US-Rapperin Cardi B zum Vorfall: „Diese Welt ist voller Raubtiere. Sie machen Jagd auf die Unschuldigen“

Toxische Heiligkeit: Der Dalai Lama will von einem Kind die Zunge gelutscht bekommen

von Tara Grimm (Kommentare: 10)

Lassen wir unsere Intelligenz nicht länger beleidigen. Die Antwort lautet immer noch „vier Finger“, nicht fünf.© Quelle: Youtube / Zeit Online, Screenshot

Wie weit ist es vom stillen Ignorieren der Wahrheit bis zum offenen Bekenntnis zur Lüge? Wie lange dauert es, bis der gesunde Menschenverstand abgeschaltet ist?

Wann werden wir, wie Winston im Roman "1984", fünf statt der gezeigten vier Finger zählen und damit endgültig vor dem "Wahrheitsministerium der Partei" kapitulieren?

In Zeiten, in denen das Gefahrenpotenzial eines Atomkraftwerkes davon abhängt, ob es in der Ukraine oder in Deutschland steht, in denen „Frieden schaffen mit Waffen“ als „Real-Pazifismus“ definiert und Greta Thunberg von religiösen Würdenträgern mit Jesus gleichgesetzt wird, könnte man glauben, der Gipfel der intelligenzverletzenden Absurditäten sei allmählich erreicht.

Dass dem nicht so ist und man sich, ganz im Gegenteil, noch auf einige, bestenfalls grenzwertige, Überraschungen einstellen sollte, darauf deutet ein Video hin, welches in den letzten Tagen millionenfach in den Sozialen Medien aufgerufen wurde. Es zeigt den Dalai Lama, den höchsten spirituellen Lehrer des tibetischen Buddhismus, mit einem kleinen Jungen, dem er die Zunge entgegenstreckt und den er dann auffordert, diese „zu lutschen“.

Der erste Skandal liegt auf der Hand: Ein Mann, noch dazu eine geachtete Autoritätsperson, verlangt von einem Kind, eine eindeutig sexuelle Handlung vorzunehmen. So jedenfalls wird der Vorfall u.a. von der Organisation SNAP eingeordnet, einem Netzwerk, das sich für die Opfer von Missbrauch in der Kirche einsetzt. In einer Erklärung verurteilt SNAP außerdem „das verharmlosende Statement“, welches in der Folge auf der offiziellen Seite des Dalai Lama abgegeben wurde.

In diesem heißt es:

„Seine Heiligkeit möchte sich bei dem kleinen Jungen und dessen Familie wie auch bei seinen vielen Freunden rund um die Welt für den Schmerz entschuldigen, den seine Worte verursacht haben könnten. Seine Heiligkeit neckt oft Menschen, die er trifft, auf eine unschuldige und spielerische Weise, sogar in der Öffentlichkeit und vor Kameras. Er bedauert den Vorfall.“

Der zweite, mindestens ebenso schwerwiegende Skandal liegt in der Berichterstattung der Medien. Obwohl die „Entschuldigung“ des Dalai Lama selbst durch das Fehlen einer möglicherweise außerhalb des buddhistischen Kulturkreises unbekannten, religiös oder ethnisch begründeten Motivation für den Übergriff diesen als eben solchen einräumt, wird das Offensichtliche ignoriert.

Sowohl „Welt“, das „ZDF“ als auch der „Stern“ und „ntv“ beschränken sich weitgehend darauf, den Vorfall, die Entschuldigung sowie die „geschockte“ Reaktion einer Twitter-Nutzerin namens Sangita abzudrucken.

Unisono enden sämtliche Meldungen mit dem Hinweis darauf, dass der Dalai Lama sich für die Autonomie Tibets von China einsetze, 1989 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde und danach Staatsoberhäupter und Hollywood-Stars getroffen habe.

Immer wieder wird auch die Beliebtheit des religiösen Führers erwähnt sowie sein ausgeprägter Sinn für Humor. In einem kläglich scheiternden Rechtfertigungsversuch schreibt „ntv“:

„Der Dalai Lama ist international ein Symbol der Harmonie, seinen Humor stellt er auch in der Öffentlichkeit zur Schau. Bei einer Audienz in Indien geht das Oberhaupt der Tibeter wohl etwas zu weit.“

Doch es ist der "Spiegel", der die Wahrheit auf geradezu obszöne Weise verdreht, indem er suggeriert, das Kind habe den Vorfall herbeigeführt:

„Ein im Internet verbreitetes Video zeigt das geistliche Oberhaupt Tibets dabei, wie es den Jungen auf dessen Wunsch hin umarmt und sich von ihm zuerst auf die Wange und dann andeutungsweise auf den Mund küssen lässt. Danach streckt der 87-Jährige seine Zunge heraus und sagt: 'lutsch meine Zunge' – was der Junge spielerisch andeutet. Anschließend erklärt der Dalai Lama: 'Wir sind gleiche Brüder und Schwestern.' Später im Video ist zu sehen, wie er den Jungen kitzelt. Vielerorts wird allerdings nur der Ausschnitt des Videos verbreitet, der die Szene mit der Zunge zeigt.“

Inwiefern die Tatsache, dass ein fremder Mann ein kleines Kind „kitzelt“, überhaupt als vermeintlicher Entlastungsbeweis angeführt werden kann, nachdem er es körperlich bedrängt hat, bleibt das unappetitliche Geheimnis des „Spiegel“.

Auch die „Neue Zürcher Zeitung“ bedient sich des Narrativs vom überschwänglich humorvollen Dalai Lama:

„Tatsächlich ist der Dalai Lama, der sich als buddhistischer Mönch Tenzin Gyatso nennt, für seinen humorvollen Umgang bekannt. Trotz der Verehrung als Bodhisattva, die ihm von Buddhisten entgegengebracht wird, gibt er sich menschlich und nahbar. Schon früher sorgte er aber mit scherzhaften Äusserungen für Irritationen.“

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Und dann werden die Leser aufgefordert, das auszublenden, was diese im Video mit eigenen Augen sehen können:

„Wie seine Aufforderung an den Jungen, seine 'Zunge zu lutschen', gemeint war und ob sie tatsächlich eine sexuelle Konnotation hatte, wie seine Kritiker nun meinen, kann wohl nur der Dalai Lama selber sagen.“

Die Botschaft ist klar und deutlich: Eigene Schlussfolgerungen auf der Basis von beobachteten Fakten zu ziehen, gilt nicht als adäquates Vorgehen.

Für sexuelle Übergriffe sei der Dalai Lama nicht bekannt, fügt die „NZZ“ noch hinzu, offensichtlich bemüht, damit einen Schlussstrich unter jegliche Kontextualisierungen zu ziehen, die in ausländischen Medien durchaus vorgenommen werden.

Wie beispielsweise die „Daily Mail“ bereits im Jahr 2018 berichtete und aktuell erneut thematisiert, habe der Dalai Lama 2009 eine Million USD dafür erhalten, zu einem Event von NXIVM in die USA zu reisen, um dort eine Rede zu halten und Keith Raniere, den Gründer der Sekte, zu segnen.

Bei NXIVM handelte es sich um einen „berüchtigten Sex-Kult“, so die „Daily Mail“, der Frauen mit Brandzeichen versehen und sie einer Gehirnwäsche unterzogen hat. Der vom Dalai Lama unterstützte Raniere, die bekannte Schauspielerin Allison Mack sowie weitere Führungsmitglieder der Sekte wurden im Jahr 2020 u.a. wegen Zwangsarbeit und Sexhandel zu langjährigen Haftstrafen verurteilt.

Die von der „Daily Mail“ 2018 aufgedeckte Geschichte bezog sich allerdings auch auf das engere Umfeld des Dalai Lama. Ein amerikanischer Berater des tibetischen Oberhauptes habe teure Geschenke und Auslandsreisen angenommen sowie eine „stürmische Affäre mit der Erbin eines Getränke-Imperiums“ gehabt, bei der angeblich das Zöllibatsgelübde gebrochen wurde.

Der Dalai Lama war ein gern gesehener Gast von Hillary Clinton. König Charles beschrieb er als „engen Freund“.

Kein gutes Wort fand er hingegen für Präsident Donald J. Trump. Dessen Amtszeit habe sich durch „einen Mangel an moralischen Grundsätzen“ ausgezeichnet, erklärte der Dalai Lama in einem Interview mit der BBC.

Angesichts der Tatsache, dass Präsident Trump u.a. im Januar 2020 eine Executive Order erließ, um explizit gegen Menschenhandel und die sexuelle Ausbeutung von Kindern vorzugehen, ein durchaus bemerkenswertes Urteil.

Die bekannte US-Rapperin Cardi B hat sich dafür entschieden, ihrer Wahrnehmung zu vertrauen, und kommentierte das Video des Dalai Lama am vergangenen Montag wie folgt:

„Diese Welt ist voller Raubtiere. Sie machen Jagd auf die Unschuldigen. Auf diejenigen, die am Unwissendsten sind, auf unsere Kinder.“

Hat sie recht oder handelt es sich um einen Fall von punktueller Überreaktion? Die überwältigende Anzahl von aufgedeckten Fällen von Kinderpornographie-Besitz und Pädophilie in den letzten Monaten und Jahren sprechen eine deutliche Sprache. Lassen wir unsere Intelligenz nicht länger beleidigen. Die Antwort lautet immer noch „vier Finger“, nicht fünf.

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