Weil ihnen vielleicht deren Protagnisten nicht wirklich gefallen, die Verunglimpfungskampagne gegen die Bewegung gegriffen hat oder sie ihrer Einstellung unabhängig von jeder Organisation oder Struktur auf der Straße Ausdruck geben wollten.
Formulierungshilfe kommt vom Verfassungsschutz. Im am Dienstag veröffentlichten Jahresbericht wurde den kritischen Geistern die zweifelhafte Ehre einer neuen Etikettierung zuteil, dem Phänomenbereich „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“.
In dieser im Verfassungsschutzbericht 2021 erstmal erwähnten, im Mai 2021 neu geschaffenen Kategorie, fasst der Inlandsgeheimdienst Gruppierungen und einzelne Akteure zusammen, die weder dem Links- noch dem Rechtsextremismus zuzuordnen sind. Die aber unter Verdacht stehen, Verfassungsgrundsätze außer Kraft setzen oder die Funktionsfähigkeit des Staates beeinträchtigen zu wollen. Dazu gleich mehr.
Ministerin Nancy Faeser und der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutzes (BfV) Thomas Haldenwang verkündeten jetzt bei der Vorstellung des Jahresberichtes 2021, dass die Zahl extremistischer Straftaten in Deutschland leicht gestiegen sei im Vergleich zu 2020.
33.476 politisch motivierte Straftaten mit extremistischem Hintergrund wurden in 2021 registriert, im Vorjahr waren es 32.924. Davon waren jeweils knapp zehn Prozent Gewalttaten.
Dabei bleibe, laut Innenministerin Faeser, die größte Bedrohung weiter der Rechtsextremismus, obwohl die Zahl der rechtsextremen Straf- und Gewalttaten im vergangenen Jahr erstmals seit 2018 wieder um 9,6 Prozent auf rund 20.200 gesunken ist.
Statt Entwarnung durch die abnehmende Bedrohungslage zu geben, wird ein neues Szenario, inklusive neuer Querdenker-Schublade, aufgemacht: Die Gefahrenlage werde unübersichtlicher, neue Bedrohungen seien aufgetaucht. Auch kürzlich erst forderte Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD), „Corona-Leugner“ und sogenannte Querdenker konsequent dem rechtsextremistischen Spektrum zuzuordnen. Die Szene sei politisch klar rechts motiviert.
Wer sich also bis jetzt für die Mitte der Gesellschaft hielt und dachte, dass er für den Erhalt der Rechtsstaatlichkeit oder für das Grundgesetz auf der Straße war, kann im Bericht des Inlandsgeheimdienstes nachlesen, dass er als Zugeordneter zu diesem laut Welt „diffusen Milieu“ eine beobachtungswürdige Bedrohung für die Demokratie darstellt, weil er darauf aus ist, „wesentliche Verfassungsgrundsätze außer Kraft zu setzen oder die Funktionsfähigkeit des Staates oder seiner Organe erheblich zu schädigen“ – ganz Staatsfeind Nummer eins also.
Ihre Unterstützung zählt
Wer zu dieser „Protestszene gegen die staatlichen Maßnahmen“ zählt, kann jetzt vom Staatsschutz beobachtet werden, mit allem Drum und Dran. Ein Bann, der in Sachen Ausgrenzung massive Auswirkungen auf das private wie berufliche Leben hat. Das ist neu. Und nein, als Basis hierfür ist kein neues Gesetz nötig. Das legen der Inlandsgeheimdienst und Innenministerin Nancy Faeser und ihr Ministerium fest.
Der Teil der Mitte der Gesellschaft, der an Montagabenden Kerzen vorm Rathaus abstellt, Berichte aus den Alternativen Medien teilt oder verwundert ist über die nächste Youtube-Kanal-Sperrung, kann jetzt also beobachtet werden, weil er die Regierung „allzu sehr kritisiert“. Wo ist die Grenze?
Zugeordnete zu diesem Phänomenbereich bekommen gleich mehrere Stempel aufgedrückt, die wenig konkret und greifbar klingen. Bei der Schwammigkeit ihrer Formulierungen lassen sie die Frage aufkommen, wo hier die Grenzen sind und ob einfachste Kritik jetzt schon zu Generalverdacht und nachfolgender Beobachtung führen kann?
Und wer an dieser Stelle immer noch nicht verstanden hat, dass oder wie er als um die Demokratie besorgter Bürger den Staat delegitimiert, erfährt in der Pressemitteilung des BMI Folgendes:
„Hierzu betreiben sie eine zielgerichtete Verächtlichmachung des demokratischen Systems und seiner Funktionsträger. Die Angehörigen des Phänomenbereichs zielen auf die Radikalisierung und Mobilisierung von Teilen der Bevölkerung, um ihre eigene Agenda voranzubringen. Auch über die Corona-Pandemie hinausgehend werden Krisensituationen zur Delegitimierung des Staates genutzt.“
Konkret wird an dieser Stelle im Bericht auf die Flut im Ahrtal eingegangen: Auch wer hier die Fähigkeiten des staatlichen Krisenmanagements infrage stellt, kann schnell auf der Beobachtungsliste stehen.
Und wer sich dadurch an vergangene Zeiten erinnert fühlt, vielleicht, weil er in der DDR aufgewachsen ist und zu seinem persönlichen Erfahrungshorizont auch Bespitzelung im Staatsauftrag zählt, der sei an dieser Stelle schonmal vorgewarnt, hier auch nur ansatzweise Stasi-Assoziationen ins Gespräch zu bringen. Denn auch damit fällt er laut Bericht in den Phänomenbereich „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“:
„Auch andere Angehörige der verfassungsschutzrelevanten Protestszene nahmen wiederholt Gleichsetzungen mit den diktatorischen Regimen des Nationalsozialismus und der DDR vor.“
Nicht nur, dass hier der feine Unterschied zwischen Gleichsetzung und Vergleichen ignoriert wird, die böse, staatszersetzende Absicht dahinter wird direkt mitgeliefert:
„Hierdurch soll die Rechtmäßigkeit der Corona-Schutzmaßnahmen in Zweifel gezogen und der Rechtsstaat im Allgemeinen diskreditiert werden.“
Der Teil der Mitte der Gesellschaft, der sein demokratisch verbrieftes Recht auf freie Meinungsäußerung in Anspruch nimmt, ist also jetzt genau dadurch eine Gefahr für die Gesellschaft und Bedrohung für die von ihm selbst im 4-Jahrestakt gewählte und damit auch durch ihn selbst demokratisch legitimierte Regierung.
Das ist in sich so unlogisch und ins eigentliche Gegenteil verdreht, wie sich auch die Bedeutung derAufgabe des Verfassungsschutzes ins Gegenteil verkehrt zu haben scheint: Denn die besteht nach eigener Angabe darin, „Gefahren für die freiheitlich demokratische Grundordnung ( … ) zu erkennen und einzuschätzen“.
Denn Berichte wie dieser vom Verfassungsschutz, der diejenigen, die erklärtermaßen für die freiheitlich demokratische Grundordnung auf die Straße gehen, so dermaßen diskreditiert, unter Generalverdacht stellt und kriminalisiert, delegitimiert in gewisser Weise diesen Staat und obendrauf sich selbst als Instrument desselben.
Bleibt abzuwarten, wie lange es noch dauert, bis aus dieser Neuschöpfung „Phänomenbereich“ ein Massenphänomen geworden ist. Das dann vielleicht dem Verfassungsschutz seinen selbstbeschreibenden Slogan, gleichzeitig Überschrift des ersten Kapitels des über 300 Seiten umfassenden Verfassungsschutzberichtes, streitig macht: Ein unverzichtbares Instrument der wehrhaften Demokratie.
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