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Die Buzzard App, der Online-Auftritt des als Startup vorgestellten Unternehmens, führt eine .org-Adresse. In der Selbstdarstellung heißt es, man hätte 1500+ Mitglieder, 15+ Team-Mitglieder und 7 journalistische Beiräte. Ausführlicher steht dort:

„Buzzard ist eine Community aus Menschen, denen der demokratische Diskurs am Herzen liegt. Wies sind 1500+Mitglieder, die dieses Projekt finanzieren und als unabhängiges und werbefreies Online-Medium möglich machen. Werde Teil der engagierten Community.“

Ein ihre politische Arbeit am Schüler begleitender Wertekanon wird online mit angefügt. Und schnell wird auch hier klar, warum sich schon die Selbstdarstellung liest, wie aus dem Protokollpapier einer merkwürdig einseitigen Stuhlkreis-Sitzung entnommen. Der angeblich eine „Perspektivenvielfalt“ garantierende „Journalistische Beirat“ beispielsweise, der die Quellen auswählt und die Kriterien aufstellt, besteht aus einer ehemaligen Redakteurin der Süddeutschen Zeitung, einem ehemaligem Springer/BamS Mitarbeiter, ein Mitarbeiter eines Crowdfunding-Online Magazins dem die NZZ gerade bescheinigt hat, sie befänden sich bereits in Gefahr in einer Blase (Bubble) zu landen, samt Beiträgen, die sich so lesen und so aufgemacht sind, als wollten sie die bessere Seite dieses so verunglückten Ressorts Z der ZEIT sein.

Ebenfalls darf ein weiterer freier Autor der Süddeutschen und des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks den Beirat ergänzen, der zuletzt nach Medienberichten aus Protest gegen Gabor Steingardt Media Pioneer verlassen hat, wo sich wiederum gerade Thomas Gottschalk eingekauft hat – klingt alles vielfältig, ist aber in etwa so vielfältig, wie das Salatbuffet an einer Autobahnraststätte – ach so: einer der Gründer von TheBuzzard ist ebenfalls Redakteur der Süddeutschen gewesen. Na prima.

Die Macher der App für Schulen betonen, dass ganz oben bei ihrer Auswahl „auf dem ersten Stapel“ Medien liegen, welche die „Experten“ für Vielfalt vornehmlich aus dem Dunstkreis der Süddeutschen als Medien „mit großem Grundvertrauen für eine fundierte Meinungsbildung empfehlen.“

Allein in diesem Satz ist das Dilemma genannt, das diesem grundsätzlich interessanten Projekt innewohnt. Warum? Weil es diese Alt-Medien waren, die erst dafür gesorgt haben, dass die Nachrichten-, die Meinungs- und Informationsvielfalt so in Schieflage gekommen ist.

Oben auf diesem „ersten Stapel“ liegen dann allen Ernstes „Deutschlandfunk, Zeit, FAZ“. Und wie zu vermuten war, gibt es dann zwei weitere Stapel, die Stapel der Schmuddelkinder aus Sicht der Ex-Redakteure der Stapel-1-Süddeutschen. Das ist leider nicht hilfreich für eine Schule der Demokratie, einer Demokratie, die in einem Diskurs eben keine Zwei- oder gar Dreiklassengesellschaft künstlich konstruieren sollte bzw. im Sinne der Regierungspolitik Medienstimmen prädestiniert und Regierungskritische diskreditiert, denn nichts anders passiert hier in dieser quasi öffentlich-rechtlichen App.

Kriterien für Beiträge werden genannt: Diese sollen „angenehm zu lesen“ sein. Steht da wirklich. Die Argumente sollen gut begründet sein. Aber wer will das bei Buzzard beurteilen können? Klar, man spricht sich auch gegen Hassrede aus. Und die ausgewählten Beiträge sollen einen „Erkenntnisgewinn“ liefern, heißt es und „Zusammenhänge differenziert darstellen“.

Und damit sich die private App auch schnell verbreitet, erhalten Lehrer und Schüler von „Gymnasien und Gesamtschulen“ die App als „kostenlosen Zugang für das gesamte Schuljahr 2020/21“ in Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg, Sachsen und Thüringen.“ Für die anderen Bundesländer sucht man derzeit noch Schulpartner, heißt, man hat in den genannten Ländern welche gefunden. Lehrer an drei ausgewählten Schulen werden zudem „intensiv begleitet und erhalten Anleitungen und Lehrbeispiele für den Einsatz von Buzzard im Gemeinschaftskunde- und Politikunterricht.“

Das Ziel des Unternehmens wird ebenfalls genannt: „Wer die Gesellschaft verändern möchte, muss sich kritisch, unabhängig und konstruktiv mit anderen Meinungen auseinandersetzen. Die Jugend ist unsere Zukunft.“ Jugend, Zukunft? Ein Slogan, der in zwei deutschen Diktaturen Generationen vergiftet oder zerstört hat.

Aber viel richtiger ist doch: Wer die Errungenschaften einer westlichen demokratischen Gesellschaft erhalten will, sollte alles andere tun, als schon Kindern davon überzeugen zu wollen, dass eine Haltung wertvoller sei, als die andere und letztlich die Haltung der Bundeskanzlerin via Stapel-eins-Medien das Nonplusultra ist.

Jetzt gibt es Stimmen, die erzählen aus der jungen Geschichte des Unternehmens, dass man anfangs durchaus gewillt war, ein ergebnisoffenes Angebot zu machen. Der Shitstorm anschließend bestimmte dann wohl die Ausgestaltung beispielsweise der aggressiv zusammengeschnittenen Kurzporträts der Medien auf Stapel zwei.

Projektträger für die App in Thüringen ist das Unternehmen Kärcher. In Baden-Württemberg ist es die Changels Seebach Foundation gGmbH, in Sachsen die Medienstiftung der Sparkasse Leipzig, in Bayern die imbus AG und in Brandenburg die Denkmal Invest Brandenburg GmbH & Villa Krüger KG.

Eine zentrale Grafik in der Präsentation zeigt leider die tendenziöse Vorgehensweise der App an. Da wird auf drei abgebildeten Handys die Vielfalt der Medien vorgestellt mit den Logos von genau sechs Zeitungen: taz, Zeit, Focus, Bild, Süddeutsche Zeitung und Frankfurter Allgemeine. Nun soll allerdings eine bestimmte Haltung zu einem Thema nur einmal stattfinden. Worauf hofft man dabei? Auf eine Diskrepanz in der Haltung zwischen Süddeutsche und taz? Will man einen Disput für Kinder deutlich machen zwischen Bild und Focus? Zwischen den ja so viel wertvolleren Medien innerhalb Stapel eins? Das ist 2021 nicht nur gewagt, sondern schon lächerlich.

Noch deutlicher wird es, wo es um die freie Meiungsbildung geht: Die Schüler und Lehrer müssen es nicht einmal selbst machen: „Die Quintessenz der Perspektiven fassen wir für Dich zusammen, recherchieren, wie Autor und Medien politisch einzuordnen sind, und verlinken den Originalbeitrag für dich zum selber Lesen.“ Aber was soll das sein? Betreutes Lesen? Muss man das so nennen?

Wir fragen Dario Nassal, einen der Macher der App. Im Gespräch verbreitet der Gründer einen positiven Optimismus, noch die schärfste Kritik findet bei ihm offene Ohren, als wäre er Masochist oder so etwas. Im Ergebnis allerdings darf man seine App, so wie sie von ihm selbst präsentiert wird ebenso, wie die Zusammensetzung derer, die hier „Quintessenzen“ schreiben in der Form jedenfalls als nicht hilfreich bezeichnen. Für das Unternehmen, für die Schüler und also auch für das ursprünglich sogar irgendwie respektable Ziel dieses Startups.

Wir lassen uns noch die den Artikeln zugeordneten Autoren und Medienporträts zusenden. Mehr Ressentiments und die Weiterverbreitung von Diffamierungen schafft nicht einmal Wikipedia, hier besteht nicht nur Nachbesserungsbedarf, so etwas darf keine Minute lang an keiner deutschen Schule verbreitet werden – es ist in der Form demokratiefeindlich.

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