Ich gehöre zur Kriegs-Enkel-Generation. Mein Großvater väterlicherseits geriet in den letzten Tagen des Krieges in Gefangenschaft. Er überlebte. Das taten nicht viele. Als er nach Jahren zur Familie in die neue „Heimat“ zurückkehren durfte - die alte war inzwischen polnisches Land und Haus und Hof gehörte anderen Menschen - da war er ein gebrochener Mann. Ich habe ihn sehr hager und immer traurig in Erinnerung. Auch sprach er nicht mehr. Als kleiner Junge, sein Enkel, fand ich das "eigenartig".
Mein Vater war als vierzehnjähriger „Hitlerjunge“ in Schlesien zur Verteidigung seiner Geburtsstadt gezwungen worden. Darüber, was er bei der nutzlosen Verteidigung erlebte, hat er nie erzählt. Nicht ein Sterbenswort. Er war ein Überlebender. Zumindest physisch. Nicht viele Bengels, die zum Kämpfen gezwungen wurden, überlebten.
Ihre Unterstützung zählt
Ich gehöre zur Kriegs-Enkel-Generation. Auch mein Stiefvater musste als junger Mann - keine siebzehn Jahre alt war er - in den Krieg ziehen. Oft hörte ich ihn in meiner Kindheit in der Nacht laut schreien und verzweifelt heulen. Das machte mir Angst. Ich wusste doch nicht, wieso er schrie. Wieso weinte er so heftig? Hatte er Schmerzen? Albträume? Wurde er etwa von meiner Mutter geschlagen? Wieso schrie er so oft in der Nacht?
Die Gründe, die beichtete er mir erst, als ich in einem Alter war, in dem ich gerade ansatzweise verstehen konnte, was er anderen Menschen im Krieg angetan hatte. Was er zu tun gezwungen wurde, um selbst zu überleben. Die Jahre danach in englischer Kriegsgefangenschaft, die kamen ihm nach den verlorenen Jahren des Krieges vor wie der Himmel auf Erden. Wenn er aus dieser Zeit erzählte, dann nur von diesen Jahren.
Ich gehöre zur Kriegs-Enkel-Generation. Als die Familie meines Vaters kurz nach dem Krieg aus Schlesien zu flüchten gezwungen wurde, verlor meine Großmutter ihre beiden jüngsten Kinder auf der Flucht. Die Kinder wurden ihr unter dem Rock weggerissen, wo sie ihre Kleinen versteckt hatte. Und was dann geschah, davon schreibe ich nicht weiter, weil es das Herz zerbricht.
Diese Tragödie geschah Wochen nach der bedingungslosen Kapitulation und es waren keine „roten Horden“ oder „russische Bestien“ daran beteiligt. Es waren zivile Einheiten der neuen Bevölkerung, die dies taten.
Der Krieg ist nicht nur im Krieg grausam. Der Krieg wirkt über den Krieg hinaus und sucht sich weiter die Seelen derer er habhaft werden kann.
Ich gehöre zur Kriegs-Enkel-Generation. Ich habe gut zugehört, wenn überlebende Verwandte mir vom Krieg und seinen Grausamkeiten erzählten.
Ich gehöre zur Kriegs-Enkel-Generation. Erzählt mir also nichts vom gerechten Krieg. Von glorreichen Siegen und zu feiernden Helden. Erzählt mir nichts von dem Recht, einen anderen Menschen zu töten. Das Recht, einen anderen Menschen zu töten, das gibt es nicht. Das hast du nicht. Das hat es niemals gegeben. Doch hat es immer und zu jeder Zeit Menschen gegeben, die das Töten befehlen und Menschen, die diese Befehle ausführen.
Ich gehöre zur Kriegs-Enkel-Generation. Ich werde die Schreie meines Vaters in der Nacht so wenig vergessen wie mein verstorbener Vater jene Dinge nicht vergessen konnte, die er tat und die er Nacht für Nacht wieder und wieder erlebte. So wie jeder Mensch, der in einem Krieg war und nie vergisst, was er tat und was ihm angetan wurde.
Ich gehöre zur Kriegs-Enkel-Generation. Und ich sage nein zum Krieg. Aus vollem Herzen NEIN!
Im Moment, wo du den ersten Schuss auf einen anderen Menschen abgibst, wirst du ein anderer Mensch sein. Und nicht nur du wirst dich verändern, auch deine Kinder und deren Kinder. Denn der Krieg ist das gefährlichste Virus dieser Erde. Er infiziert fast alle Menschen, die von ihm hören und er geht ins Blut - über Generationen hinweg.
Sage nein zum Krieg. Verweigere dich.
Einen Kommentar schreiben
Sie müssen sich anmelden, um Kommentare hinzuzufügen. Aufgrund von zunehmendem SPAM ist eine Anmeldung erforderlich. Wir bitten dies zu entschuldigen.
Zur Anmeldung
Kommentare
melden
Kommentar von Vera Ludwig
Sehr geehrter Herr Toddn Kandziora,
wie recht sie doch haben. Ich habe auch diese Erfahrungen gemacht. Mein Vater, gerade 16, wurde ebenfalls eingezogen. Tage vorher musste er mit ansehen, wie seine 2 älteren Brüder standrechtlich erschossen wurden, weil sie sich diesem entziehen wollten. Mein Großvater hat den Krieg überlebt, aber beide Beine verloren.
Die Schwester meiner Oma wurde abgeholt und nie wieder gesehen, als sie beim Fleischer geäußert hatte, man möge doch bitte das Fleisch nicht in Zeitungspapier einwickeln auf dem Stalin zu sehen war. Ich denke es gibt unglaublich viele, die mit solchen Erfahrungen konfrontiert waren. Als Kind habe ich stundenlang meinem Vater und Großeltern gelauscht, wobei es immer wieder Themen gab über die nicht gesprochen wurde, weil sie zu schrecklich waren. Als Kind hatte ich viele Fragen, die oft unbeantwortet blieben. Meine Oma besänftigte mich immer und meinte das es zu schrecklich war, was im Krieg passiert ist und mein Opa darüber nicht reden kann, er hat es bis heute( also damals) nicht verwunden, ich solle nicht weiter fragen. Auch mein Vater hüllte sich oft in Schweigen und weinte bis spät in die Nacht. Damals war ich Kind, doch diese Geschichten vergisst man nie. Heute bin ich Großmutter und meine beiden Enkel fragten am letzten Wochenende was Krieg bedeutet. Ich war hin und her gerissen, ob ich diese Geschichten erzählen sollte, ich habe mich vorerst dagegen entschieden, vielleicht wenn sie älter sind. Was ich aber gesagt habe ist, das Krieg grauenvoll ist, weil Menschen sterben und Krieg mit viel Leid verbunden ist. Frieden auf Erden ist das aller wichtigste und dafür muss man sich immer, jederzeit einsetzen. Ich denke das haben die Jungs ( 8 und 10) verstanden.
melden
Kommentar von Herbert Wolkenspalter
Jeder Krieg beginnt lange vor dem Krieg.
Wer den ersten Schuss abfeuert, muss nicht der Angreifer sein.
Der Anfang liegt im Charakter.