2014 stand ich im elften Jahr als Text-Chef für ein Volkswagen-Magazin in Brot und Arbeit. Privat hatte ich gerade mein drittes Buch veröffentlicht und schrieb Reportagen, unter anderem für die linke Tageszeitung taz, in langjähriger Verbundenheit eine Kolumne für ein örtliches Stadtmagazin und regelmäßig vielgelesene Artikel für das damals populäre Debattenmagazin TheEuropean.
2014 feierte ich einen Tag nach dem 7:1-Sieg über Brasilien mit meinem Zwillingsbruder unseren 50. Geburtstag, die taz bat mich um eine Geschichte „Generation 1964“ und ich schrieb noch ziemlich bedröppelt vom Kater nach dem standesgemäßen Geburtstagsabsturz:
„Längst gehören wir und die 1,3 Millionen Fünfziger zu den größten Verlierern überhaupt. Denn wir haben möglicherweise eine Option für dauerhaftes Glück hingeschenkt wie eine bedröppelte Tippgemeinschaft nach einem ausgefüllten, aber nicht abgegebenen Sechser im Lotto. Nichts Verwertbares ist stehen geblieben, alles Glück durch die Finger geglitten und nichts haften geblieben, was man seinen Kindern und Enkeln erzählen könnte.“
Ein Jahr zuvor hatte Florian Illies seinen Mega-Bestseller „1913. Der Sommer des Jahrhunderts“ abgeliefert, über den ich ebenfalls für die taz schrieb:
„Schon wenige Monate nach 1913 begann das „Age of Extremes“ (Hobsbawm), also ein Schlachten und Morden, das große Teile Europas und seiner Kultur in zwei aufeinanderfolgenden Kriegen in Schutt und Asche legte. Die Vorkriegskunst wird so zum nachgereichten Alibi für die Künstler.“
An dieses Buch musste ich in den vergangenen Monaten oft denken, wenn es um die Frage ging, warum nach 2014 alles so furchtbar schief für Deutschland gelaufen ist. Ein besonderer Schwierigkeitsgrad war für mich, dass sich gesamtgesellschaftliche mit privaten Ereignissen vermischten.
Denn als der Abgasskandal Volkswagen erschütterte, waren meine Jobs für den Konzern vakant geworden, ich hatte zuvor über ein Jahrzehnt lang die Gläserne Manufaktur von Volkswagen in Dresden betreut, wo der Phaeton, die wuchtige Luxuslimousine des Konzerns, gefertigt wurde. Heute ist die Manufaktur der Vorzeigeort der Volkswagen-Elektromobilität.
Ich erinnere mich an ein Interview, das ich für besagtes Volkswagen-Magazin mit einem merkwürdig nervösen Verantwortlichen des Konzerns für das Werk in Chattanooga/USA führte, der berichtete, dass man bisher immer eng zusammengearbeitet habe mit amerikanischen Kontrollbehörden, dass aber seit geraumer Zeit heftig Sand im Getriebe sei. Noch wusste die Öffentlichkeit nichts von den Manipulationen, aber offenbar war diese Zusammenarbeit in Chattanooga zwischen Volkswagen und den US-Prüfinstituten ein Epizentrum des Desasters.
Hatten die Amerikaner Volkswagen hereingelegt? Ich habe die Interview-Aufzeichnung noch im Keller, vielleicht sollte ich zehn Jahre danach noch einmal hineinhören in dieses rückblickend so merkwürdige Interview, welches andeutete, dass auch die zuvor mit Volkswagen kooperierenden amerikanischen Behörden möglicherweise keine besonders faire Figur gemacht hatten.
Nach dem Ende meiner Tätigkeit für Volkswagen war ich in der komfortablen Situation, dass ich ein Jahr lang über die Runden kam. Ich konzentrierte mich jetzt ganz auf die journalistische Schreibe, die ich bisher nebenher gemacht hatte.
Heute kann ich jedem Jungjournalisten nur empfehlen, mal eine Weile in einer Werbeagentur zu arbeiten. Der Grund ist einfach: Hier wird man demütig, denn der überwiegende Anteil der Texte landet im Mülleimer. Werbekunden bekommen in der Regel eine Reihe von Alternativangeboten präsentiert und entscheiden sich dann für ihren Favoriten. Zudem werden die Texte im Laufe eines Kreativprozesses immer wieder angepasst und überarbeitet.
Vom Persönlichen zum Allgemeinen: War 2014 samt der gewonnenen Weltmeisterschaft und dem Halbfinal-Fabelsieg über Brasilien das letzte glückliche Jahr der Deutschen? Jedenfalls gemessen daran, was danach kam, lässt sich das heute durchaus behaupten. Im Herbst 2015 verantwortete Angela Merkel eine Massenzuwanderung überwiegend muslimischer junger Männer, die bis heute ungebrochen anhält.
Zur Wahrheit gehört, dass viele derjenigen, die ab 2020 vehemente Kritiker der Bundesregierung und ihrer Corona-Maßnahmen wurden, 2015 noch begeisterte Refugees-Welcome-Adepten waren und Kritiker an der Massenzuwanderung oftmals mit der gleichen Vehemenz als „Nazis“ abtaten, so, wie sie selbst zu „Nazis“ wurden, als sie sich Jahre später gegen die Regierung aufstellten.
Zurück zu Tichys Einblick. Das Portal befand sich Anfang 2015 noch in der Startphase, als ich mit Roland Tichy das erste Mal Kontakt aufnahm. Mein erster Artikel bei Roland Tichy hieß „Volkswagen und der Abgas-Skandal: Wer wußte was?“, der nächste befasste sich bereits mit Angela Merkels Syrienpolitik und trug den Titel: „Merkels Kehrtwende: Verhandlungen mit Assad“.
Damals schrieb ich:
„Jetzt wollen wir gar nicht damit anfangen, dass Assad möglicherweise durchaus reformbereit war. Der vereinte Wille des Westens ihn zu brechen hat ebenso dafür gesorgt, dass die Vorstellung eines reformwilligen Assads Artikel für Artikel, politische Verlautbarung um Verlautbarung, unisono zum großen Täuschungsmanöver des Präsidenten erklärt wurde. Die Wahrheit ist also längst unter einer unübersehbaren Zahl unterschiedlichster „embedded“-Haltungen beerdigt worden.“
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In den Folgemonaten begann dann, was uns bei Tichys Einblick regelrecht überflutete und bis heute nicht enden will. Das Portal wuchs und wuchs, das Alleinstellungsmerkmal als kritische Stimme mochte uns niemand streitig machen, mit den schnell steigenden Lesezahlen wuchsen die Angriffe. Wir hatten das Establishment geweckt, wir wurden zum gallischen Dorf. Unser Zaubertrank war das Tintenfass der Wahrhaftigkeit.
Ich weiß gar nicht, wie viele Gerichtsverfahren Roland Tichy führen musste und noch muss, um unsere Texte zu verteidigen. Und er tat es unter großem persönlichen Aufwand und Verlust. Sein Name stand über dem Portal, er wurde zum neuen Buhmann der Medien. Natürlich traf es auch jeden Einzelnen der Journalisten, die für Tichys Einblick schrieben, aber den Namensgeber eben besonders.
Der Erfolg gab uns Recht. Gemessen an den Teilungen in den sozialen Medien war ich mit meinen Texten beim vielgelesenen Portal Tichys Einblick über Jahre hinweg der meistgelesene Autor im deutschsprachigen Raum. Und das lag daran, dass wir keine Ruhe gaben. Meine ersten tausend Artikel waren schnell geschrieben und es kamen viele weitere hinzu.
Lange hatten wir quasi als Quartett in einer Art Redaktionsteam um jedes Thema gerungen. Mal galoppierte Tichy vorneweg, mal musste er unsere Empörung ausbremsen. Rückblickend sicher ebenfalls eine besondere Leistung von Roland Tichy: Es gelang dem professionellen Journalisten und Blattmacher unter persönlichem Einsatz, eine Radikalisierung von Tichys Einblick zu verhindern, die nicht wenige Portale in dieser Zeit ereilte. Und es gelang ihm, ohne dass wir ein heißes Eisen hätten liegen lassen müssen.
So ein Jubiläum ist geeignet, die großen Erfolge von Tichys Einblick noch einmal zu beleuchten. Dass es intern auch düstere Stunden gab, muss hier nicht extra erwähnt werden. Nein, der journalistische Schützengraben ist nicht bequem, die Etappe weit entfernt.
Da hat der Leithengst eine besondere Verantwortung, die unter Sperrfeuer zum seltenen Gut werden kann. Roland Tichy hat sich nie weggeduckt. Das ist sein Verdienst. Alles andere bleibt in Vegas, wie man so schön sagt. Was mich bis heute amüsiert, ist, dass mich Roland Tichy immer „Alexander“ nennt, während ich weiter „Herr Tichy“ sage. Das ist schon schrullig, aber es hat durchaus eine warmherzige Komponente und wir behalten es so bei.
10 Jahre Tichys Einblick ist ein großes Geschenk für die Leser. Ich erinnere mich auch gut an jenen Moment, als Roland Tichy die Printausgabe ankündigte, was allen Beteiligten vorkam wie eine schier unlösbare Aufgabe und dann lag die erste Ausgabe schon auf dem Tisch und in ausgewählten Geschäften im Zeitschriftenregal. Die hochwertige Aufmachung erinnerte mich an das Volkswagen-Magazin, das ich so viele Jahre für die Gläserne Manufaktur als Textchef erstellt hatte.
Anfangs war die Printausgabe von Tichys Einblick als eine Art Fanzine-Magazin gedacht und sollte überwiegend bereits online veröffentlichte, besonders erfolgreiche oder solitäre Texte abbilden. Aber längst ist es andersherum: Texte, die im Magazin erfolgreich sind – was sich am Feedback abmessen lässt – werden regelmäßig auch Online gespiegelt.
Ich staune bis heute, wie Roland Tichy das alles schafft und nebenbei noch diese langen Telefonate führen kann. Hier darf ich sicher aus dem Nähkästchen plaudern: Ich weiß nicht, ob ein Kommunikationsstrategie dahintersteckt, aber Roland Tichy beendet kaum ein Gespräch von sich aus. Er vermittelt dem Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung das Gefühl, er habe endlos viel Zeit und Lust, gerade im Moment zu telefonieren. Das kann gemessen an seinem gigantischen Aufgabenzettel allerdings nicht stimmen. Mit anderen Worten: Roland Tichy ist auch noch ein sehr guter Zuhörer, er interessiert sich auf besondere Weise für Menschen, auch, wenn sie ihm manchmal noch rätselhaft erscheinen mögen.
Und um bei meiner Geschwätzigkeit zu bleiben: Ich will noch eine kurze Geschichte aus dem Leben des Blattmachers Roland Tichy erzählen, die auf charmante Weise etwas Rührendes hat, er möge mir die Plauderlaune verzeihen:
Roland Tichy arbeitet in seinen Redaktionsstuben überwiegend mit Frauen zusammen, dieser Harem hat sich so ergeben. Und er hat mir einmal erzählt, dass diese ihm unersetzlichen Damen bisweilen eine Intensität und ein Engagement hätten, das ihn in seinen Gedanken und Planungen schon mal überfordert.
Für diese Momente habe er immer einen großen Sack Spatzenfutter auf einem Balkon im oberen Stockwerk stehen. Und dahin zieht er sich für einen Augenblick zurück und füttert seine Vögelchen, die schon auf diesen besonderen Tichy-Augenblick zu warten scheinen. Und es heißt, Roland Tichy wäre seinen Spatzen gegenüber besonders großzügig, da schüttet er mit vollen Händen aus, bis jeder Schnabel satt geworden ist, bis die Frauen unter ihm vergessen haben, dass ihr Chef überhaupt noch im Haus ist.
Und hier noch eine gute Nachricht für die Freunde, Leser und Unterstützer von Tichys Einblick: Das Jubiläum wird standesgemäß gefeiert, wer am 15. Juni 2024 dabei sein will, der kann schon jetzt Karten für sich und seine Freunde buchen.
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Kommentare
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Kommentar von Antonius Baßendowski
"Geschwätziger" Herr Wallasch,
Sie haben in Ihrer typischen sachlich humoristischen bis kratzbürstigen Art das Los freischaffender Jozrnalisten geschildert.
Danke dafür.
Übrigens, das Füttern von Vögeln ist als Nebeneffekt auch Balsam für Herz und Seele des Menschen. Es ist beruhigend und Kraft-tankend.
Danach kann man auch wieder schnatternde Gänse ertragen.
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Kommentar von Karola Peters
2015 habe ich festgestellt, dass ich 25 sehr gute Jahre in Deutschland hatte und das für ein Leben vielleicht ausreichend ist. Für diese Zeit bin ich sehr dankbar. Vorher war DDR (für mich) und nachher ist das gekommen, was jedes Jahr real und gefühlt schlimmer wird.
Ihre Artikel habe ich schon bei TE gern gelesen und habe Sie dann sozusagen bei Reitschuster und jetzt hier begleitet. Ihre Arbeit, die von TE und weiterer alternativer Medien sind so wichtig in dieser eben nicht mehr unbeschwerten Zeit. Dankeschön und bleiben Sie weiterhin so kritisch und sachlich.
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Kommentar von Nadine
Der letzte unbeschwerte Sommer war m. E. 2009. Im Frühjahr 2010 begann die unselige "Eurorettung", das erste von Angela Merkels Wahnsinnsprojekten und die idiotische Vorstellung, dieser schwere Vertrags- und Vertrauensbruch sei "alternativlos". Es war für mich das erste Warnsignal - die Gigantomanie des Vorhabens, die eiskalte Gleichgültigkeit gegenüber den Interessen des eigenen Landes, das sture Festhalten an sinnlosen Maßnahmen und vor allem die unverhohlene Ansage "Wir halten uns an Verträge und Gesetze, solange sie uns gefallen" ließen mich für die Zukunft Schlimmes befürchten. So kam es dann ja auch.
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Kommentar von Karl Georg Lempenheimer
Herr Wallasch,
Es muss einen Grund geben, warum Sie nicht mehr bei Tichy sind. Ich will darüber nicht spekulieren. Wolfgang Herles, der zum Autorenstamm gehört, hat vor längerer Zeit in einem Fernseh-Interview gesagt, dass man davon nicht leben kann. Aber kann es sein, dass Sie sich wieder dorthin zurückwünschen? Es klingt so nett.
Antwort von Alexander Wallasch
Einfach erzählt: Ich kann sagen, dass ich Tichys Einblick maßgeblich quantitativ und qualitativ geprägt habe. Meine Artikel sind in Qualität und vor allem auch Quantität bei TE sicher bis heute einmalig. Wer diese Leistung annimmt, übernimmt auch eine Verantwortung gegenüber dem Gebenden.
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Kommentar von Red Marut Jr.
Erstaunlich, was mit einem Land wie Deutschland und seiner Bevölkerung in zehn Jahren so angestellt werden kann. Wenn gewisse Interessen dies nur wollen.
Ich hoffe, dass ihr Traum vom "woken Reich" ebenfalls nach zwölf Jahren platzen wird.
Doch es werden für alle noch zwei schwere Jahre durchzustehen sein. Aber, dessen bin ich gewiss, wir werden mit dem, was sie hinterlassen, besser umzugehen wissen. Wir werden in die Hände spucken und an die Arbeit gehen.
Für unser Land, das nie das ihre war, mit dem sie nie etwas anzufangen wussten. Unsere, nicht ihre Heimat, die sie mutwillig und aus böser Absicht abzuschaffen versuchten.
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Kommentar von Eddy Nova
Schöner Artikel ...beim lesen fragte ich mich etwas abgelenkt jedoch die ganze Zeit ob das Foto von WALLASCH.de zufällig oder gezielt ausgesucht wurde ! Es paßt optimal zum Artikel.
Links Thomas Müller ...diesbezüglich nicht der point -der ist ANDRE SCHÜRRLE rechts!
*****
Der Mann beendete seine Karriere mit 29 quasi noch auf dem Höhepunkt - 2020 , mittig im Corona Wahn , die 0 Zuschauer Quote in den Stadion spielte eine Rolle ...Er spielte in London und wechselte zum Abschluß nochmals nach MOSKAU ...
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So hatte er noch einige Spiele vor Publikum ...hätte er weitergespielt hätte er sowohl in Loondon als künftig auch in MOSKAU vor leeren Rängen gespielt - Abramovich hiess der russische Chelsia London Eigner ...
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SCHÜRRLE´s zu frühes Sportlerende mit nur 29 Jahren und topfit hatte damals alle überrascht - vom Lockdown Wahnsinn bis Russia sogar in doppelter Hinsicht alles bei diesem Ende dabei !