Hohe Vergewaltigungsquote in Krankenhäusern

Sexualangriffe von Medizinern sind keine Doktorspiele

von Julian Adrat

Dass Männer und Frauen miteinander arbeiten, ist ein jüngeres Phänomen.© Quelle: Pixabay /tungnguyen0905

In der Bildzeitung habe ich gelesen, dass fast jede dritte britische Ärztin schon einmal sexuell missbraucht wurde, viele werden vergewaltigt. Die Meldung ist schon über einen Monat alt, aber es kamen wichtigere Themen dazwischen.

Krieg ist wichtiger als missbrauchte Ärztinnen, wobei es keinen Krieg gibt ohne Vergewaltigungen. Sie gehören zum Krieg dazu, sozusagen. Aber England lebt im Frieden.

1704 Mediziner nahmen an der Umfrage teil, 738 davon waren Frauen. Die Zeitung berichtet, die Untersuchung bewertete die Erfahrungen aller Befragten hinsichtlich sexueller Angriffe, sexueller Belästigung und Vergewaltigung durch Arbeitskollegen. 63,3 Prozent aller befragten Frauen berichten von sexueller Belästigung, 30 Prozent der befragten Chirurginnen berichteten von Sexualangriffen, elf Ärztinnen wurden vergewaltigt.

Ich habe daraufhin nach „Sexualangriff“ gegoogelt, weil es zu den Wörtern gehört, die man in der gesprochenen deutschen Sprache nicht hört. Das erste Ergebnis berichtet von einem „Sexualangriff“ durch einen 16-Jährigen. Dieser habe eine 79-jährige Frau vergewaltigt. Runtergebrochen: Nicht jeder Sexualangriff ist eine Vergewaltigung, aber jeder Vergewaltigung ging ein Sexualangriff voraus.

Es gibt Berufe, wo Vergewaltigungen durch Kollegen im Job seltener sind. Bei Busfahrerinnen zum Beispiel. Friseurinnen wahrscheinlich auch. Fachinformatikerinnen für Systemintegration sind statistisch schwer zu fassen, ebenso Anlagemechanikerinnen für Klimatechnik. Bei Kauffrauen im Einzelhandel, Hotelfachfrauen und Verkäuferinnen bin ich unschlüssig.

Was viele einfach übersehen: Dass Männer und Frauen eng miteinander arbeiten, ist historisch eine ziemlich junge Sache. Wie lauten die Regeln? Wie kleidet man sich? Schminkt Frau sich? Und wenn ja, wie viel? Sophie Passmann schrieb im Feuilleton der „Zeit“, als Gegenleistung für Attraktivität bekäme man von Männern ein Mindestmaß an Respekt gezollt. Einer Frau zu sagen, auf Schminke zu verzichten, sei in etwa so hilfreich wie einem klinisch Depressiven zu raten, mal wieder an die frische Luft zu gehen.

Mein bester Freund ist Arzt. Er hatte ein Einser-Abi, musste sich aber einen Studienplatz erklagen. Ein Jahr lang hat er nach Schulabschluss im Jahr 2010 in einem Hotel Nachtschichten übernommen, um 20.000 Euro für den Anwalt zusammenzubekommen. Die ersten Monate im Medizinstudium zerlegte er gemeinsam mit einer kleinen Gruppe eine Leiche vollständig in ihre Einzelteile, Präparierkurs heißt das. Manche übergeben sich dabei. Als es um die Brust ging, erzählte er mir, sei man auch am lebenden Objekt interessiert gewesen, und in jeder Gruppe hätten sich bereitwillig junge Studentinnen gefunden, die ihre Brüste entblößten, um der Kommilitonen Tast-Sensorik zu schärfen. Ich erinnere mich nicht daran, dass er erzählt hätte, im Gegenzug seinen Penis zur Abtastung freigegeben zu haben.

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Insofern verwundert es: Schon 2007 analysierte die Journalistin Barbara Lukesch in der Weltwoche: „Immer weniger Männer wollen Ärzte werden. Prestige wie Gehälter sind dramatisch gesunken. Frauen springen in die Lücke. Die Folge: noch schlechtere Löhne, weniger Forschung, Personalmangel.“

Frauen täten sich schwer, heißt es weiter, um bessere Löhne zu kämpfen, unter anderem deshalb, weil ihnen hohe Einkommen weniger bedeuteten als ihren männlichen Kollegen. Außerdem legten sie mehr Wert auf geregelte Arbeitszeiten und Teilzeitmodelle. So müssten künftig drei junge Ärztinnen ausgebildet werden, um zwei in Pension gehende Ärzte zu ersetzen. So rezensiert das "Deutsche Ärzteblatt". Das Fazit: Damit nicht ganze Fachbereiche ausbluten, müssen Arbeitsbedingungen geschaffen werden, die auch Frauen anziehen.

Wie gesagt, es gibt keine Langzeitstudien. Es kann sie gar nicht geben. Und dass Männer und Frauen, insbesondere in Prestigejobs - noch ist der Arztberuf das - miteinander arbeiten, ist ein noch jüngeres Phänomen. Es gibt keinen anderen Prestigejob, der derart „weiblich“ wurde. Und er wird immer weiblicher. Schon vor zehn Jahren kamen auf 33.000 männliche Medizinstudenten 51.000 weibliche. Heute sind es 38.000 männliche und 69.000 weibliche.

Der häufigste Ort für Vergewaltigungen soll übrigens der OP-Saal zu sein. Dort, wo um Leben gekämpft wird. Wie im Krieg, die Parallele ist zwingend. Vielleicht verliert, wer am menschlichen Körper operiert, den Respekt vor sexueller Selbstbestimmung? Oder tragen die Arbeitszeiten dazu bei? Der Schichtdienst? Egal wie, wer hätte gedacht, dass über der gläserneren Decke der vergewaltigende Chirurg wartet?

„Jede Vergewaltigung ist ein medizinischer Notfall. Im Krankenhaus erhalten Sie Hilfe“, heißt es auf der Website „Soforthilfe-nach-Vergewaltigung.de“. Hmpf! Die andere Frage, die sich aufdrängt: Ist jeder dritte Arzt ein Sexualverbrecher? Werden wir von Vergewaltigern operiert? Oder ist nur ein kleiner Prozentsatz an Tätern für die 30 Prozent Opfer verantwortlich? Das erscheint wahrscheinlicher.

Als ich die eingangs zitierte Barbara Lukesch und Weltwoche googelte, lautete die erste Vorschau „Ich liebe ihn, also putze ich das Klo“. Es ist über zehn Jahre her, dass sie für die Weltwoche geschrieben hat. „Die rasende Lust der Frauen“, hieß ihr Beitrag zuvor. Und davor: „Die Leute lieben meinen Humor."

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