Ohne eine deutsche Kriegsbegeisterung kann der Ukrainekrieg nicht mehr fortgeführt werden

Wir erleben gerade einen Propagandakrieg um die Herrschaft über das Denken der Bürger

von Hans-Georg Maaßen (Kommentare: 2)

In dieser Folge spricht Dr. Hans-Georg Maaßen über die Eskalation eines Krieges, über die Frage, wie es weitergehen soll in der Ukraine und über die Bedeutung von Propaganda.

Hier unser Gespräch:

Alexander Wallasch: Vorab eine Frage aus dem Maschinenraum: Burkhard Müller-Ullrichs Kontrafunk plante ein großes Event für Autoren und Sponsoren. Vierzehn Tage vor Termin storniert das Schweizer Hotel den Termin. Die Cancel Culture dehnt sich aus. Man hatte ja das Gefühl, dass die Schweiz bisher unbeschadet blieb. Aber offensichtlich nicht. Was passiert da?

Hans-Georg Maaßen: Ich kenne die Einzelheiten nicht, warum das Hotel den Vertrag mit dem Radiosender Kontrafunk überraschend stornierte. Ich persönlich bin der Auffassung, dass die politische Situation in der Schweiz, was Cancel Culture, Ausgrenzung von politisch Andersdenkenden und Woke-Ideologie angeht, nicht viel anders ist als Deutschland. Vielleicht ist manchmal der Korridor des politisch Korrekten etwas breiter als in Deutschland, aber ich bin der Auffassung, man macht sich etwas vor, wenn man glaubt, dass es in der Schweiz wesentlich anders ist als in Deutschland.

Früher war die Schweiz sicherlich anders und viel näher an Meinungsfreiheit, Medienpluralismus und Demokratie als wir. Die Schweiz hat sich aber in den letzten zwanzig Jahren sehr dem europäischen Mainstream angepasst. Und das sehen wir gerade deutlich auch an der Schweizer Haltung zum Ukrainekrieg, die nicht anders ist als die der EU-Staaten. Und wenn man sich die größeren Städte in der Schweiz anschaut – ob das nun Zürich ist oder Basel oder Bern: Die Politik, die dort gemacht wird, ist auch nicht viel anders als in Frankfurt, Düsseldorf oder in Hannover.

Es sind Linksgrüne, die dort das Sagen haben und die Städte letztendlich auch dominieren. Auf dem Land, in Appenzell, Schwyz oder Uri mag es anders sein. Aber dann kann man auch nach Meiningen und Schmalkalden fahren. Ich will damit sagen, ich sehe in der Schweiz mittlerweile eine sehr starke Angleichung an die deutschen oder an die EU-Verhältnisse.

Alexander Wallasch: Was halten Sie vom Kontrafunk-Konzept? Da kehrt jemand im Jahr 2022 wieder zum Radio zurück und ist damit sehr erfolgreich, die Sendungen haben bisweilen schon sechsstellige Zuhörerzahlen. Sind Sie Radiohörer? Ist das ein Thema für Sie?

Hans-Georg Maaßen: Ich denke, dass ich mit meinen Mediengewohnheiten kein Maßstab bin. Ich höre eher selten Radio, aber ich sehe auch fast nie fern. Allerdings rede ich oft mit Radiomachern. Das Radio hat nach wie vor noch eine Zukunft. Es hat seine Zuhörerschaft und seine Berechtigung, weil es in Teilen nicht zu ersetzen ist. Man kann an fast jedem Ort und zu jeder Zeit, ob im Auto, zuhause und neben vielen Tätigkeiten Radio hören und sich aktuell informieren, was man mit Fernsehen und Internet so nicht kann. Die Programme der vielen lokalen Radiosender und der Spartensender werden nach wie vor stark genutzt von Menschen, die sich für ihre Region oder für bestimmte Themen oder für eine bestimmte politische Ausrichtung interessieren.

Radio Kontrafunkt geht da aus meiner Sicht einen klugen Weg, wenn die Radiomacher sagen: Wir bieten unseren Zuhörern Kultur und Politik an, und zwar mit einer Professionalität und mit einem Niveau wie es früher beim Deutschlandfunk war, aber ganz ohne grüne und woke Ideologie. Viele Hörer des Deutschlandfunks waren heimatlos, nachdem der Sender immer weiter nach links bis zur Linksradikalität abgeglitten war.

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Alexander Wallasch: Wollen wir direkt in die Ukraine wechseln? Ich hatte es wieder ausgegraben: 1982 wurde eine Gaspipeline in Sibirien gesprengt. 22 Jahre später, 2004, wird bekannt, dass es der CIA war. Ein Jahr vor der gigantischen Sabotage-Aktion gab es einen russisch-deutschen Gas-Deal. Da saß Breschnew bei Schmidt auf dem Sofa und am nächsten Tag hatte man einen Vierzig-Milliarden-DM-Deal für Gaslieferungen bis 2008 eingetütet. Damals sollten Mannesmann und andere diese Leitungen bauen. Sind das nicht erstaunliche Ähnlichkeiten zu den Sabotageakten in der Ostsee 2022? Und die zweite Frage dazu: Warum gerät so etwas komplett in Vergessenheit und wird von den Medien überhaupt nicht gespielt?

Hans-Georg Maaßen: Zum ersten Punkt: Ja, sicherlich gibt es bestimmte Punkte, die ähnlich sind, aber die Gesamtzusammenhänge sind heute im Vergleich zu damals schon anders. Die USA verfügen über Geheimdienste, die operativ tätig sind und auch über die Fähigkeiten verfügen, Anschläge auf Pipelines zu begehen.

Aber das ist kein Alleinstellungsmerkmal der US-Dienste und natürlich auch kein Beweis, dass die staatsterroristischen Anschläge auf die Nord-Stream-Pipelines von ihnen durchgeführt oder veranlasst worden sind. Man muss bei den Anschlägen auf die Nord-Stream-Pipelines wie ein Kriminalist oder ein geheimdienstlicher Analyst an die Sache herangehen und sich dabei die Fragen stellen: Wer ist operativ befähigt und willens solche Anschläge durchzuführen? Wer hat ein Motiv, das zu tun? Wer war möglicherweise am Tatort und für wen sprechen noch weitere Anhaltspunkte?

Zur Beantwortung der ersten Frage wird man auch die viel früheren Anschläge auf sowjetische Pipelines heranziehen, was zur Schlussfolgerung führt, dass die amerikanischen Dienste es können und auch tun, wenn der politische Wille da ist. Für mich ist das allerdings nichts Neues. Allenfalls, dass es nochmals deutlich macht, dass sie im Zweifel keine Skrupel haben, es zu tun. Aber es ist kein Beweis dafür, dass von amerikanischer Seite der Anschlag auf die Nord-Stream-Pipelines begangen wurde.

Zur zweiten Frage: Man muss spekulieren, warum von deutschen Medien dieser Anschlag aus den 1980er Jahren nicht aufgegriffen worden ist. Sicherlich würde es vielen Bürgern klarmachen, dass nicht nur die russische Seite die notwendige Fähigkeit und Skrupellosigkeit besitzt, das zu tun. Es mag sein, dass aus politischer Rücksichtnahme gegenüber dem Bündnispartner darüber nicht berichtet wird. Viel naheliegender für mich ist aber, dass gerade die jüngeren Journalisten nicht in die Archive gehen, sondern von einem Tagesereignis zum nächsten hetzen und große Zusammenhänge und auch Puzzlesteine aus der Vergangenheit aus den Augen verlieren.

Alexander Wallasch: Meine Beobachtungen der letzten zehn, zwanzig Jahre sind, dass die Politik gern mit dieser Vergesslichkeit arbeitet, dass man nur ein paar Jahre warten muss, und alle Schandtaten sind aus dem Gedächtnis gelöscht und man kann wieder von vorne anfangen …

Hans-Georg Maaßen: Ja, das ist für die Politik von großem Vorteil. Sogar für alle, die Interessen haben, beispielsweise für Lobbygruppen, wenn über das, was vor Jahren berichtet wurde, plötzlich Stillschweigen herrscht. Aber das gilt nicht für Zielpersonen von Journalisten, die abgeschossen und politisch vernichtet werden sollen. Über diese Personen werden sämtliche Informationen gesammelt, aufbereitet und sie werden bei der richtigen Gelegenheit auch zu einem Skandal aufgebaut.

Alexander Wallasch: Wenn man heute in den Buchhandel geht, gibt es da teilweise schon eigene Selenskyj-Tische oder Regalmeter. Dennoch können sich viele Bürger kein rechtes Bild vom ukrainischen Präsidenten machen. Das gilt noch mehr jetzt, nach der Forderung an die NATO, einen Atomwaffen-Präventivschlag gegen Russland zu führen. Was ist das für ein Typ, haben Sie eine Idee von der Person Selenskyj?

Hans-Georg Maaßen: Was wir erleben, ist journalistische Ikonographie. Selenskyj ist für die Mehrzahl der deutschen Journalisten, Publizisten und Politiker der heilige Wolodymyr. Putin dagegen das genau Gegenbild, eine Art Ivan der Schreckliche, der aus den Tiefen der Hölle entstammt. Deshalb finden wir in unseren Zeitungen und in den Buchhandlungen nur Heiligenerzählungen über Selenskyj. Um ein etwas differenziertes Bild über ihn zu erhalten, muss man sich die Mühe machen, Presseberichte aus der Zeit vor dem Krieg zu lesen. Aber welcher Leser tut das schon.

Und Journalisten, die noch vor einem Jahr ein völlig anderes Bild von Selenskyj – und auch Putin – zeichneten, rechtfertigen ihre früheren Aussagen damit, dass sich beide innerhalb von Monaten oder Stunden ins völlige Gegenteil gewandelt hatten. Aus dem Saulus wurde der heilige Wolodymyr und aus dem Paulus wurde der Mephisto Putin. Viele Bürger glauben leider diesen Unsinn.

Ähnlich verhält es sich bei Präsident Biden. Sämtliche Vorwürfe und Hinweise hinsichtlich möglicher Straftaten, einer möglichen Pädophilie, seiner geschäftlichen Beziehungen zu China und zum Regime in der Ukraine werden von Medien ausgeblendet, totgeschwiegen oder verharmlost. Bürgern, die sich auf die Massenmedien verlassen, ist es kaum möglich, sich ein objektives Bild über diese Personen zu machen.

In einer Situation, in der Selenskyj, Biden und Putin immer öfter über die Gefahr eines Nuklearkrieges reden, ist es das Mindeste, was man von unseren Medien erwarten kann, dass sie mit ihrer Ikonographie aufhören und den Bürgern ermöglichen, sich ein objektives Bild über die Leute machen zu können, die einen Atomkrieg auslösen könnten.

Und dazu gehört auch, dass man den öffentlichen Vorwürfen gegen die handelnden Politiker vorurteilsfrei nachgeht: Ist es wahr, dass Selenskyj drogenabhängig ist? Gibt es Hinweise oder Beweise, dass Präsident Biden schwere Straftaten begangen hat? Allein der Gedanke, dass jemand auf den roten Knopf drücken könnte, der ein Krimineller ist und von seinem Umfeld und von Medien geschützt wird, ist für die Einschätzung der politischen Lage von Bedeutung.

Es ist wichtig, um zu verstehen, was für einen Charakter die handelnden Politiker haben und wie skrupel- und gewissenlos sie agieren können. Denn wenn wir es mit Kriminellen oder psychisch Gestörten zu tun haben – vor allem mit Kriminellen, die wissen, dass keiner ihnen irgendetwas anhaben kann, weil sie von Medien und von politischen Freunden geschützt werden –, dann muss uns einfach klar sein, dass wir uns in die Macht von Menschen begeben haben, die wegen ihrer Skrupellosigkeit nicht mehr zu kontrollieren sind.

Alexander Wallasch: Das heißt, Sie würden davon ausgehen, dass mutmaßlich Störungen bei Selenskyj vorliegen? Sie würden nicht von so einer Marionetten-Geschichte ausgehen, dass solche Leute vorgeschoben werden von ganz anderen Interessengruppen?

Hans-Georg Maaßen: Ich gehe von nichts aus, sondern ich versuche zu verstehen. Aber das eine schließt das andere nicht aus. Als Jurist spekuliere ich nicht, sondern suche nach Anhaltspunkten für einen Verdacht. Es ist natürlich naheliegend, wenn ein Schauspieler in einem ziemlich armen Land innerhalb kurzer Zeit zu einem Vermögen von mehrere 100 Millionen US Dollar gekommen ist, dass er dies nicht mit seiner Schauspielerei verdiente.

Als Staatsanwalt würde ich mir natürlich genauer anschauen, wie er zu diesem gewaltigen Vermögen gekommen ist und was er dafür als Gegenleistung erbracht hatte. Und insofern kann man nicht ausschließen, dass er eine Marionette derjenigen ist, die ihm zu diesem Vermögen verholfen haben. Aber er kann auch eine psychisch gestörte Marionette sein. In einer Demokratie kommt es nicht nur darauf an, dass diejenigen, die regieren, von der Mehrheit gewählt worden sind. Mindestens genauso wichtig ist, dass sie psychisch gesund und in der Lage sind, ihr Amt auszuüben, dass sie nicht kriminell veranlagt oder von Kriminellen oder ausländischen Staaten gekauft worden sind.

Alexander Wallasch: Wie sehr müssen wir aufpassen, dass wir da nicht doch auf russische Propaganda hereinfallen? Wie kann sich der einfache Bürger davor schützen, dass er hier nicht auch Propaganda-Opfer wird? Wahrscheinlich auch von beiden Seiten. Aber es bleibt ja nun mal Fakt, dass Russland die Ukraine angegriffen hat und natürlich auch die Russen möglicherweise einen sehr starken Propagandaapparat haben.

Hans-Georg Maaßen: Also zunächst einmal muss der Leser zur Kenntnis nehmen, dass nicht nur die Russen einen starken Propagandaapparat haben. Auch die Ukraine und der Westen betreiben Propaganda, auch wenn sie das natürlich bestreiten. Auch das ist Propaganda: „Nur der Feind betreibt Propaganda, wir dagegen informieren ehrlich.“

Ich bin überzeugt, dass die meisten Menschen in der Lage sind, aus verschiedenen Nachrichtenquellen das herauszufiltern, was für sie am glaubhaftesten ist. Als der russische Fernsehsender RT Deutsch bei uns verboten wurde, zeigte dies, dass es nicht darum ging, einem russischen Propagandasender die Plattform zu nehmen, bei uns Propaganda zu verbreiten, sondern es ging darum, den deutschen Bürgern die Möglichkeit zu nehmen, auch die andere Seite zu hören und damit die offizielle westliche Propaganda zu hinterfragen.

Obwohl wir offiziell nicht Kriegspartei sind, erleben wir derzeit bei uns einen Propagandakrieg, in dem es um die Herrschaft über das Denken der Bürger geht. Und die westliche Seite ist bei uns sicherlich wesentlich erfolgreicher als Russland. Wenn unsere Massenmedien schon nicht bereit sind, objektiv über den Krieg zu berichten, so sollten sie zumindest so ehrlich sein, dass sie zugeben, Kriegspropaganda zu verbreiten.

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Alexander Wallasch: Na ja, über die sozialen Kanäle ist das ja schon weit verbreitet. Ich habe mir gestern von jemandem erklären lassen, dass es da auch so was wie weiße und schwarze Propaganda gibt. Das heißt, wenn der eine angreift, ist seine Propaganda Kriegspropaganda, schwarze Propaganda. Wenn der andere versucht, diesen Angriff abzuwehren, und dafür Propagandamittel nutzt, dann wäre das eine ganz andere Form der Propaganda, nämlich eine Art weiße Propaganda. Was halten Sie von der These?

Hans-Georg Maaßen: Propaganda ist in Teilen Werbung für die eigene Sache und in Teilen Desinformation mit allen Techniken der Meinungsmanipulation, die betrieben werden kann. Die Briten hatten das im Ersten Weltkrieg mit ihrer Kriegspropaganda zur Meisterschaft gebracht. Die Amerikaner hatten es in der Zwischenkriegszeit mit neuen Erkenntnissen aus der Massenpsychologie und der kommerziellen Werbung weiterentwickelt. Und die Sowjets und das NS-Regime hatten auch ihre Anteile daran. Das, was wir derzeit erleben, ist eine Propagandaschlacht um die Köpfe und Seelen der Menschen in Europa und natürlich in Deutschland, denn ohne eine deutsche Kriegsbegeisterung kann der Ukrainekrieg nicht mehr fortgeführt werden.

Alexander Wallasch: Weil sie die NS-Propaganda ansprachen: Das hieße aber im Umkehrschluss auch, dass man die Propaganda von Adolf Hitler dann auch hätte in England, New York und in Australien verbreiten dürfen oder sogar müssen. Das ist ja dann ein Spiel auf Gegenseitigkeit.

Hans-Georg Maaßen: Es besteht ein Unterschied, ob man sich in einem Kriegszustand befindet oder nicht. Im Krieg ist es sicherlich zulässig, die Verbreitung von feindlicher Propaganda einzuschränken. Aber wir befinden uns, jedenfalls nach offiziellen Angaben – mit Ausnahme einer Aussage des Herrn Lauterbach –, nicht im Krieg mit Russland. Deshalb sehe ich auch keine Grundlage, das Recht auf passive Medienfreiheit, nämlich dass die Bürger selbst entscheiden, was sie lesen und hören, einzuschränken.

Alexander Wallasch: Wenn Selenskyj sagt, einen Atomschlag der Russen werde Putin nicht überleben, was könnte er damit meinen? Zum einen hat die Ukraine keine Atomwaffen und er bezieht es auf die Person Putin, nicht auf Russland. Das sind doch alles merkwürdige Formulierungen.

Hans-Georg Maaßen: Ich halte diese Äußerungen des Herrn Selenskyj für gefährlich. Er redet wiederholt von einem Atomkrieg und fordert einen nuklearen Präventivschlag gegen Russland. Nachdem er schon Tausende von Landsleuten für diesen Krieg geopfert hat, spielt er mit dem Leben von Millionen. Ich verstehe, dass er den Krieg gewinnen und Russland zur Aufgabe zwingen will. Ich verstehe auch, dass er den Krieg internationalisieren will, damit Russland auch über andere Kriegsschauplätze gebunden und geschwächt wird. Der Preis darf kein Weltkrieg sein, den er immer wieder unterschwellig ins Spiel bringt.

Alexander Wallasch: Warum hat er Tausende geopfert? Können Sie das den Lesern erklären? Die Ukraine ist ja angegriffen worden, die verteidigen sich, die versuchen, das aufzuhalten. Was passiert, wenn sie es nicht tun? Dann ist der Russe in drei Tagen in Kiew, wenn er es denn will. Das sind ja so diese üblichen – sicher auch nachvollziehbaren – Argumentationslinien.

Hans-Georg Maaßen: Ja, das sind die typischen Argumentationslinien, ebenso, wie die Angst zu schüren, der „Russe“, würde übermorgen an der Oder stehen, zwei Tage später am Rhein und dann in Lissabon.
Was man Selenskyj und den Amerikanern vorwerfen muss – auch Frau Baerbock – ist, dass sie sich weigern, Gespräche mit der russischen Regierung zu führen, sie weigern sich, Gespräche über einen Waffenstillstand oder eine Friedenslösung zu führen. Mittlerweile ohne jede nähere Begründung.

Ich kann es verstehen, wenn Verhandlungen scheitern, aber ich kann es nicht verstehen und ich halte es für völlig inakzeptabel, wenn Politiker und Diplomaten sich Gesprächen und Verhandlungen verweigern. Und Politiker, die sich weigern, Gespräche zu führen und ausschließlich auf kriegerische Methoden setzen, verheizen ihre eigene Jugend. Ich glaube, es wäre im großen Interesse der Ukraine, Russland und Deutschlands, wenn es einen Waffenstillstand geben würde.

Alexander Wallasch: Es gibt einen Vorlauf hin zu diesem Krieg, der wird herausgestellt von Kritikern der ukrainischen Politik. Und dieser Vorlauf beginnt ja vor 2014. Ich habe mir auch wieder gestern in einem längeren Gespräch erzählen lassen müssen, dass das natürlich kein Putsch war 2014, das wäre russische Propaganda. Und weiter sagte mein Gesprächspartner, ein versierter Militär, dass Russland dann ab 2014 dort Krieg geführt hätte in diesen russisch dominierten Gebieten. Und weiter hieß es, der Westen hätte da fundamental versagt an der Stelle.

Hans-Georg Maaßen: Der Westen hat mehrfach versagt. Er hat versagt bei der Durchsetzung der Minsker Abkommen, wo der Westen nicht dafür sorgte, dass sich auch die Ukraine an die Minsker Vereinbarungen hielt. Und der Westen hat auch darin versagt, im Vorfeld dieses Krieges auf beide Seiten Einfluss zu nehmen, dass es nicht zum Kriegsausbruch kommt.

Es wird so getan, als ob Putin jederzeit entschlossen war, diesen Krieg zu führen. Das sehe ich nicht so, aber ich war nicht so naiv wie manche unserer Politiker, Diplomaten und Journalisten zu glauben, Putin würde bluffen und keinen Krieg gegen die Ukraine riskieren. Er bluffte nicht. Das hätte jeder, der sich ein wenig mit Putin beschäftigt hatte, wissen müssen.

Er ist eiskalt und rücksichtslos, aber er ist berechenbar, handelt rational und ist nicht verrückt. Genauso hätte man wissen müssen, dass man mit dem Mann hart verhandeln kann. Die Politiker und Diplomaten, die Putins Ansage nicht ernst nahmen, dass er auch in den Krieg ziehen würde, wenn die Ukraine und der Westen nicht bereit sind, über seine Forderungen zu reden, entschuldigen heute ihre Fehleinschätzung damit, dass sie behaupten, Gespräche mit Putin würden ohnehin keinen Sinn machen.

Wir müssen uns im Klaren sein, dass derzeit zehntausende Menschen den Preis dafür bezahlen, dass die Ukraine und der Westen nicht bereit waren, mit Putin ernsthaft zu verhandeln. Wenn der Westen sogar mit den Taliban verhandelte und ein Abkommen abschloss, muss es auch möglich sein, mit Russland Verhandlungen über einen Waffenstillstand zu führen.

Alexander Wallasch: Es scheint ja manchmal fast so, als wenn wir einer der Hauptverantwortlichen für diesen Krieg wären. Wie kommt da plötzlich diese Rolle Deutschlands zustande? Was geht uns die Ukraine an? Haben Sie eine Idee zu?

Hans-Georg Maaßen: Uns geht die Ukraine etwas an. Wir haben nationale Interessen, uns politisch und diplomatisch in den Konflikt einzubringen. Deutschland hat ein eigenes Interesse daran, dass die Waffen schweigen, das Töten in der Ukraine aufhört und der Konflikt befriedet wird. Wir haben über 900.000 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen oder ihnen zeitweise Schutz gegeben, und wir zahlen bereits jetzt durch die Wirtschaftssanktionen einen sehr hohen Preis für einen Krieg, der nicht unser Krieg ist.

Die Ukraine ist aus guten Gründen weder NATO-Mitglied noch EU-Mitglied und darf es aus meiner Sicht auch nicht werden, weil dies deutschen Interessen zuwiderläuft. Es ist dumme politische Propaganda, zu behaupten, in der Ukraine würden westliche Werte verteidigt werden. Wir dürfen uns nicht in einen Ukrainekrieg hineinziehen lassen, weil es uns schadet. Wir sind weder militärisch noch hinsichtlich des Zivilschutzes aufgestellt, einen Krieg zu führen.

Die Sabotageakte gegen die Pipelines und die Deutsche Bahn zeigen, wie leicht es ist, uns zu schaden, und wie wenig wehrhaft wir sind. Wäre ich als Politiker in Regierungsfunktion, würde ich die deutschen Interessen als absolut vorrangig und handlungsleitend ansehen. Eine Außenministerin, die die Interessen der ukrainischen Regierung für wichtiger hält als die Interessen des deutschen Volkes, hat sich für ein politisches Amt in Deutschland disqualifiziert und muss abgesetzt werden.

Alexander Wallasch: Es geht ja hier möglicherweise um eine Ableitung einer besonderen moralischen deutschen Verantwortung aus den Verheerungen des Zweiten Weltkriegs. Wenn damals andere gesagt hätten, was geht uns Polen an, was geht uns Russland an? Dann wäre das Deutsche Reich jetzt wahrscheinlich in der Ausdehnung von 1937 und noch darüber hinaus. Das wäre die Argumentation auf der anderen Seite.

Hans-Georg Maaßen: Also jetzt hier an Verantwortung aus dem Zweiten Weltkrieg anzuknüpfen, halte ich für abwegig. Es ist doch so, dass nicht Deutschland, sondern die Sowjetunion die Gebiete der heutigen Ukraine befreit hatte. Oder soll das jetzt umgedeutet werden und die Nazis waren die Befreier gewesen?

Alexander Wallasch: Aber auf Grund dieser Argumentation sind ja die Vereinten Nationen erwachsen. Da gibt es ja schon eine Stringenz, einen direkten historischen Bezug.

Hans-Georg Maaßen: Die Vereinten Nationen sind aus verschiedenen Gründen entstanden und hatten einen politischen Vorläufer im gescheiterten Völkerbund der 1920er Jahre. Dass Deutschland für das zukünftige Schicksal von Staaten verantwortlich sein soll, in denen deutsche Soldaten einmal einen Fuß gesetzt haben, kann man weder aus der UN-Charta noch aus dem allgemeinen Völkerrechtsverständnis herleiten. Souveräne Staaten sind für ihr Schicksal grundsätzlich selbst verantwortlich.

Alexander Wallasch: Noch eine letzte Frage: Es gibt ja diesen Dauerkonflikt zwischen Griechenland und der Türkei auf Zypern. Da gibt es seit Jahrzehnten eine UN-Sicherheitszone. Warum hat man das nicht ab 2014 zwischen Russland und der Ukraine versucht? Haben Sie eine Idee dazu?

Hans-Georg Maaßen: Es ging nicht um eine Sicherheitszone zwischen der Ukraine und Russland, sondern es ging der russischen Regierung vor allem um die russischsprachige Minderheit im Osten der Ukraine. Die sollte durch das Minsker Abkommen besonders geschützt werden. Eine Pufferzone zwischen der Ukraine, die von Kiew regiert wird, und den russischsprachigen Ostprovinzen wäre vermutlich von der Ukraine und den westlichen Partnerstaaten nie akzeptiert worden.

Alexander Wallasch: Vielen Dank für das Gespräch!

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