Der Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz (VerfGH RP) entschied am 21.3.2025 (VGH O 11/24), dass es rechtens war, dass die damalige Ministerpräsidentin Malu Dreyer die AfD aus ihrem Amt heraus als rechtsextreme Bedrohung der Demokratie bezeichnete. In Pressemitteilungen vom 18.1.2024 und einem Instagram-Post vom 15.1.2024 hatte sie die AfD scharf angegriffen, etwa als Partei der „Kälte“ und des „Gegeneinanders“, die Vertreibung und Deportation aus rassistischen Gründen plane. Dies folgte zeitlich auf einen CORRECTIV-Artikel vom 10.1.2024 über ein Treffen in Potsdam zur „Remigration“. Der AfD-Landesverband Rheinland-Pfalz sah darin eine Verletzung der parteipolitischen Neutralität und der Chancengleichheit (Art. 21 GG) und klagte. Der VerfGH wies die Klage ab: Zwar sei das Neutralitätsgebot verletzt, doch dies sei gerechtfertigt, da die AfD die freiheitlich-demokratische Grundordnung gefährde – gestützt auf Verfassungsschutzberichte und Gerichtsurteile, die sie als Verdachtsfall oder teilweise gesichert rechtsextrem einstufen. Die Verfassung sei nicht neutral gegenüber ihren Feinden, weshalb die Regierung Gefahren namentlich benennen dürfe.
Prof. Schwab hält das Urteil für rechtlich unhaltbar und nennt drei Hauptgründe.
Erstens hätte der VerfGH nicht auf Verfassungsschutzberichte vertrauen dürfen, ohne deren Quellen (z. B. V-Leute) selbst zu prüfen. Das Bundesverfassungsgericht hatte im NPD-Verbotsverfahren (2017) klargestellt, dass solche Informationen wegen des Gebots der Staatsfreiheit problematisch sind. Der VerfGH habe versäumt, eigene Tatsachenfeststellungen zu treffen, und die Berichte unkritisch übernommen.
Zweitens fehle jede Begründung, warum die AfD nicht im regulären politischen Wettbewerb bekämpft werden könne. Das Urteil ignoriere, dass die Regierung selbst von einer „großen Mehrheit“ spreche, die Rechtsradikale ablehne – warum also ein staatlicher Eingriff nötig sei, bleibe ungeklärt. Zudem hätte die Regierung reflektieren müssen, ob ihr eigenes Versagen (etwa bei der Ahrtal-Flut 2021 oder der Corona-Politik) den AfD-Zulauf fördere, statt diesen allein auf Rechtsextremismus zu schieben.
Drittens sei der CORRECTIV-Artikel, auf den sich die Äußerungen stützen, unbrauchbar. Er sei journalistisch fragwürdig, da er Bericht und Kommentar vermenge (§ 6 Medienstaatsvertrag), und enthalte keine Belege für „Vertreibungspläne“ – CORRECTIV selbst widersprach vor Gericht solchen Aussagen. Zudem könnten die verdeckten Recherchen (etwa mit Geheimdienstmethoden) ein Beweisverwertungsverbot auslösen, zumal unklar bleibt, ob der Verfassungsschutz involviert war. Die Regierung hätte diesen Artikel nie als Grundlage nutzen dürfen.
Schwab sieht im Urteil einen Mangel an Selbstkritik bei Regierung und Justiz. Die Landesregierung habe durch Versagen (z. B. Ahrtal, Corona) Vertrauen verspielt, was den AfD-Aufstieg mit erklären könne. Das Urteil schwäche das Vertrauen in die Justiz weiter, da es keine Ursachenforschung betreibe. Dies könne langfristig zu Chaos führen, wenn Menschen den Glauben an staatliche Institutionen verlören und eigenes Recht suchten. Das Urteil sei ein Beispiel für eine abgehobene Elite, die sich nicht hinterfrage, und daher rechtlich wie gesellschaftlich fatal.
Von Prof. Dr. Martin Schwab
Der Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz (VerfGH RP) hat es mit Urteil vom 21.3.2025 – VGH O 11/24 für rechtens erklärt, dass die Ministerpräsidentin des Landes Rheinland-Pfalz aus ihrem Amt heraus die AfD als rechtsextreme Feinde der Demokratie brandmarkte, die den gesellschaftlichen Diskurs radikalisiere und die Vertreibung und Deportation von Menschen aus rassistischen Gründen fordere. Das Urteil leidet an schwerwiegenden juristischen Mängeln.
I. Was war passiert?
Die damalige Ministerpräsidentin des Landes Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer, hatte auf der Homepage der rheinland-pfälzischen Landesregierung u.a. die folgenden Pressemitteilungen veröffentlichen lassen:
1. Eine Pressemitteilung mit folgendem Zitat des Trägers der Carl-Zuckmayer-Medaille, Matthias Brandt:
„Von Tag zu Tag mehr entblößt sich die AfD gerade als offen rechtsextreme, antidemokratische, antieuropäische, toleranz- und freiheitsfeindliche Partei. Es ist eine Partei der Kälte, der Teilnahmslosigkeit und des Gegeneinanders, die noch nie einen konstruktiven gesellschaftlichen Beitrag geleistet hat, sondern sich stattdessen auf’s Pöbeln verlegt. Das hatten wir schon mal. Eine große Mehrheit der Bevölkerung will mit Rechtsradikalen nichts zu tun haben und diese Mehrheit zeigt das jetzt auch. Deswegen ist es großartig, dass Mainz heute auf die Straße geht.“
2. Eine weitere Pressemitteilung, in der es hieß:
„Die aktuell öffentlich gewordenen Vertreibungspläne seien ein erschreckender Höhepunkt des rechtsextremen Gedankenguts, das auch führende Köpfe der AfD verbreiteten. ‚Rechtsextremisten bedrohen unsere Demokratie‘, so die Ministerpräsidentin weiter. Die AfD sei in drei Bundesländern bereits als gesichert rechtsextrem eingestuft, ihre Jugendorganisation bundesweit als Verdachtsfall geführt. Einen ihrer zentralen Köpfe dürfe man gerichtsfest als Faschisten bezeichnen. Auch Mitglieder der AfD Rheinland-Pfalz seien in rechtsradikalen Zusammenhängen unterwegs. ‚Das alles zeigt: Auch in Rheinland-Pfalz geht es nicht um Geschmacksfragen oder politische Moral. Hier geht es um eine Überlebensfrage der Demokratie. Wenn Rechtsextremisten an die Macht gelangen, dann ist die Demokratie am Ende.‘ Viele Menschen wünschten sich nun ein Verbot der Partei. Ob die Voraussetzungen dafür vorliegen, müsse akribisch geprüft und die Möglichkeiten des Rechtsstaates ausgeschöpft werden. Klar sei aber auch: Ein solcher Weg sei langwierig, risikoreich und auch politisch umstritten. Und die Hürden seien zu Recht hoch.“
3. Außerdem hatte die Ministerpräsidentin des Landes Rheinland-Pfalz auf einem Instagram-Account, den sie in ihrer Eigenschaft als Ministerpräsidentin betrieb und der seit ihrem Rücktritt nahtlos von ihrem Nachfolger fortgeführt wird, bereits am 15.1.2024 den folgenden Text veröffentlicht:
„Der Begriff ‚Remigration‘ verschleiert, was die AfD und andere rechtsextreme Verfassungsfeinde vorhaben: Sie planen die Vertreibung und Deportation von Millionen Menschen aus rassistischen Motiven. So verschieben sie die Grenze weiter nach rechts und radikalisieren den gesellschaftlichen Diskurs. Der Begriff ‚Remigration‘, der zum ‚Unwort des Jahres 2023‘ gewählt wurde, soll verschleiern und verharmlosen, was die AfD und andere rechtsextreme Verfassungsfeinde in Deutschland planen: die Vertreibung und Deportation von Millionen Menschen aus rassistischen Motiven. So verschieben sie die Grenze weiter nach rechts und radikalisieren den gesellschaftlichen Diskurs. Die AfD ist ein Fall für die Verfassungsschutz- und Strafverfolgungsbehörden, die diese Partei genau im Blick haben. In Deutschland haben wir schon einmal die schreckliche Erfahrung gemacht: Rechtsextremisten tun, was sie sagen und sie sagen, was sie tun. Die Bundesrepublik ist genau aus dieser Erfahrung heraus als eine wehrhafte Demokratie aufgebaut worden. Die Politik der AfD und ihrer rechtsextremen Netzwerke macht ganz vielen Menschen in Deutschland Angst. Das können wir nicht dulden und deshalb sende ich an alle Bürger und Bürgerinnen, die von der AfD zum Feind erklärt wurden, ein klares Signal der Solidarität und des Schutzes durch den demokratischen Rechtsstaat.“
II. Wie sind die Pressemitteilungen zeitlich einzuordnen?
Zur zeitlichen Einordnung ist folgende Information von Bedeutung: Die beiden streitgegenständlichen Pressemitteilungen datieren vom 18.1.2024 – genau acht Tage, nachdem CORRECTIV die Framing-Geschichte „Geheimplan gegen Deutschland“ veröffentlicht und darin eine Zusammenkunft von Menschen in einem Potsdamer Hotel beleuchtet hatte, in der es um die „Remigration“ von Menschen gegangen sein soll, die angeblich aus Sicht der Teilnehmer dieser Zusammenkunft in Deutschland nicht hinreichend assimiliert seien. Soweit in der zweiten Pressemitteilung auf die „aktuell öffentlich gewordenen Vertreibungspläne“ Bezug genommen wird, lässt sich dies als Bezugnahme auf eben diesen CORRECTIV-Artikel deuten. Gleiches gilt für den am 15.1.2024, also bereits fünf Tage nach Veröffentlichung des CORRECTIV-Artikels, geposteten Instagram-Text der damaligen Ministerpräsidentin des Landes Rheinland-Pfalz, soweit dort davon die Rede ist, die AfD und andere Verfassungsfeinde planten „die Vertreibung und Deportation von Millionen Menschen aus rassistischen Motiven“. Genau diese Botschaft hatte nämlich auch besagter CORRECTIV-Artikel an seine Leserschaft aussenden wollen (näher unten IV.3.).
In der Zeit nach Veröffentlichung dieses Artikels fanden bundesweit zahlreiche Demonstrationen statt, in denen vor dem – auch Sicht der Organisatoren – angeblich drohenden Wiedererstarken von Faschismus und Rechtsextremismus gewarnt wurde. Im hier besprochenen Urteil des VerfGH RP findet der CORRECTIV-Artikel selbst keine Erwähnung. Wie sich zeigen wird, ist die Bezugnahme auf diesen Artikel jedoch für die rechtliche Bewertung von Bedeutung.
III. Wie hat der Verfassungsgerichtshof entschieden?
Der AfD-Landesverband Rheinland-Pfalz hatte die Feststellung begehrt, dass die Ministerpräsidentin und die Landesregierung von Rheinland-Pfalz mit diesen beiden Pressemitteilungen das Recht auf Chancengleichheit der Parteien verletzt hätten.
Der VerfGH hat im hier besprochenen Urteil diese Anträge zurückgewiesen. Die Begründung lautet, kurz gefasst, wie folgt:
1. Es treffe zwar zu, dass die Landesregierung und auch die Ministerpräsidenten verpflichtet gewesen seien, bei ihren amtlichen Verlautbarungen parteipolitische Neutralität zu wahren. Chancengleichheit der Parteien im politischen Wettbewerb (Art. 21 GG, Art. 17 Verfassung des Landes Rheinland-Pfalz) bedeute unter anderem, dass die Organe des Staates sich aus diesem Wettbewerb herauszuhalten hätten. Sie dürften sich aus dem Amt heraus weder zugunsten noch zu Lasten einer bestimmten Partei äußern. Dieses Neutralitätsgebot sei mit den beiden streitgegenständlichen Pressemitteilungen nicht gewahrt worden.
2. Die Verletzung des Neutralitätsgebots sei aber vorliegend verfassungsrechtlich gerechtfertigt, weil die AfD ihrerseits die freiheitlich-demokratische Grundordnung gefährde. Die Verfassung sei gegenüber ihren Feinden gerade nicht neutral. Die Landesregierung und ihre Mitglieder dürften daher im Rahmen ihrer Öffentlichkeit auf Gefahren für jene Grundordnung hinweisen und dabei auch – salopp gesprochen – Ross und Reiter beim Namen nennen, d.h. namentlich benennen, von wem die Gefahr ausgehe. Auf die Möglichkeit eines Parteiverbotsverfahrens gegen die AfD könnten die Landesregierung und die Ministerpräsidenten nicht verwiesen werden, da sie für ein solches Parteiverbotsverfahren nicht antragsberechtigt seien.
Die Annahme, dass es sich bei der AfD um eine Partei handle, welche die freiheitlich-demokratische Grundordnung gefährde, ergebe sich aus den Berichten der Verfassungsschutzbehörden und aus mehreren Gerichtsurteilen, welche die Einstufung der AfD als Rechtsextremismus-Verdachtsfall bzw. einzelne ihrer Teilorganisationen sogar als gesichert rechtsextrem bestätigt hätten. Das wird auf etlichen Seiten ausgeführt.
IV. Warum lässt sich das Urteil rechtlich nicht halten?
Das Urteil des VerfGH RLP lässt sich aus mehreren Gründen nicht halten.
Erstens hätte der Gerichtshof sich nicht auf die Berichte der Verfassungsschutzbehörden verlassen dürfen, sondern eigene Ermittlungen anstellen müssen (1.).
Zweitens fehlt jegliche Reflexion über die Gründe, warum sich die angebliche Gefahr für die freiheitlich-demokratische Grundordnung nicht mit den Mitteln des parteipolitischen Wettbewerbs selbst eliminieren ließ (2.).
Drittens ist der CORRECTIV-Artikel vom 10.1.2024 journalistisch so offensichtlich wertlos, dass die Ministerpräsidentin und die Landesregierung von Rheinland-Pfalz ihn niemals als Referenzquelle für ihre öffentliche Kritik an der AfD hätten nutzen dürfen (3.).
1. Verfassungsschutzberichte als Erkenntnisquelle?
Die Argumentation des VerfGH RP steht und fällt mit der Prämisse, dass es sich bei der AfD tatsächlich um eine verfassungsfeindliche Partei handelt. Um dies zu belegen, zieht der Gerichtshof zwei Erkenntnisquellen heran: zahlreiche Berichte der Verfassungsschutzbehörden und einige Gerichtsurteile, in denen es um die politische Einordnung der AfD geht.
Der unreflektierte Rückgriff auf Berichte der Verfassungsschutzbehörden erscheint indes problematisch. Das Bundesverfassungsgericht hatte im NPD-Verbotsverfahren (BVerfG, Urteil vom 17.1.2017 – 2 BvB 1/13) Folgendes ausgesprochen (amtliche Leitsätze 2a-c):
„Die Tätigkeit von V-Leuten und Verdeckten Ermittlern auf den Führungsebenen einer Partei während eines gegen diese laufenden Verbotsverfahrens ist mit dem Gebot strikter Staatsfreiheit nicht vereinbar.“
„Gleiches gilt, soweit die Begründung eines Verbotsantrages auf Beweismaterialien gestützt wird, deren Entstehung zumindest teilweise auf das Wirken von V-Leuten oder Verdeckten Ermittlern zurückzuführen ist.“
„Der Grundsatz des fairen Verfahrens gebietet, dass die Beobachtung einer Partei während eines laufenden Verbotsverfahrens durch den Verfassungsschutz nicht dem Ausspähen ihrer Prozessstrategie dient und dass im Rahmen der Beobachtung erlangte Informationen über die Prozessstrategie im Verfahren nicht zulasten der Partei verwendet werden.“
Das BVerfG hielt es zwar für möglich, dass trotz erheblicher Verfassungsverstöße das Verbotsverfahren fortgesetzt werde, wenn dies nach einer Abwägung mit den von der Partei ausgehenden Gefahren geboten sei (Rn. 426 des soeben zitierten Urteils), musste dieser Frage aber nicht nachgehen, weil die V-Leute rechtzeitig abgezogen worden waren.
Was bedeutet dies für den hier gegebenen Fall? Die Verunglimpfung der AfD durch eine Landesregierung und durch die Ministerpräsidentin eines Bundeslandes repräsentiert gewiss bei weitem nicht die Eingriffstiefe eines Verbotsverfahrens.
Aber die Stoßrichtung ist exakt dieselbe: Regierung und Ministerpräsidenten reklamierten für sich die Befugnis, in Ausübung ihres Amtes die AfD aus dem Spektrum jener Parteien zu verbannen, die auf dem Boden des Grundgesetzes stehen. Und der VerfGH RP führt selbst aus, die Ministerpräsidentin und die Landesregierung könnten nicht auf ein Parteiverbotsverfahren verwiesen werden, weil sie gar nicht berechtigt wären, ein solches zu beantragen.
Anders gewendet: Der VerfGH RP meint, die AfD habe durch Verlautbarungen aus der Staatskanzlei verunglimpft werden dürfen, weil sich die Regierung gar nicht mehr anders zu helfen gewusst habe, um auf die – angeblichen – Gefahren für die freiheitliche Demokratie durch die AfD hinzuweisen.
Wenn aber die amtliche Diskreditierung der AfD auf diese Weise funktional ein Parteiverbotsverfahren substituiert, gelten für Ministerpräsidentin und Landesregierung dieselben rechtsstaatlichen Standards: V-Leute des Verfassungsschutzes müssen in dem vom BVerfG genannten Umfang abgezogen werden, bevor seitens der Staatskanzlei zu öffentlichen Verlautbarungen der hier geschehenen Art gegriffen wird.
Der VerfGH RP hätte daher eigene Nachforschungen anstellen müssen, woher die Verfassungsschutzbehörden ihre Informationen über die AfD bezogen haben. Es fällt außerdem auf, dass die Passagen, die der VerfGH RP aus den Verfassungsschutzberichten wörtlich zitiert, sehr allgemein gehaltene Wertungen haben, die ihrerseits offenlassen, auf welche Tatsachen und Beweismittel sie gestützt sind.
Eben diesen Tatsachen hätte der VerfGH RP indes auf den Grund gehen müssen. Dies geschieht indes nur in Ansätzen, indem zwei längere wörtliche Zitate von AfD-Politikern wiedergegeben werden.
Die Feststellung, ob eine Partei die freiheitlich-demokratische Grundordnung bekämpft, unterliegt mit Blick auf das Gebot des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) der vollen verfassungsgerichtlichen Kontrolle. Der VerfGH RP hätte die Berichte der Verfassungsschutzbehörden daher niemals einfach für bare Münze nehmen dürfen.
2. Staatlich gelenkter parteipolitischer Wettbewerb?
Öffentliche Äußerungen einer Regierung oder eines Regierungsmitglieds in amtlicher Eigenschaft, die sich zugunsten einer bestimmten Partei aussprechen oder gegen eine bestimmte Partei wenden, stellen einen staatlichen Eingriff in den parteipolitischen Wettbewerb und damit einen Eingriff in den verfassungsrechtlich verbürgten Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien dar.
Wenn dieser Eingriff mit dem Argument gerechtfertigt wird, es gelte die freiheitlich-demokratische Grundordnung gegen ihre Feinde zu verteidigen, erfordert dies den Beleg, dass ohne einen solchen staatlichen Eingriff, bei ungehindertem freiem politischem Wettbewerb - das verfassungsfeindliche Gedankengut, das von der betroffenen Partei ausgeht, mehrheitsfähig werden könnte.
Nach einem solchen Beleg wird vom VerfGH RP nicht einmal in Ansätzen geforscht.
Solche Nachforschungen wären indes geboten gewesen. Denn auch zu diesem Aspekt enthält das NPD-Urteil des BVerfG interessante Aussage. Gemäß Leitsatz 6c dieses Urteils bedarf es für ein Parteiverbot
„konkreter Anhaltspunkte von Gewicht, die einen Erfolg des gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland gerichteten Handelns zumindest möglich erscheinen lassen.“
Diese Überlegung des BVerfG trifft nicht nur auf ein Verbotsverfahren, sondern auf jeglichen staatlichen Eingriff in den parteipolitischen Wettbewerb zu.
Die erste oben zitierte Pressemitteilung zeigt indes, dass die Landesregierung von Rheinland-Pfalz dem Gedankengut, das sie bekämpfen will, selbst keine Chance attestiert, mehrheitsfähig zu werden. Ich erinnere an den letzten Satz dieser Pressemitteilung:
„Eine große Mehrheit der Bevölkerung will mit Rechtsradikalen nichts zu tun haben und diese Mehrheit zeigt das jetzt auch. Deswegen ist es großartig, dass Mainz heute auf die Straße geht.“
Wenn es also zutrifft, dass eine „große Mehrheit“ (a) die AfD für verfassungsfeindlich hält und daher (b) diese Partei und ihre politischen Ziele ablehnt, hätte es des Nachweises bedurft, welche Anhaltspunkte von erheblichem Gewicht trotzdem einen staatlichen Eingriff in den parteipolitischen Wettbewerb in Gestalt einer regierungsamtlichen Verlautbarung erforderlich machten.
Freilich ist eines nicht zu leugnen: Die Wahlergebnisse und Umfragewerte der AfD zeigen, dass die AfD deutlich mehr Zulauf hat, als die NPD jemals für sich verbuchen konnte. Nun kommt aber ein weiterer Aspekt hinzu: Es wäre nach den Gründen zu fragen, warum die AfD diesen Zulauf verzeichnet.
Wann immer eine neue politische Kraft erstarkt, gewinnt sie ihre Stimmenanteile zulasten der bisher etablierten Parteien. Die Menschen, die die AfD wählen, geben zum Ausdruck, dass sie mit dem politischen Auftritt von CDU, CSU, SPD, Grünen, FDP und Linken nicht mehr zufrieden sind und diesen Parteien und ihren Repräsentanten nicht mehr vertrauen.
Dieser Vertrauensverlust und diese Unzufriedenheit können zahlreiche Gründe haben, die auf Umständen beruhen, welche die bisher etablierten Parteien nicht oder kaum beeinflussen können. Wenn aber der Staat in Gestalt einer regierungsamtlichen Verlautbarung in den parteipolitischen Wettbewerb eingreift, ist die Regierung mindestens gehalten, vor der Veröffentlichung dieser Verlautbarung selbstkritisch zu reflektieren, ob sie das Vertrauen der Menschen in einer Weise verspielt hat, die sie selbst zu vertreten hat.
Eine Regierung, die durch eigenes schuldhaftes Versagen einer bestimmten Partei die Wähler in die Arme treibt, verhält sich widersprüchlich, wenn sie anschließend vor eben dieser Partei warnt.
Gerade die Landesregierung in Rheinland-Pfalz muss sich hier ganz besonders nachdrücklich an die eigene Nase fassen – wegen ihres fundamentalen Versagens im Rahmen der Flutkatastrophe im Ahrtal im Sommer 2021. Der FOCUS berichtete am 26.1.2025 von einer Familie, die nach dreieinhalb Jahren immer noch nicht die damals versprochene Hilfe erhalten hat und nun vor dem finanziellen Ruin steht. Selbst wenn das ein Einzelfall wäre, was wenig wahrscheinlich ist, ist dieser Umgang mit hilfsbedürftigen Menschen eine Katastrophe.
Auch die Landesregierung von Rheinland-Pfalz hat die Corona-Politik mit ihren dramatischen Grundrechtseinschränkungen mitgetragen – jene Politik, deren Evidenzlosigkeit spätestens durch die RKI-Protokolle offen zutage getreten ist, die sich aber auch schon vorher anhand von offiziellen amtlichen Quellen hatte belegen lassen.
Zahlreiche dieser Quellen habe ich in einem Schriftsatz am 4.2.2024 in einem Normenkontrollverfahren für die Sängerin Julia Neigel vor dem OVG Bautzen zusammengetragen. Das Verfahren richtet sich gegen zwei sächsische Corona-Verordnungen aus dem November 2021 und ist immer noch anhängig. Und wie wir alle wissen, hat sich das Gerede von den nebenwirkungsfreien Impfungen ebenfalls als Täuschung der Bevölkerung erwiesen.
Würde man die Suche nach den Gründen für den Vertrauensverlust der etablierten Parteien vertiefen und in die jüngere Zeit verlängern, würde sich eine ellenlange Liste ergeben.
Man kann nun die Frage stellen, warum die Menschen sich dann ausgerechnet zur AfD hingezogen fühlen. Liegt das wirklich daran, dass die Menschen sich aus Verzweiflung in den Rechtsextremismus flüchten? Oder könnte es vielleicht sein, dass die Menschen der Einstufung der AfD durch die Verfassungsschutzbehörden nicht vertrauen? Weil sie nämlich wissen, dass diese Behörden von Politikern eben jener Parteien gelenkt werden, von denen sie – die AfD-Wähler – sich abgewandt haben?
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3. CORRECTIV
In der zweiten oben zitierten Pressemitteilung werden die „aktuell öffentlich gewordenen Vertreibungspläne“ angesprochen, für welche die AfD angeblich stehen soll. In der dritten Verlautbarung (dem Instagram-Post von Malu Dreyer) heißt es zu Beginn:
„Der Begriff ‚Remigration‘ verschleiert, was die AfD und andere rechtsextreme Verfassungsfeinde vorhaben: Sie planen die Vertreibung und Deportation von Millionen Menschen aus rassistischen Motiven.“
Diese beiden Passagen können angesichts des Zeitpunkts ihrer Veröffentlichung (18.1.2024 bzw. 15.1.2024) nur als Bezugnahme auf den oben (II.) erwähnten CORRECTIV-Artikel verstanden werden. Dieser Artikel gibt indes diese Behauptung selbst nicht her (sogleich a), ist journalistisch so offensichtlich wertlos, dass er als Grundlage regierungsamtlicher Verlautbarungen nicht taugt (sogleich b) und dürfte, selbst wenn er irgendwelche belastbaren Informationen enthielte, wegen eines Beweisverwertungsverbots nicht verwendet werden (sogleich c).
a) CORRECTIV behauptet selbst keine Deportationspläne beim Potsdamer Treffen
Der Cicero enthüllte am 3.3.2024 die folgenden interessanten Passagen aus einem Schriftsatz, den CORRECTIV vor Gericht vorlegte:
„Allen Teilnehmer*innen des Potsdamer Treffens war bewusst, dass eine unmittelbare Ausweisung von Menschen, die aktuell über die deutsche Staatsbürgerschaft verfügen, eine derzeit nicht lösbare juristische Schwierigkeit darstellt. (…) Demnach ist in diesem Verfahren nicht umstritten, dass auf dem Treffen unter den Teilnehmern im Rahmen der Diskussion nicht weiter erörtert wurde, welche Möglichkeiten bestehen, aktuell deutsche Staatsbürger mit deutschem Pass unmittelbar auf Grundlage rassistischer Kriterien auszuweisen. Die eidesstattliche Versicherung des Antragstellers suggeriert demnach einen Sachverhalt, der nicht Gegenstand der faktischen Schilderungen des streitgegenständlichen Artikels ist.
Die von dem Antragsteller vorgelegte eidesstattliche Versicherung geht also an der Sache vorbei. Eine derartige Tatsachenbehauptung, die dem Beweise oder der Glaubhaftmachung zugänglich wäre, wird in dem streitgegenständlichen Artikel nicht erhoben. Im Gegenteil: Die deutsche Staatsbürgerschaft hat Sellner in seinen Ausführungen ausdrücklich als juristische Sperre für eine Ausweisung anerkannt. Und allen Anwesenden war bewusst, dass insbesondere die grundrechtlichen Hürden dafür zu hoch sind. Dementsprechend entwickelte sich unter den Teilnehmern auch keine Diskussion darüber. Über eine solche Diskussion, inwiefern aktuelle „deutsche Staatsbürger mit deutschem Pass“ ausgewiesen werden könne, berichtet die Antragsgegnerin nicht.“
Von „aktuell bekannt gewordenen Vertreibungsplänen“, die in Potsdam geschmiedet worden sein sollen und von denen der zweite und der dritte streitgegenständliche Text künden, hat es also selbst nach CORRECTIV-Angaben nie gegeben. Dann durfte darauf aber auch keine Pressemitteilung der Landesregierung und kein regierungsamtlicher Instagram-Post der damaligen Ministerpräsidentin gestützt werden.
b) Der CORRECTIV-Artikel im Konflikt mit dem Medienstaatsvertrag
Wie zu zeigen wird, werden in dem CORRECTIV-Artikel „Geheimplan gegen Deutschland“ Information und Wertung so beharrlich miteinander vermengt, dass der gesamte Beitrag massiv gegen § 6 Abs. 1 Satz 3 Medienstaatsvertrag verstößt – gegen das Gebot, Berichterstattung und Kommentar deutlich zu trennen. Das mag die nachstehende Analyse verdeutlichen.
Schon der Einleitungstext zeigt, wo es langgeht: „Hochrangige AfD-Politiker, Neonazis und finanzstarke Unternehmer“ hätten sich in Potsdam getroffen und „die Vertreibung von Millionen von Menschen aus Deutschland“ geplant. Von diesem Treffen habe „niemand erfahren“ sollen. Dem Leser sollen also Informationen vermittelt werden, die er vorher noch nicht haben konnte: Es wird mithin der Anspruch einer „Berichterstattung“ i.S. des § 6 Abs. 1 Satz 3 MStV erhoben.
Wer bei jenem Treffen sonst noch dabei gewesen sein soll, erfährt der Leser erst später. Offenbar waren auch ganz „normale“ Menschen zugegen; die Rede ist u.a. von „Bürgertum und Mittelstand“. Aber eine Mit-Betreiberin des Hotels weise eine „Nähe zu rechen Kreisen“auf. Verwiesen wird dazu auf einen Artikel in der ZEIT, der zuletzt am 11.1.2024 (also einen Tag nach Erscheinen der CORRECTIV-Geschichte) aktualisiert wurde, aber wohl schon vorher existiert hatte und der sich hinter einer Bezahlschranke verbirgt.
Der CORRECTIV-Leser kann also die angebliche „Nähe zu rechten Kreisen“ nicht ohne zusätzlichen – auch finanziellen – Aufwand nachprüfen. Und einer der Gastgeber, Gernot Mörig, bewege sich „fast sein ganzes Leben in der rechtsextremen Szene“. „Rechts“ und „rechtsextrem“ scheinen synonym verwendet zu werden. Und welche Tatsachen das Umfeld von Gernot Mörig zur „rechtsextremen Szene“ stempeln, wird ebenfalls nicht mitgeteilt. Es handelt sich hier nicht mehr um eine „Berichterstattung“, also nicht mehr um eine bloße Mitteilung von Tatsachen, sondern um deren Bewertung, mithin um einen „Kommentar“ i. S. des § 6 Abs. 1 Satz 3 Medienstaatsvertrag.
Auf jeden Fall hat der Leser jetzt schon keine andere Chance mehr, als zu glauben: Jene, die sich da getroffen haben, sind „rechts“ und „Nazi“. Und in diesem Stil geht es weiter. Das wichtigste Ziel der Teilnehmer dieses Treffens soll gewesen sein:
„Menschen sollen aufgrund rassistischer Kriterien aus Deutschland vertrieben werden können – egal, ob sie einen deutschen Pass haben oder nicht.“
Die Zusammenkunft sei „weit mehr als nur ein Treffen rechter Ideologen“; es seien „Menschen mit Einfluss innerhalb der AfD“ dabei. Jenes Treffen belege, dass „rassistische Einstellungen bis in die Bundesebene“ der AfD reichten. „Und es soll nicht bei der Haltung bleiben; einige der Politiker wollen auch danach handeln“.
Die Dramaturgie der Geschichte wird dann mit folgendem Textabsatz intensiviert:
„Was dort an diesem Wochenende entworfen wird, ist ein Angriff auf die Existenz von Menschen. Und es ist nicht weniger als ein Angriff gegen die Verfassung der Bundesrepublik.“
Im Prinzip kann der Leser den Artikel schon jetzt beiseitelegen. Bei ihm bleibt zwangsläufig der Eindruck: Alles Nazis, die sich da in Potsdam getroffen haben. Und die Rassenideologie ist wieder da.
In der Einladung zu dem „Geheimtreffen“ sei, so heißt es dann weiter, ein Vortrag von Martin Sellner angekündigt worden. Er sei denn auch der erste Redner gewesen, und zwar zum Thema „Remigration“. Gernot Mörig habe diesen Vortrag anmoderiert und den Begriff der Remigration mit der Frage verknüpft, „ob wir als Volk im Abendland noch überleben oder nicht“. Die Gespräche an diesem Abend, so heiß es bei CORRECTIV weiter, hätten an diesem Abend vor allem das Thema der Remigration zum Gegenstand gehabt.
Martin Sellner wolle Asylbewerber, Ausländer mit Bleiberecht und sog. „nicht assimilierte Staatsbürger“ aus Deutschland verdrängen. CORRECTIV ordnet seine Überlegungen wie folgt ein:
„Im Grunde laufen die Gedankenspiele an diesem Tag alle auf eines hinaus: Menschen sollen aus Deutschland verdrängt werden können, wenn sie die vermeintlich falsche Hautfarbe oder Herkunft haben – und aus Sicht von Menschen wie Sellner nicht ausreichend ‚assimiliert‘ sind. Auch wenn sie deutsche Staatsbürger sind. Es ist gegen die Existenz von Menschen in diesem Land gerichtet. Das wäre ein Angriff auf das Grundgesetz – auf das Staatsbürgerrecht und auf den Gleichheitsgrundsatz.“
In diesen Zeilen kommt eine Bewertung (Kommentar) der zuvor mitgeteilten Tatsachen (Berichterstattung) zum Vorschein. Es zeigt sich, wo das rechtliche Problem liegt: Der CORRECTIV-Beitrag ignoriert durchgängig das in § 6 Abs. 1 Satz 3 MStV verankerte Gebot, Berichterstattung und Kommentar zu trennen. Dem Leser wird nicht klar gesagt, an welcher Stelle ihm nur Informationen an die Hand gegeben werden sollen und an welcher Stelle die Autoren auf seine Meinungsbildung Einflussnehmen und ihn von einer bestimmten Bewertung der Tatsachen überzeugen wollen. Genau das muss dem Leser aber klar gesagt werden: Eben dies ist der Sinn von § 6 Abs. 1 Satz 3 MStV.
Im Folgenden werden die Reaktionen anderer Teilnehmer des Treffens nachgezeichnet, und zwar wieder im Stil einer Berichterstattung. Es wird deutlich: Die angeblich unerwünschte Zielgruppe soll, soweit sie die deutsche Staatsbürgerschaft innehat, nicht ausgewiesen und abgeschoben, sondern weggeekelt werden: Es solle „Anpassungsdruck“ ausgeübt und das Leben in Deutschland für die betroffenen Menschen „unattraktiv“ gemacht werden.
Zum angeblichen „Masterplan“ von Martin Sellner gehöre, so erfährt der Leser einige Absätze später,
„auch ein ‚Musterstaat‘ in Nordafrika. Sellner erklärt, in solch einem Gebiet könnten bis zu zwei Millionen Menschen leben. Dann habe man einen Ort, wo man Leute ‚hinbewegen‘ könne. Dort gebe es die Möglichkeit für Ausbildungen und Sport. Und alle, die sich für Geflüchtete einsetzten, könnten auch dorthin.“
Sofort wird dem Leser suggeriert, was er von dieser Idee halten soll:
„Was Sellner entwirft, erinnert an eine alte Idee: 1940 planten die Nationalsozialisten, vier Millionen Juden auf die Insel Madagaskar zu deportieren. Unklar ist, ob Sellner die historische Parallele im Kopf hat. Womöglich ist es auch Zufall, dass die Organisatoren gerade diese Villa für ihr konspiratives Treffen gewählt haben: Knapp acht Kilometer entfernt von dem Hotel steht das Haus der Wannseekonferenz, auf der die Nazis die systematische Vernichtung der Juden koordinierten.“
Deportation? Das wäre in der Tat empörend. Indes: CORRECTIV behauptet auch hier nicht, dass damals in Potsdam so etwas geplant worden sei. Das dort Besprochene „erinnere“ nur an die Madagaskar-Pläne. Diese Assoziation in Verbindung mit dem Haus der Wannseekonferenz soll dem Leser jedoch keine andere Chance lassen, als zu denken, es sei auch in Potsdam über eine solche Deportation gesprochen worden. Die Mitteilung der Tatsachen (Berichterstattung) wird so gestaltet, dass sie eine bestimmte Bewertung durch den Leser geradezu erzwingt. Der Leser soll also von eben dieser Bewertung überzeugt werden. Damit wird die Grenze zum Kommentar überschritten und abermals das Trennungsgebot in § 6 Abs. 1 Satz 3 MStV verletzt.
Nachdem weitere Details zu den Plänen beschrieben werden, die Martin Sellner in Potsdam angeblich vorgetragen haben soll, heißt es in dem Artikel:
„Es wird deutlich, wie die Strategien rechtsextremer Akteure und Gruppen ineinandergreifen: Sellner liefert die Ideen, die AfDler greifen sie auf und tragen sie in die Partei. Im Hintergrund kümmern sich andere um die Vernetzung, Vermögende, Mittelständler, bürgerliche Kreise, und immer drehen sich Debatten um eine Frage: Wie lässt sich eine einheitliche völkische Gemeinschaft erreichen?“
Der Beitrag schließt wie folgt:
„Es bleiben zurück: Ein rechtsextremer Zahnarzt, der sein konspiratives Netzwerk offenlegte; ein Treffen von radikalen Rechtsextremen mit Vertretern der Bundes-AfD; ein ‚Masterplan‘ zur Ausweisung von deutschen Staatsbürgern; also ein Plan, um die Artikel 3, Artikel 16 und Artikel 21 des Grundgesetzes zu unterlaufen. Die Offenlegung mehrerer potenzieller Spender für Rechtsextremismus aus dem gehobenen Bürgertum; ein Verfassungsrechtler, der juristische Methoden beschreibt, um demokratische Wahlen systematisch anzuzweifeln; ein Landtagsfraktionsvorsitzender der AfD, der Wahlspenden an der Partei vorbei organisieren will; und ein Hotelbesitzer, der etwas Geld einnehmen konnte, um seine Kosten zu decken.“
Hier wird dann doch von einer „Ausweisung“ gesprochen – obwohl davon zuvor in dem Artikel mit keiner Silbe die Rede war. Und der gesamte Textabsatz enthält eine Bewertung des Treffens. Ein Artikel, der mit dem Anspruch einer Berichterstattung begonnen hatte, endet mit einem Kommentar. Deutlicher kann die Verletzung von § 6 Abs. 1 Satz 3 MStV nicht zum Ausdruck kommen.
Wenn bei dem Potsdamer Treffen tatsächlich darüber gesprochen worden sein sollte, deutsche Staatsbürger mit Migrationshintergrund aus Deutschland hinauszuekeln und Asylbewerber sowie Ausländer mit Bleiberecht pauschal abzuwerten, könnte ich das in keiner Weise mittragen.
ORRECTIV ist jedoch in keiner Weise glaubwürdig. Zu regierungstreu ist der „Journalismus“, den CORRECTIV seit Jahren auf sämtlichen Politikfeldern bietet. Und es spricht Bände, dass dieser Artikel nicht direkt nach dem Treffen vom 25.11.2023 veröffentlicht wurde, sondern mitten während der Bauernproteste im Januar 2024, die die Bundesregierung in arge Bedrängnis brachten.
Medienrechtlich enthält dieser Artikel jedenfalls eine eklatante Verletzung des Gebots der Trennung von Berichterstattung und Kommentar (§ 6 Abs. 1 Satz 3 MStV). Dem Leser wird ein undurchsichtiges Gemenge aus der Mitteilung von Tatsachen und deren Bewertung dargeboten. Niemals darf ein solcher Artikel zur Grundlage einer regierungsamtlichen Verlautbarung gemacht werden, mit der eine bestimmte Partei öffentlich an den Pranger gestellt wird.
c) Beweisverwertungsverbot
Es hinterlässt zudem ein massives Störgefühl, dass CORRECTIV – wie in dem Beitrag offengelegt wird – verdeckt gefilmt hat. Hans-Georg Maaßen hat jüngst instruktiv dargelegt, dass CORRECTIV bei den „Recherchen“ zum Potsdamer Treffen Geheimdienstmethoden angewendet haben (Tichys Einblick vom 1.4.2025). Solche Methoden bedürfen indes einer parlamentsgesetzlichen Ermächtigungsgrundlage und dürfen nur von Einrichtungen angewendet werden, die vom Gesetz dazu autorisiert worden sind.
Zahlreiche Politiker hatten den besagten CORRECTIV-Artikel aufgegriffen und ganz ähnliche Äußerungen veröffentlicht wie jene, die in den hier besprochenen Pressemitteilungen dokumentiert sind. Der AfD-Abgeordnete Leif-Erik Holm wollte daraufhin von der Bundesregierung wissen, ob es für die angeblichen Umsiedlungspläne andere Quellen als jenen CORRECTIV-Artikel gibt. Die Bundesregierung verweigerte die Antwort unter Hinweis auf Sicherheitsbelange (Berliner Zeitung vom 14.3.2024). Eine Antwort auf die Frage, welche Erkenntnisse die Bundesregierung zum Potsdamer Treffen habe, könne Rückschlüsse auf den Erkenntnisstand des Bundesamtes für Verfassungsschutz und ggf. die nachrichtendienstlichen Techniken und Arbeitsweisen ermöglichen.
Dies lässt sich als das Eingeständnis deuten, dass die Beobachtung des Potsdamer Treffens, das in den besagten CORRECTIV-Artikel mündete, mit Wissen und Wollen des Verfassungsschutzes geschehen ist. Dann aber dürften die Informationen (wenn es denn welche wären, siehe oben IV.3.b) aus den oben IV.1. genannten Gründen nicht bei einer regierungsamtlichen Äußerung zum Nachteil der AfD verwendet werden. Nicht anders verhält es sich indes, wenn CORRECTIV als privatrechtlicher Akteur auf eigene Faust mit Geheimdienstmethoden recherchiert hat. Denn dazu ist CORRECTIV nicht befugt.
V. Ausblick
Indem der VerfGH RP hinsichtlich der soeben aufgelisteten Bedenken keinerlei Problembewusstsein zeigt, hinterlässt sein Urteil einen fatalen Eindruck – den Eindruck der Selbstakklamation von Funktionseliten, die in einer abgeschlossenen Blase leben und nicht bereit sind, sich selbst auch nur ansatzweise zu hinterfragen. Das Vertrauen der Menschen in die Justiz dürfte durch dieses Urteil kaum gestärkt worden sein. Vertrauen ist eine Gemütsregung, die man nicht voraussetzen und schon gar nicht einfordern kann, sondern einwerben muss. Wenn ein Gericht erkennt, dass die Menschen das Vertrauen in die bisher staatstragenden Parteien verlieren, und die Sorge hegt, sie könnten jenes Vertrauen stattdessen einer verfassungsfeindlichen Partei schenken, muss es den Ursachen dieses Vertrauensverlustes auf den Grund gehen. Unterlässt es dies (wie dies hier leider der VerfGH RP getan hat), so verliert auch die Rechtsprechung nach und nach das Vertrauen der Menschen. Eine solche Entwicklung kann bedrohliche Züge annehmen. Denn wenn die Menschen den Gerichten nicht mehr vertrauen, besteht die Gefahr, dass sie irgendwann ihr Recht auf eigene Faust suchen. Das Ergebnis wäre am Ende Chaos und Anarchie. Das kann niemand ernstlich wollen.
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Kommentar von F. Lo
Danke für die juristischen Ausführungen. Auch als Nichtjurist muss es einem merkwürdig vorkommen, dass eine parteipolitisch geprägte Landesregierung sich künftig so weit aus dem Fenster hängen darf. („Von Tag zu Tag mehr entblößt sich die AfD gerade als offen rechtsextreme, antidemokratische, antieuropäische, toleranz- und freiheitsfeindliche Partei. …“) Das Problem, das ich u.a. sehe: Landesregierungen sind, nehmen wir mal an, für alle Bürger da. Wer sich als Ministerpräsidentin derart offensiv gegen eine bestimmte Partei stellen darf, diskreditiert damit aber auch implizit einen Teil der Bürger des eigenen Landes, quasi als Fans von „Rechtsradikalen“, distanziert sich klar von ihnen.
Dass der Präsident des Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz, Prof. Lars Brocker, mal auf Vorschlag der SPD-Bundesländer als Richter für das Karlsruher BVerfG im Gespräch war und früher von Malu Dreyer unterstützt wurde (siehe z.B. LTO: Lars Brocker soll neuer Richter am BVerfG werden), hat evtl. auch ein kleines Geschmäckle.
Irritiert hat mich persönlich am Urteil des VGH/der Pressemitteilung vor allem der Satz „In Wahrnehmung dieses Schutzauftrages [für die FDGO ]sei die Regierung befugt, an der öffentlichen Auseinandersetzung darüber teilzunehmen, ob Ziele und Verhalten einer politischen Partei oder deren Mitglieder als verfassungsfeindlich einzuordnen sind“. Damit dürfen nicht nur Gerichte und der Verfassungsschutz die potenzielle/tatsächlich gegebene Verfassungsfeindlichkeit einer Partei beurteilen, sondern dürfen sich auch politische Amtsträger offen in die Diskussion einbringen. „Die auf die politische Partei AfD bezogenen Wertungen seien bei verständiger Würdigung weder willkürlich noch unsachlich.“ Sind sie damit, im Gegenteil, wahr/richtig? Oder eben doch subjektive, eben nicht klar unsachliche Wertungen?
Der SWR hat in einer Würdigung zu Recht herausgestellt: „Mit diesem Urteil verlässt das Landesverfassungsgericht die bislang strenge Linie des Bundesverfassungsgerichts. Das hatte Kritik von Regierungsmitgliedern an der AfD stets als verfassungswidrig abgeurteilt. / Urteil könnte politische Auseinandersetzung mit AfD verändern. Denn nachdem nun ein Verfassungsgericht beschrieben hat, unter welchen Bedingungen auch Amtsträger die AfD kritisieren können, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass bundesweit Politiker diesen neuen Freiraum austesten. Sprich: Die AfD muss wohl verstärkt mit Kritik auch von Amtsträgern rechnen.“ Diese „Tests“ werden mit Sicherheit folgen. Damit könnte auch die gesellschaftliche Polarisierung weiter zunehmen. Und wenn Amtsträger sich nunmehr offiziell gegen die AfD stellen können, … kann man das auch (steuerfinanzierten) NGOs evtl. künftig kaum verwehren? Das Urteil dürfte also weitreichende politische und juristische Folgen haben.
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Kommentar von Hans Buschmann
"Das Ergebnis wäre am Ende Chaos und Anarchie. Das kann niemand ernstlich wollen." Doch, das ist genau das, was die Staatskriminellen wollen. Sie säen Angst, um dann mit ihrer Diktatur als "Retter" aufzutreten. Und wer den deutschen Richtern vertraut, dem ist nicht zu helfen. Fast alle sind die reinsten Coronazis.
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Kommentar von .TS.
"Erstens hätte der Gerichtshof sich nicht auf die Berichte der Verfassungsschutzbehörden verlassen dürfen"
"Drittens ist der CORRECTIV-Artikel vom 10.1.2024 journalistisch so offensichtlich wertlos"
Was interessiert das heute noch? Seit Coronoia sind beides EXPERTEN die niemals hinterfragt werden dürfen. Schon gar nicht von "kleinen Richterlein" (O-Ton Weltkurpfuscherpräzedent) die nur auf dem Papier noch wirklich unabhängig sind.