Christian Witt berichtet für uns aus Georgien

Tiflis am Vorabend einer provozierten Zuspitzung

von Christian Witt (Kommentare: 3)

… und zwischendurch immer mal wieder auf die Demo gehen.© Quelle: Foto: Christian Witt

Was passiert in diesen Tagen in Tiflis/Georgien? Fotograf und Autor Christian Witt ist für uns vor Ort. Wir sprechen mit ihm über seine Eindrücke jenseits des politischen Framings der Tagesschau auf Demonstrationen und in den gemütlichen Cafes am Straßenrand.

(Quelle: Christian Witt privat)

Von Christian Witt

Warum bist Du in Georgien?

Weil ich es live und in Farbe sehen möchte. Ich möchte es spüren und nicht nur diese Mediabombs, die immer wieder in den sozialen Kanälen explodieren und die irgendeine Stimmung erzeugen sollen. Das möchte ich hier vor Ort spüren.

Und ich traue der Tagesschau und ihren Framings und ihrem Nudging nicht. Und ich merke: Sie lügen nicht immer, sie lügen oft und erst zwischen den Zeilen ist so etwas wie Wirklichkeit. Ich möchte hier mit Leuten sprechen. Ich möchte die anderen Seiten kennenlernen. Und nach Georgien zu fliegen, kostet 80 Euro und eine Nacht kostet 10 Euro ich bin geflogen, weil ich gern Augenzeuge bin.

Was ist aktuell der Konflikt in Georgien? Was passiert da gerade?

Die Partei “Der georgische Weg” ist eine Gründung eines Georgiers, der in Russland 2012 einmal viel Geld gemacht hat und der auch viel Gutes getan hat mit seinem Geld, Theater etc. unterstützt, aber auch eine politische Partei mitgegründet hat. Die ist seit 2012 am Ruder und ist eigentlich eine proeuropäische Partei.

Das sind genau die, die eigentlich diesen ganzen Europa-Prozess angestoßen haben über die Jahre und die sich aber gar nicht mehr so sicher sind, nachdem die EU diese ganze LGBT* und woke Agenda fährt. Viele Georgier haben heute Angst mit Blick auch auf das, was in der Ukraine oder in anderen Ländern passiert, dass sich nichtstaatliche Organisationen einnisten, wie überall. Also Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die vielleicht auch was Gutes tun, aber die mit massivem Geld politische Prozesse steuern bis hin, sie zu dominieren.

Das erinnert an dieses Verbot von Soros in Ungarn und viel früher noch in Russland...

Ich glaube, das geht in dieselbe Richtung. Und auch genau deshalb wird es auch das “Russische Gesetz” genannt, was natürlich kein russisches Gesetz ist, weil es ist dasselbe in Ungarn. Und ich habe irgendwo gelesen, es gäbe im Westen, in den USA auch ähnliche Gesetze. Die NGOs werden auch nicht verboten, sie sollen nur ihre Finanzströme offenlegen, wenn sie mehr als zwanzig Prozent ihrer Einnahmen aus dem Ausland bekommen.

Was ist der aktuelle Konflikt? Was sind das für Demonstrationen?

Auslöser war im Sommer schon genau dieses Transparenzgesetz, was dann beschlossen wurde. Und da gab es schon mal eine Reihe von Demonstrationen nach demselben Muster. Und so wie ich gelesen habe, aber das wurde gestern nicht in meinem Gespräch bestätigt, hatte die EU ihrerseits die Gespräche auf Eis gelegt nach diesem Transparenzgesetz und sich auf Seiten der NGOs gestellt.

Und das hat einen Prozess in Gang gesetzt, an dem – Stand jetzt – auch diese Partei mit entsprechenden kritischen Aussagen in den Wahlkampf gegangen ist und mit gut 52 Prozent  die Mehrheit gewonnen hat. Es wurden natürlich wieder Stimmen laut, dass das alles nicht lauter gewesen wäre, dass es beeinflusst worden wäre. Ich habe bisher keine wirklich glaubhaften Belege dafür gefunden.

Das Problem ist auch, dass es in Georgien keine richtige Opposition gibt und keine Köpfe, die eine Opposition machen können. Es sind nicht so viele Einwohner, dreieinhalb Millionen, das ist gerade mal Berlin. Und guck nach Berlin, was für ein Sumpf das da ist. Das ist in Georgien nicht viel anders. Da gibt es keine wirklichen Persönlichkeiten, die das Land irgendwie glaubhaft führen.

Wie ist denn die Lebenssituation? Von Georgiern hört man in Deutschland am häufigsten im Zusammenhang mit Kriminialitätstatistiken…

Ich fühle mich hier komplett sicher. Das heißt, ich schließe nichts ab. Mein Hostel hat offene Türen, ich sehe davon gar nichts. Vom äußeren Eindruck her gibt es ganz unterschiedliche Georgier. Es gibt sozusagen die Europäer, die sind europäisch gekleidet, die sind jung, die sind modern, die arbeiten vielleicht im Ausland, die machen ihr Geld im Ausland oder die sind beim Staat angestellt.

Und dann gibt es auch die alten Mütterchen, die aussehen wie in Russland oder in Abchasien oder in irgendeinem angrenzenden, wirklich asiatischen Land. Das heißt, das ist auch so eine Brücke. Das habe ich im letzten Jahr schon schätzen gelernt. Georgien erscheint wie eine Brücke zwischen Ost und West. Hier sind viele aus Kasachstan, Indien, China und etliche aus Europa. Da treffen sich die Kulturen und das macht im Moment wirklich den Reiz aus.

Wie präsent sind Russen da aktuell, der Bevölkerungsanteil?

Wenn ich durch die Straßen gehen, höre ich zur Hälfte russisch. Ich habe gestern Abend auch noch mit Russen gefeiert, bis um zwei mit einer Studentengruppe, die sich da getroffen hat, weil sie sagten, nur in Georgien können sie sich quasi treffen. Der eine arbeitet in Kasachstan, der andere in den Nachbarländern. Und die treffen sich in Georgien, trinken Wein, weil sie sich das erlauben können. Bei der grassierenden Inflation in Russland sind sie froh, dass ihnen die Wohnungen gehören, aber sie haben dann doch arg zu kämpfen mit der Inflation.

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Beispielsweise in Riga/Lettland ist die Trennung zwischen Russen und Letten doch sehr auffällig...

Das sind hier ganz andere Verhältnisse. Es gibt hier nur ein Prozent bekennende Russen in der Bevölkerung, keine 40 Prozent. Und es ist auch nicht wie in der Ukraine, dass sich viele zu Russland bekennen. Das ist in Georgien einfach eine ganz andere Situation. Aus meiner Sicht ist die Gefahr eines russischen Eingreifens nicht gegeben.

Die Georgier hatten zu Anfang ihrer Staatengründung – ihrer Loslösung – einige nationalistische Probleme. Ich glaube auch selbst erzeugte mit ihren beiden abtrünnigen Republiken. Sie haben dieses Schweizer Modell mit verschiedenen Sprachen und verschiedenen Bekenntnissen nicht hinbekommen. Oder konkreter: Es fehlt diese eine tragende Saga als Staatenmythos.

Hast Du aktuell das Gefühl einer Pulverfass-Situation?

Mein Eindruck, dass die Situation von Westmedien gepusht wird. Und es sind auch georgische Medien, die Szenen provozieren, die etwas groß machen, was nicht so groß ist. Es gehen viele auf die Straße, ja, aber angesichts der Bevölkerung von Tiflis ist das ein Bruchteil.

Ich habe nicht das Gefühl, dass das ein von der Bevölkerung ausgehendes Pulverfass ist. Ja, es bekennen sich viele. Und viele sind auch emotional hoch aufgewühlt und beleidigend und haben den Tunnelblick. Es besteht bei Etlichen so eine – ich weiß nicht woher – so eine provozierte Angst davor, dass der böse Putin – und das meine ich jetzt mit Augenzwinkern – sozusagen die Front aufmacht und alle Staaten angreift.

Das ist dasselbe, was mir auch oft in Deutschland begegnet, wo ich dann mit dem Kopf schüttle und denke: Erstens hat Putin kein Interesse daran und zweitens nicht die Möglichkeit. Er wird sich hüten, die NATO anzugreifen. Ich denke, das kann er nicht. Die Georgier sehen das manchmal anders und haben dann auch anekdotisch irgendwelche Schmäherzählungen nach dem Motto: Ich war dreißig Jahre in Russland und weiß, wie es da zugeht.

Es ist eine aufgewärmte Russophobie, wie sie bei uns schon seit 15 Jahren strategisch gefahren wird. Das hat ja so seine Geschichte aus den 1990er Jahren mit Brzezinski etc...

Was sehen die Leser hier im Folgenden in Deiner Bildgalerie?

Vier Stunden politische Party mit Böllerwürfen von ungefähr zehn Jugendlichen. Das ist sehr, sehr begrenzt. Ansonsten Volksfest, Kaffee trinken, Wein trinken im Cafe nebenan und zwischendurch immer mal wieder auf die Demo gehen. Eigentlich eine lockere, friedliche Atmosphäre, aber auch ein sich Üben – viele haben Sturmhauben und Masken dabei – ein sich Üben in wer weiß, was vielleicht noch kommen kann und wir wollen innerlich das schon mal durchgespielt haben.

Was wäre deine Headline über diesen Tage in Tiflis?

Bühne für irgendwas. Ob das jetzt authentisch ist, weiß ich nicht. Es ist eine Szenerie, es ist eine – ich will nicht sagen Inszenierung – aber eine Choreografie.

Danke für das Gespräch und die Aufnahmen aus Tiflis!

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