Risikobefreit von neuen Denkanstößen außerhalb des gängigen Narrativs lässt er sich Woche für Woche familientauglich auf dem Sofa wegkonsumieren.
Seit der kernige Duisburger Macho-Bulle Horst Schimanski ab den 80ern für Einschalt-Fernsehen und wochenlangen Gesprächsstoff sorgte, gibt es mittlerweile nur noch mediale Kurz-Aufschreie. Weiß das noch jemand, dass Tatortfolgen früher sogar Titelsongs hatten, welche die Charts eroberten wie 1985 „Faust auf Faust“ von Klaus Lage? So etwas gab es sonst nur bei James Bond.
Aber wozu heute noch neue Denkanstöße, wozu den gemütlichen Chips-Abend auf dem Sofa stören durch unnötig Aufwühlendes? Oder gar aufregend politisch Unkorrektes?
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Tom Bohn (63), preisgekrönter Filmemacher und über 30 Jahre lang Tatort-Regisseur hat sich jetzt im Interview mit der NZZ als Tatort-Aussteiger geoutet. Sein Grund: Die Redaktionen achten ihm zu sehr auf politische Korrektheit.
Und damit ist eine spannende Frage eröffnet: War Schimanski politisch unkorrekt oder nur für die damalige Zeit? Mal abgesehen von seiner Macho-Attitüde war der Duisburger Kommissar doch ein linkspolitisches Gewächs mit allem was dazu gehörte, Antifa mit Dienstausweis.
Nach mehr als einem Dutzend eigenen Drehbüchern und den dazu gedrehten Tatorten ist für Regisseur Bohn jetzt Schluss mit Tatort. Gegenüber der Zeitung begründet er seinen Entschluss, in dem er sich an die ihm heute wild erscheinenden Tatortdrehs erinnert:
„Wir haben ganz schräge Sachen gemacht. ‚Tod im All‘, da ist ein Ufo geflogen (mit dazu passender Besetzung Nina Hagen, Anm. Redaktion). Die Kritik hat sich damals furchtbar aufgeregt. Oder wir haben mit einem Mord beim Militär die Bundeswehr verärgert. (…) Verrückte Sachen. Aber über die Jahre hat sich einiges verändert.“
Ein paar Mal angeeckt sei er mit Themenvorschlägen: „Eine Geschichte über Flüchtlingshelfer in Afrika und Dealer im Görlitzer Park schwebte mir vor. Da bin ich nicht mit durchgekommen.“
Aber wie waren die Erklärungen aus den Redaktionsstuben dafür? Falsch verstehen könne man es: „Es könnte den Rechtsradikalen zuspielen. Ist gefährlich zurzeit, machen wir nicht.“ Dahinter stehe noch nicht einmal eine politische Linie, so Bohn, sondern es sei einfach die Sorge, in einem falschen Licht dazustehen.
Ein Bohn-Drehbuch wurde nicht freigegeben und nach elf Drehbuch-Fassungen war die Ursprungsidee regelrecht wegkorrigiert. Über die Weichzeichnung der rechts -und linksradikalen Figuren, die sich als Protagonisten in seinem letzten Tatort begegneten, meint Bohn:
„Die beiden Radikalen dürften nicht zu sympathisch wirken, da müsse man aufpassen.“ ... „Es könnte missverstanden werden. Das hört man immer wieder. Es könnte nicht so verstanden werden, wie es die politische Korrektheit erfordert.“
Was kritische Geister an der alltäglichen Nachrichten-Auswahl und Berichterstattung in den Öffentlich-Rechtlichen monieren, verklebt auch durch das Unterhaltungsprogramm die Synapsen der Konsumenten; selbst der Tatort passt inzwischen ins Narrativ und wird genau genommen damit zur „Volkserziehung“ instrumentalisiert.
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Aufmüpfige Charaktere werden geschliffen, heikle Themen bereits prophylaktisch vom Bildschirm verbannt. Was übrigbleibt, entlarvt, dass viele Themen offenbar zu brisant sind, als dass sie nicht einmal mehr im Fiction-Genre erzählt werden dürfen.
Die Charaktere dürfen zwar oberflächlich Brüche aufweisen, in der Tiefe aber bloß nicht die eigentlichen Zerwürfnisse der Gesellschaft widerspiegeln. Bohn sei zunehmend mit seinen Vorschlägen an verschlossenen Türen, oder besser den vernagelten Köpfen dahinter, gescheitert:
„Ein anderes ‚Tatort‘-Beispiel, ich sage schon lange: Eigentlich müsste man einmal einen Kommissar haben, der bei seinen Kollegen offen zugibt, die AfD zu wählen ... Es wäre meine perfekte ‚Tatort‘-Konstellation: Ein latent fremdenfeindlicher, das Gendern hassender Hauptkommissar, der politisch rechts außen steht und im Team mit einer sozial engagierten, ökologischen Kommissarin zusammenarbeiten muss, die ihm das Leben zur Hölle macht.“
Die Kommissarin stelle Bohn sich als einen straighten Kracher vor wie unsere Außenministerin. „Was man da erzählerisch alles für Möglichkeiten hätte! Ich habe es einmal vorgeschlagen bei einem Sender, was denken Sie, was da los war?“
Hier wird es allerdings ein bisschen schräg bei Bohn, denn was soll an einer Kommissarin Baerbock politisch unkorrekt sein? Da müsste man schon mehr erfahren, wie er diese Rolle anlegen will und wo die Baerbock-Ermittlerin Potenzial hätte, die Ikea-Sofa-Idylle vor der Glotze zu stören. Aber der Themenvorschlag wurde sowieso nicht durchgewunken. Bohns Erklärung: „… es traut sich niemand.“
Und das bestimmt nicht, weil es bei einer Kommissarin mit der Rhetorik einer Baerbock zu Überforderungen der Drehbuchautoren kommen könnte, oder mit so einer Figur den komödiantischen Einlagen des Münster-Quotenhit-Duos Liefers und Prahl unfreiwillig Konkurrenz gemacht werden könnte – nein, „es ist einfach die Sorge, in einem falschen Licht dazustehen“, so Bohn weiter:
„Bei den (öffentlich-rechtlichen, Anm. Red) Sendern hätten die Leute doch gar keinen Grund, Angst zu haben. Sie sind festangestellt und bekommen am Monatsende ihren Lohn.“
Aber vielleicht ist ja genau das Teil der Erklärung, oder zumindest ein nicht unwesentlicher Grund, warum dieses schwerfällige öffentlich-rechtliche Dickschiff mit seinen vielen willfährigen Matrosen an Bord immer schön Kurs im woken Fahrwasser hält, was Bohn auch für seine eigene Biografie feststellen kann:
„Der ‚Tatort‘ hat es mir ermöglicht, als Filmemacher eine Familie zu ernähren. Voller Kühlschrank, die Kinder konnten Ausbildung machen.“
So oder so ähnlich geht es bestimmt vielen im System der öffentlich-rechtlichen etablierten Medienschaffenden, die auch aus diesen Gründen ihre gut bezahlten, einer Verbeamtung nicht unähnlichen Jobs behalten wollen.
Das macht abhängig, oft auch im Denken. Laut Bohn der Grund für die Verhinderung von gesellschaftlich relevanten und somit oftmals streitbaren Stoffen:
„Es könnte missverstanden werden. Das hört man immer wieder. Es könnte nicht so verstanden werden, wie es die politische Korrektheit erfordert.“
Da ist er beim Punkt. Die Befürchtung der öffentlich-rechtlichen Entscheider ist also: Der von der Flimmerkiste eingelullte Tatort-Konsument könnte ja etwas in den falschen Hals bekommen. Oder ist die eigentliche Angst, dass es der richtige Hals wäre?
Womit dann am Ende auch das System der Öffentlich-Rechtlichen infrage gestellt ist: Bloß nichts auf Sendung gehen lassen, das den Konsumenten vom Sofa reißt, schlimmstenfalls auf die Straße bringen könnte, oder ihn nach gelöstem Fall mit Fragezeichen im Kopf beunruhigt den Schlaf zu rauben droht. Die Sonntagabende plätschern dahin als öffentlich-rechtlich verordnete und poltisch-korrekt inszenierte Einschlafhilfe.
Und dafür, dass es in Zukunft so weiterlaufen könnte mit der Flimmerkiste als „Tatort Wohnzimmer“, Tatbestand Ideologisierung, ist auch schon gesorgt. Eine Umfrage unter Volontären des Ersten (2020) ergab, dass 92 Prozent grün-rot-rot wählen. Die politische Gesinnung des medialen Nachwuchses bei den ÖR entspricht also bei Weitem nicht dem des Durchschnitts der gebührenzahlenden Zuschauerschaft, für die sie Programm machen.
Die Redaktionen des Zwangsgebühren-Fernsehens nehmen aber, am medialen Schalthebel sitzend, eine Vorselektion vor – oft in Form von Ablehnung von Themen, Inhalten, spannenden Stoffen, die nicht ins gewünschte Weltbild passen. Oder schlimmer noch, die die Zuschauer darauf bringen könnten, ihr medial aufgebautes und angelerntes Weltbild zu hinterfragen. (Hier sei nur am Rande die ketzerische Frage erlaubt, ob es so in Zukunft überhaupt möglich sein kann, den eigentlichen Sendeauftrag zu erfüllen.)
Tom Bohn jedenfalls, seit 30 Jahren im Film- und Tatortgeschäft, kann offensichtlich auch unter 90 Film-Minuten, und fasst die Entwicklung aus seiner Sicht mit einem knackigen Satz auf Twitter zusammen:
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