Historische Romane haben ein großes Problem: den eingebauten Spoiler. Ein paar Minuten bei Wikipedia und man weiß, wie es ausgeht. In diesem Fall kennt man die Grundzüge der Handlung bereits aus dem Geschichtsunterricht (falls man zugehört hat): Alexander der Große erobert das Perserreich und stirbt 323 v. Chr., ohne einen Nachfolger zu hinterlassen. Es folgen die sogenannten Diadochenkriege, in denen Alexanders Feldherren gegeneinander um die Vorherrschaft kämpfen.
Am Ende (281 v. Chr.) ist das Reich zerfallen, die erfolgreicheren Protagonisten konnten sich ein Stück davon sichern und Dynastien gründen, die über Jahrhunderte blühten - bis sie durch die Römer besiegt wurden.
Fabbris Romanreihe „Alexanders Erbe“ beginnt mit Alexanders Tod in Babylon und widmet sich sehr detailliert den darauffolgenden Diadochenkriegen. Bisher erschienen vier Bände:
„Die Macht dem Stärksten“ (November 2021, 580 Seiten, 323-321 v. Chr.)
„Der Fall des Weltenreichs“ (Juni 2022, 564 Seiten, 321-319 v. Chr.)
„Die Schlacht um den Thron“ (November 2022, 502 Seiten, 319-316 v.Chr.)
„Sturm auf Babylon“ (Oktober 2023, 576 Seiten, 316-312 v. Chr.)
Weitere werden folgen.
Laut Verlagsinformation (Rowohlt) lebt der Autor Robert Fabbri (63) in London und Berlin. Er studierte an der University of London und arbeitete dann als Regieassistent, u.a. für „Die Stunde der Patrioten“. Aus seiner Leidenschaft für antike Geschichte wurde schließlich eine zweite Karriere: Mit seiner Romanserie über den römischen Kaiser Vespasian schaffte er den Sprung in die Bestsellerlisten. Ich hatte bereits die „Vespasian“-Reihe (9 Bände) verschlungen, aber „Alexanders Erbe“ gefällt mir noch besser.
In verrückten Zeiten wie diesen kann es hilfreich sein, sich hin und wieder ins Private zurückzuziehen, um die eigene mentale Gesundheit nicht zu gefährden. Mir hilft dabei ein gutes Buch bei prasselndem Kamin, begleitet von einem leckeren Glas Rotwein. Noch besser, wenn das Buch nicht nur spannend und unterhaltsam ist, sondern man auch noch etwas dabei lernen kann. Deshalb liebe ich gute historische Romane.
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Robert Fabbris Romanreihe „Alexanders Erbe“ erscheint mir geradezu perfekt: ein ganzes Lehrprogramm nicht nur in Geschichte, sondern auch in Realpolitik mit Schlachten, Meuchelmorden, Manipulation, Intrigen und Verrat - ein bisschen wie „Game of Thrones“, ohne Drachen und weiße Wanderer, aber dafür real. Dementsprechend fehlt die Romantik: Selbstlose Helden sucht man vergebens, es gibt kaum eine persönliche oder familiäre Beziehung ohne machtpolitische Hintergedanken.
Der Leser bemerkt die Begeisterung des Autors in jedem Kapitel. Die Geschichte wurde sorgfältig aus mehreren Quellen recherchiert, jeder Charakter detailliert gestaltet.
Ähnlich wie George R.R. Martin in seiner Romanvorlage für „Game of Thrones“ („Das Lied von Eis und Feuer“) schreibt Fabbri die verschiedenen Kapitel jeweils aus Sicht eines anderen Protagonisten. Auf diese Weise kann sich der Leser direkt in deren Motive und Gedankenwelt hineinversetzen.
Wie jeder gute Roman kommt „Alexanders Erbe“ ganz ohne moralische Belehrung aus: Gut und Böse verschwimmen im Konflikt unterschiedlicher Interessen.
Selbst, wenn man die groben Züge der Geschichte kennt, wird sie bei Fabbri erst richtig lebendig. Es ist spannend zu lesen, wie die Protagonisten ihre Pläne schmieden und versuchen, mächtige Verbündete auf ihre Seite zu ziehen - während die Gegenseite ihrerseits aktiv ist. Man glaubt, den perfekten Plan zu haben und kurz vor dem Ziel seiner Träume zu stehen - und scheitert, weil der Gegner doch ein bisschen weiter dachte. Oder ein dummer Zufall dazwischen kam.
Die Schlachtszenen sind detailliert und fesselnd beschrieben. Besonders die Schilderung der Schlacht bei Gaza (312 v. Chr.) im (vorerst) letzten Band gehört zu den spannendsten Schlachtszenen, die ich je gelesen habe. Und das waren so einige (z.B. in der Uhtred-Reihe von Bernard Cornwell).
Ich verzichte hier bewusst auf konkrete Angaben zur Handlung, ich möchte nicht noch mehr spoilern als Wikipedia. Ich gebe zu, die Geschichte ist sehr komplex und die Abstände zwischen den einzelnen Bänden sind nicht hilfreich, wenn man versucht, am Ball zu bleiben. Zur Erleichterung gibt es am Ende jedes Buches eine detaillierte Liste der handelnden (und bereits dahingeschiedenen) Personen. Kleines Detail am Rande: Der große Alexander wird hier nur als „die Ursache sämtlicher Probleme“ aufgeführt.
Ich empfehle diese Reihe jedem, der sich für (antike) Geschichte interessiert, spannende Unterhaltung liebt und dazu noch etwas über Realpolitik lernen möchte. Dabei sorgt der Ausgang auch für etwas Hoffnung in der heutigen Zeit: Am Ende gewinnt nicht der skrupellose und größenwahnsinnige Tyrann, sondern es siegen diejenigen, die immer auch die Interessen ihrer Verbündeten und Untertanen berücksichtigen. Das große Imperium zerfällt, eine multipolare Ordnung entsteht.
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Kommentar von Perry Moppins
Ich empfehle, Michael Hudson zu lesen, damit man mal kapiert, wie dieselbe Art von Imperium damals wie heute die Welt betrügt.
Die Bedeutung der Kriegskosten
„Die Weigerung der Vereinigten Staaten, ihre Forderungen den Reparationseinnahmen der europäischen Verbündeten anzupassen, hatte zur Folge, dass diese ausbluteten, während sie Deutschland ausbluten ließen. [...] In der Geschichte der Kriegsführung hatte noch nie ein Verbündeter eine solche finanzielle Entschädigung für seine militärische Unterstützung verlangt. In aller Welt war es üblich, Waffenlieferungen an Verbündete als Kriegskosten abzuschreiben. Diesmal blieben die Kredite in den Büchern stehen. Der Adler hatte seine Krallen ausgefahren. [...] In der kapitalistischen Welt erwies sich die Übernahme der Funktion des Geldgebers durch einen einzigen Nationalstaat als ebenso revolutionär wie die Oktoberrevolution.“
Nach dem Zweiten Weltkrieg vergrößerten die USA ihren globalen Einfluss: Denn im Währungsregime von Bretton Woods bildete der Dollar die Ankerwährung und die Vereinigten Staaten verfügten bei den neu geschaffenen Institutionen – dem Internationalen Währungsfonds und der Weltbank – über ein Veto. Staaten bekamen in Krisensituationen Kredite dieser internationalen Organisationen, wenn sie im Gegenzug staatliche Bereiche privatisierten und ihre Wirtschaft deregulierten. Erheblichen Einfluss hatte dies auf Entwicklungsländer.
Das System entzieht dem realen Markt die Mittel für Wachstum (...)
https://www.deutschlandfunk.de/weltwaehrung-die-vorherrschaft-des-us-dollars-100.html
Michael Hudson - Origins of Debt Reader, deutsch PDF (Video Transkript)
https://pdfhost.io/v/IzB7eT082_Michael_Hudson_Origins_of_Debt_Reader_deutsch
Financial analysis of a world dominated by the FIRE sector - Finance, Insurance and Real Estate (Michael Hudson com)