Eine neue Friedhofsordnung radiert Erinnerungen aus den Köpfen der Hinterbliebenen

Auf dem Soldatenfriedhof Hürtgenwald dürfen keine Kränze und Blumen mehr abgelegt werden

von Alexander Wallasch (Kommentare: 16)

„Auf den Kriegsgräberstätten ist (es) nicht gestattet, Kränze oder Blumen, Vasen oder andere Zeichen der Trauerbekundung an den Hochkreuzen, den Gedenksteinen oder dem Sarkophag in Vossenack niederzulegen.“© Quelle: Dr. Stjerna

Die für Kriegsgräber zuständige, CDU-geführte Verwaltung des Kreises Düren hat es im September 2022 verboten, in Hürtgenwald "Kränze oder Blumen, Vasen oder andere Zeichen der Trauerbekundung" niederzulegen, Verstöße werden als Ordnungswidrigkeit geahndet.

Hürtgenwald im Kreis Düren ist ein düsterer Ort. Jedenfalls dann, wenn man sich mit einer der schwersten Konfrontationen des Zweiten Weltkrieges auf deutschem Boden auseinandersetzt.

Für Amerikaner, die sich noch mit dem Zweiten Weltkrieg befassen, ist „Hürtgenwald“ heute Synonym für eine der verlustreichsten Schlachten seit Gettysburg. Autoren wie Ernest Hemingway begleiteten die Alliierten als Kriegsreporter, seine grausigen Erlebnisse fanden so, wie auch jene von J.D. Salinger, ihren Weg in die Weltliteratur.
In den Nachkriegsjahrzehnten kamen immer wieder US-Veteranen nach Hürtgenwald, um ihrer gefallenen Kameraden zu gedenken. Auch die Grabstellen deutscher Soldaten wurden auf diesem Wege besucht.

Was diese Veteranen, ihre Angehörigen und Nachfahren allerdings nicht machen sollten: Blumen oder Kränze mitbringen. Das ist nämlich seit September 2022 offiziell verboten bzw. braucht für die Kriegsgräberstätten Hürtgen und Vossenack eine Sondergenehmigung.

Da heißt es wörtlich:

„Auf den Kriegsgräberstätten ist insbesondere nicht gestattet:
a) Kränze oder Blumen, Vasen oder andere Zeichen der Trauerbekundung an den Hochkreuzen, den Gedenksteinen oder dem Sarkophag in Vossenack niederzulegen,
b) Uniformen, Uniformteile oder gleichartige Kleidungsstücke als Ausdruck gemeinsamer politischer Gesinnung zu tragen,
c) Äußerungen und Handlungen vorzunehmen, mit denen Glaubensbekenntnisse oder politische Gesinnungen anderer verachtet oder verunglimpft werden können (…).“

Rechtsanwalt Dr. Ingve Björn Stjerna fand das empörend und hat mit dem Mittel eines Eilantrags dagegen geklagt. Mit Schreiben von gestern wurde dieser Eilantrag zurückgewiesen.

Dr. Stjerna schreibt dazu auf seinem Blog:

Auf den Soldatenfriedhöfen in Hürtgen und Vossenack im Kreis Düren ruhen mehr als 5.300 Tote; vor allem solche aus der sog. „Schlacht im Hürtgenwald“, einer der längsten und verlustreichsten Schlachten des Zweiten Weltkrieges, die zwischen September 1944 und Februar 1945 in der Region bei Aachen tobte. Unter diesen Toten sind auch zahlreiche Zivilisten und ausländische Staatsangehörige, darunter vermutlich Zwangsarbeiter. Die Gräber auf diesen Friedhöfen sind sog. „Gräber der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft“ gemäß § 1 Abs. 2 des Gräbergesetzes („GräberG“). Solcher Opfer ist nach § 1 Abs. 1 GräberG „in besonderer Weise zu gedenken und für zukünftige Generationen die Erinnerung daran wachzuhalten, welche schrecklichen Folgen Krieg und Gewaltherrschaft haben. Für den Kreis Düren unter Landrat Wolfgang Spelthahn (CDU) scheint dies offenbar nicht mehr zeitgemäß zu sein. Dort erließ man zuletzt für die beiden Soldatenfriedhöfe in Hürtgen und Vossenack eine neue „Friedhofsordnung“, die es verbietet, dort „Kränze oder Blumen, Vasen oder andere Zeichen der Trauerbekundung“ niederzulegen (vgl. § 4 Ziffer 4. a) FO); Verstöße stellen Ordnungswidrigkeiten dar (vgl. § 7 FO). Die in der bisherigen „Friedhofsordnung“ besonders betonte gesetzliche Verpflichtung des Opfergedenkens aus § 1 Abs. 1 GräberG hat man in der Neufassung gestrichen.

Laut Dr. Stjerna sollen widerrechtlich auf den Friedhöfen abgelegte Blumen, Kerzen und Kränze von der Friedhofsverwaltung wiederholt entfernt und vernichtet worden sein, so auch am Volkstrauertag im November 2022.

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Der Eilantrag gegen das „Blumenverbot“ wurde von der 9. Kammer des Verwaltungsgerichts Aachen unter anderem deshalb zurückgewiesen, weil ja eine Ausnahmegenehmigung beantragt werden könne:

Angesichts der in § 4 Abs. 5 der Friedhofsordnung für die Kriegsgräberstätten Hürtgen und Vossenack vom 13. September 2022 bestehenden Möglichkeit, eine Ausnahmegenehmigung für das nach § 4 Abs. 4 lit. a grundsätzlich untersagte Niederlegen von Zeichen der Trauerbekundung zu beantragen, besteht für den Antrag kein Rechtsschutzbedürfnis. (…) Zudem vermag die Kammer keine besondere Eilbedürftigkeit und damit keinen Anordnungsgrund für das Begehren des Antragstellers erkennen.

Bedenkt man hier, dass die Überlebenden der Kriegsgeneration ihre letzten Jahre erleben und vielleicht ihren gefallenen Angehörigen ein letztes Mal mit einem Kranz oder Blumen Ehre erweisen wollen, wirkt die Einschätzung einer fehlenden „Eilbedürftigkeit“ durch das Gericht besonders zynisch.

Mit dem Ableben dieser erinnerungsstarken Generation stirbt wieder ein Stück der Erinnerungskultur, die ideologischen Planierraupen rücken nach.

Und das sogar im Wortsinne, wenn auch ein Denkmal entfernt wurde, das über Jahrzehnte an Julius Erasmus erinnerte, der es sich nach dem Krieg zur Aufgabe gemacht hatte, die gefallenen, namenlos in ihren Feldgräbern liegenden deutschen Soldaten zu bergen, sie zu registrieren und ihre Überreste der Kriegsgräberstätte zu überführen.

Anwalt Dr. Stjerna hat sich schon über viele Jahre dieses Mannes angenommen und er stellt seine gesammelten Informationen auf einer eigens angelegten Internetseite zur Verfügung.

Dr. Stjerna schreibt dort über Julius Erasmus:

1569 deutsche Gefallene hat Erasmus – meist unter Einsatz seines Lebens – im Hürtgenwald geborgen. Der Wald brannte an vielen Stellen noch und war vermint. Er hat die Daten der Gefallenen aufgeschrieben, die Toten begraben, Grablagepläne und Belegungslisten angefertigt und mit einfachen, selbst hergestellten Holzkreuzen die Gräber gekennzeichnet; von niemanden beauftragt, von niemanden angestellt, von niemanden bezahlt.

Das Denkmal für Erasmus wurde auf Veranlassung eines ehrenamtlichen Beauftragten der Kriegsgräberfürsorge entfernt. Das Verbot des Niederlegens von Blumen und Kränzen ist aus Sicht des klagenden Anwaltes auch deshalb unverständlich, weil hier auch tote Zwangsarbeiter und sogar Kinder unter der Erde liegen sollen:

Auf beiden Friedhöfen ruhen auch zahlreiche ausländische Staatsangehörige, darunter mit einiger Wahrscheinlichkeit Zwangsarbeiter, sowie zahlreiche in den Kämpfen umgekommene Zivilopfer, u. a. mehrere Kinder.

Das allerdings mag davon ablenken, dass Anwohner jetzt davon abgehalten werden, bzw. eine Sondergenehmigung vier Wochen im Voraus beantragen müssen, wollen sie ihren gefallenen Angehörigen mit Blumen und Kränzen Ehre erweisen. Da liegen junge Männer, die elend zu Tode gekommen und zunächst im Kriegsgeschehen nur notdürftig verscharrt wurden, bis sie auf die Kriegsgräberstätte umgebettet wurden.

Als der Anwalt jetzt nachfragte, ob denn die Angehörigen wenigstens schriftlich darüber informiert wurden, dass man ihren Grabschmuck zum Gartenmüll geschmissen hat, antwortete der Kreis Düren dazu mit Bescheid vom 26.Oktober 2022:

Die Angehörigen wurden durch die an den Kriegsgräberstätten aushängende Friedhofsordnung über die Nichtzulässigkeit des Anbringens von Grabschmuck informiert und müssen daher nicht zusätzlich über die Entfernung informiert werden.

Fast exakt 78 Jahre zuvor, im Oktober 1944, tobte an gleicher Stelle diese mörderische Waldschlacht, der zehntausende Soldaten auf beiden Seiten zum Opfer fielen.

Nicht einmal ein Licht darf man heute abstellen in Gedenken der Gefallenen. Aber sie leben ja noch weiter in der Erinnerung vieler Menschen, welche die Bilder ihrer Angehörigen in ihren Wohnstuben hängen haben, um an bestimmten Feier- oder Geburtstagen wieder in Gedanken beim Vater oder älteren Bruder zu sein und sich zu fragen, was denn geworden wäre aus diesen so jung abrupt beendeten Leben, wenn nur dieser grausige Krieg nicht gewesen wäre.

Es ist doch absurd, sich ein dreiviertel Jahrhundert nach der Schlacht zu sorgen, dass eventuell Kriegsverherrlicher oder Rechtsextremisten dort ihre Kränze ablegen könnten. Folgt man dieser Logik, dann soll man doch die Gedenkstätte für die gefallenen deutschen Soldaten gleich ganz einstampfen und planieren.

Hier wird Geschichte umgeschrieben. Unbedingt soll das individuelle Schicksal der deutschen Gefallenen ausradiert werden. Die Grauen des Kriegs kennen keine deutschen Opfer. Und wer seinem gefallenen Bruder, Ehemann, Vater oder Großvater Ehre erweisen will, dem werden die abgelegten Blumen vom Grab gerissen und auf den Müll geschmissen – so entsteht eine gigantische Müllhalde deutscher Geschichte.

Die Ideologen schrieben die Geschichte neu und den einheimischen Familien wird ihre Familiengeschichte verboten.

PS: Die Vertreter der örtlichen AfD sollen sich gegenüber der neuen Friedhofsordnung und dem Blumen- und Kerzenverbot enthalten haben.

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