Die Exerzitien Ignatius als Waffe gegen den polit-medialen Komplex

Wider den „bösen Feind“

von Parviz Amoghli (Kommentare: 1)

Gastautor Parviz Amoghli findet Antworten auf die Verwerfungen unserer Zeit ausgerechnet bei Ignatius, einem Mitbegründer der Jesuiten, der vor 500 Jahre das Schwert niederlegte und das Kreuz nahm.© Quelle: Screenshot: YouTube / WELT und Foto: Wikimedia Commons / St Ignatius of Loyola (1491-1556)

Wir schreiben das Jahr 1521. Ignatius von Loyola (1491-1556), ruhmsüchtiger Lebemann, weithin bekannter Raufbold, Frauenheld und Spieler, nimmt als Offizier in Diensten des kastilischen Vizekönigs von Navarra an der Verteidigung des von Franzosen belagerten Pamplonas teil.

Dabei wird der später heiliggesprochene Mitbegründer des Jesuiten Ordens schwer verwundet, eine steinerne Kanonenkugel zerschmettert ihm ein Bein. In den folgenden Wochen steht sein Leben auf des Messers Schneide, jedoch überwindet Ignatius die Krise und befindet sich bald wieder auf dem Weg der Genesung.

Untätig aufs Lager geworfen, verlangt es den gelangweilten Rekonvaleszenten nach Kurzweil, am besten in Gestalt der damals überaus beliebten Liebes- und Ritterromane. Da aber derlei Literatur nicht aufzutreiben ist, begnügt er sich mit einem Buch über das Leben Jesu sowie den Heiligenlegenden der Legenda Aurea, dem populärsten und am weitesten verbreiteten religiösen Volksbuch des Mittelalters.

Anfangs eher lustlos, zieht ihn die Lektüre jedoch bald in ihren Bann, mit der Folge, dass er sein bisheriges Leben als Ritter, Schürzenjäger und Bonvivant immer mehr in Frage stellt. Im Februar 1522, also vor genau 500 Jahren, ist es dann so weit, Ignatius entsagt dem Schwert und nimmt dafür das Kreuz, zeitgleich beginnt er mit der Niederschrift der Exercitia spiritualia, einer Sammlung geistlicher Übungen, die als Ignatianische Exerzitien bis heute die Grundlage klassischer Exerzitien darstellen.

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Obgleich sich das Büchlein an die einzelne Seele richtet, um dieser den Weg zu Gott zu zeigen beziehungsweise zu ebnen, sind in der schmalen Schrift durchaus auch Erkenntnisse enthalten, die zum Verständnis der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse in Deutschland anno 2022 beitragen. So lesen wir beispielsweise unter der Überschrift „Bemerkungen über den Skrupel“, wie der „böse Feind“ die Seele in Verwirrung zu stürzen und damit zu destabilisieren sucht.

Doch bevor wir näher auf die Vorgehensweise des „bösen Feindes“ eingehen, gilt es zu klären, um wen oder was es sich dabei eigentlich handelt.

Laut Ignatius ist damit der Feind der menschlichen Natur gemeint. Da nach damaligem Verständnis der Mensch und seine Natur göttlichen Ursprungs sind, kommt also nur einer als „böser Feind“ infrage: Satan.

Fünfhundert Jahre später allerdings, eignen sich die Machenschaften des Leibhaftigen nicht mehr als Erklärung für die Zerrüttung einer Seele, weder auf individueller noch auf kollektiver Ebene. Erst recht nicht in einer Gesellschaft wie der buntdeutschen, in der man sich rühmt, nicht mehr an Himmel und Hölle, sondern an irgendwas zu glauben. Wenn aber heutzutage nicht mehr Satan die Rolle des „bösen Feindes“ ausfüllt, wer oder was ist an seine Stelle getreten?

Eine Antwort darauf findet sich in jener universalistischen Gesinnung, die es sich zum Ziel gesetzt hat, im Namen des Regenbogens das menschliche Individuum durch gleichförmige Einheitskreaturen auszutauschen. So steht es zumindest in dem universalistischen Grundlagenwerk „Empire“, das von den Protagonisten des bunten Zeitgeistes seit seinem Erscheinen 2000 als legitimer Nachfolger des Kommunistischen Manifest gefeiert wird.

Die Autoren, der US-amerikanische Literaturwissenschaftler Michael Hardt sowie der italienischen Philosoph Antonio Negri, zwei Ikonen der linken Eine-Welt-Bewegung, führen darin aus: „Fern aller aufklärerischen oder kantianischen Träumereien (…) verlangt die Menge nicht nach einem kosmopolitischen Staat, sondern nach einer gemeinsamen Spezies. In einer Art säkularem Pfingstfest vermischen sich die Körper, und die Nomaden sprechen eine gemeinsame Sprache.“

Um dieses Ziel, den neuen Menschen, zu erreichen und die gewachsenen Völker und Nationen von innen heraus zu zersetzen, wendet der polit-mediale Komplex als Statthalter des Universalismus in der Bunten Republik genau jene Mittel an, die Ignatius wie folgt beschreibt: „Der böse Feind achtet sehr darauf, ob eine Seele ein grobes oder ein zartes Gewissen hat. Hat sie ein zartes Gewissen, dann bemüht er sich, es immer noch zarter zu machen bis zum Übermaß, um sie leichter in Unruhe und Verwirrung zu stürzen. Wenn er z. B. sieht, dass eine Seele keine Sünde zulässt, […] so sucht der böse Feind, […] sie wenigstens zu dem Urteil zu bringen, es sei eine Sünde, wo keine Sünde ist, wie z. B. bei irgendeinem Wort oder bei einem ganz geringen Gedanken.“

Diese Erkenntnis findet ihre aktuelle Entsprechung in einem Zeitgeist, der unter dem Signum der Rücksichtnahme Kinderbücher umschreibt, Kinderlieder denunziert, Kunstwerke verhüllt, unbotmäßige Denker, Intellektuelle und Autoren aus der Gemeinschaft der Guten verstößt und die Neufassung der deutschen Sprache nach den Vorgaben des Regenbogens betreibt. Im Lichte von Ignatius Exerzitien erscheinen diese aktuellen Phänomene als das, was sie wirklich sind: Versuche, die der Natur des Menschen entspringenden nationalen, religiösen oder kulturellen Fundamente individueller und kollektiver Identität durch Verzärtelung auszuhöhlen sowie ins Unrecht zu setzen, um der Gesellschaft und ihren Mitgliedern so letztendlich so etwas, wie eine identifikationstiftende Existenzgrundlage zu entziehen.

Und das geht am besten, indem der polit-mediale Komplex Sünden kreiert, wo gar keine sind, „wie z. B. bei irgendeinem Wort oder bei einem ganz geringen Gedanken“.

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Zeitgleich verfolgt der „böse Feind“ noch eine weitere, der Verzärtelung scheinbar entgegengesetzte Strategie, um die den Einzelnen und die Gesellschaft in ihrem Innersten zu destabilisieren: „Hat die Seele aber ein grobes Gewissen, so sucht der böse Feind es noch gröber zu machen. Achtete sie z. B. früher die lässlichen Sünden für nichts, so wird er dahin trachten, dass sie auch aus den Todsünden sich nur wenig mache, und wenn sie vorher noch etwas Scheu vor den lässlichen Sünden hatte, dass sie jetzt viel weniger oder überhaupt gar nichts mehr sich daraus mache.“

Im besten Deutschland aller Zeiten bedeutet das, die forcierte Brutalisierung und Abstumpfung der einzelnen und kollektiven Seele gegenüber denjenigen, die zu Leidtragenden zeitgeistiger Politik geworden sind und/oder dagegen ihre Stimme erheben. Da kommt es dann schon mal vor, dass Ärzte unter bewusster Missachtung des hippokratischen Eids öffentlich erklären, keine Ungeimpften mehr behandeln zu wollen und ihnen dafür der Applaus des hellen Deutschlands sicher ist.

Oder, dass gepanzerte Polizisten friedliche Demonstranten auf eine Art und Weise misshandeln, die den UN-Sonderberichterstatter über Folter auf den Plan ruft, während der bunte Staat mit einem Schulterzucken darüber hinweggeht. Oder, dass die dramatischen Folgen des Lockdowns für Kinder und Jugendliche seitens der Verantwortlichen ignorant beiseite gewischt werden. Oder, dass der polit-mediale Komplex, dem normalerweise keine Minderheit klein genug sein kann, um sie zu privilegieren, die Millionen Ungeimpften zu einer verachtenswerten und vernachlässigbaren Minorität erklären, deren Beschimpfung und Diskriminierung zu einem moralischen Gebot erhoben wird.

Es handelt sich hierbei um demokratiepolitische Todsünden, die zudem die niedrigsten Instinkte der Menschen befeuern, wie die Denunziations- und Ausgrenzungslust der Gehorsamen gegenüber den Ungehorsamen in den vergangenen zwei Jahren gezeigt hat. Es ist wieder chic, den Nachbarn im Namen der Gemeinschaft zu bespitzeln und zu melden, und das in einem Land, dessen Eliten nicht müde werden bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit verlautbaren zu lassen, aus der Geschichte gelernt zu haben.

Pustekuchen. All dass, was eigentlich schon als überwunden gegolten hat, ist wieder da: Stigmatisierung, Diskriminierung, Ausschließung. Die fahlen Gespenster der Vergangenheit erheben neuerlich ihr Haupt – diesmal im Zeichen des Regenbogens. Den bösen Feind wird’s freuen.

Um dessen Machenschaften zu entkommen und voranzuschreiten, muss nach Ignatius die Seele, „stets ein Verfahren einhalten, das dem vom bösen Feind befolgten entgegengesetzt ist. Versucht nämlich der böse Feind, das Gewissen der Seele abzustumpfen, so soll sie sich der Zartheit des Gewissens befleißigen. Ebenso, wenn der böse Feind dahin trachtet das Gewissen überzart zu machen, um es zum Äußersten zu treiben, so bemühe sich die Seele, sich fest in der rechten Mitte zu halten, um ganz zur Ruhe zu gelangen.

Was so einfach klingt, das Gleichgewicht zwischen Hart und Zart herzustellen, scheint in Zeiten einer Pandemie, die weniger die Intensivstationen überforderte als den sozialen Zusammenhalt, ein Ding der Unmöglichkeit zu sein. Kein Wunder, bei dem gesellschaftlichen Schaden, den eine Corona Politik angerichtet hat, die unverhohlen darauf ausgerichtet gewesen ist, Teile der Bevölkerung gegeneinander aufzuwiegeln.

Ob die Zeit kommen wird, all das, was in den letzten zwei Jahren im besten Deutschland aller Zeiten vorgefallen ist, aufzuarbeiten und darüber eine Versöhnung zu ermöglichen, ist indes fraglich. Abgesehen davon, dass eine derart schnelle Abkühlung der Gemüter, die dafür Voraussetzung wäre, kaum vorstellbar ist, und darüber hinaus die Mitte, in der die Versöhnung stattfinden könnte, in atemberaubender Geschwindigkeit erodiert, dürfte die nächste (Menschheits-) Krise nach Corona nicht lange auf sich warten lassen, Stichwort: Klimaapokalypse.

Diese bietet dem „bösen Feind“ ein weites Feld mit seiner Politik fortzufahren, durch gleichzeitige Verzärtelung und Verrohung der Gesellschaft, diese weiter zu fragmentieren und aus dem Gleichgewicht zu bringen. Es ist dies Grundvoraussetzung, die alte, in der Zeit gewachsene Ordnung menschlichen Zusammenlebens zugunsten der angestrebten bunten Weltgesellschaft samt all jener in der Einheitsmasse verschwundenen Individuen zu zerschlagen.

Jedoch gibt es einen Ausweg aus der Misere. Dafür aber ist es notwendig, dass der Einzelne sich der Machenschaften des „bösen Feindes“ bewusst wird, die Ziele hinter dem zerstörerischen Wechselspiel von Hart und Zart erkennt und darauf im Sinne des Ausgleichs zu reagieren weiß. Wie das geht, hat Ignatius von Loyola vor fünf Jahrhunderten bereits beschrieben.

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