Der Deutschen Presse-Agentur (dpa) gab Sloterdijk jetzt ein Interview, unter anderem publiziert in der „Welt“, in dem er die bekannten westlichen Ressentiments gegenüber Wladimir Putin zum Ausdruck bringt – deshalb vielleicht wird der „Welt“-Artikel nicht hinter einer Bezahlschranke versteckt.
Aber dieses Interview ist ein Zwitterwesen. Im zweiten Teil äußert sich der umtriebige Bestsellerautor und Philosoph auch zu Waffenlieferungen, zur Rolle der Journalisten in Zeiten des Krieges und zu den ukrainischen Flüchtlingen – doch nicht so, wie es der polit-mediale Komplex gerne hören will.
Aber zunächst liefert Sloterdijk gefällig ab. Dabei scheint er auch im Besitz eines besonderen Putin-Lügendetektors zu sein. Denn für ihn „hat es selten einen Politiker gegeben, bei dem die Lüge einen so großen Anteil seiner sprachlichen Äußerungen ausmacht“. Will uns der ehemalige Bhagwan-Jünger damit einflüstern, dass wir doch froh sein dürfen über die ehrlichen Häute, die uns regieren?
„Er führt altmodisch anmutende Eroberungskriege, scheint aber auch die Feudalgesellschaft des Zarenreichs mit einer winzigen Oberschicht neu erschaffen zu wollen. Die große Masse des Volkes soll gar nichts anderes als Armut erstreben.“
Sloterdijk meint Putin. Doch leicht modifiziert ließe sich dies auch als Beschreibung der modernen Politik des Werte-Westens lesen.
Der Philosoph versucht den russischen Präsidenten zu verstehen:
„Ich würde sagen, er ist zunehmend das Opfer seiner Autohypnose geworden. Er war ein leerer Schlauch, der sich erst mit der Zeit anfüllen musste mit einer nachträglichen Begründung seines Erfolges. Die autohypnotische Selbstinduktion in eine historisch bedeutende Rolle scheint im Moment die treibende Kraft zu sein.“
Nach dieser letztlich küchenpsychologischen Fernsezierung Wladimir Putins wenden sich Sloterdijk und sein Interviewer von der Deutschen Presse-Agentur der Frage zu, ob der Westen der Ukraine schwere Waffen liefern sollte.
Ihre Unterstützung zählt
Sloterdijks klare Meinung an dieser Stelle widerspricht nur auf den ersten Blick seinen vorherigen vernichtenden Äußerungen gegenüber Präsident Putin.
Verständnis zeigt er zwar für die lauten Rufe der ukrainischen Seite nach militärischer Unterstützung durch den Westen. Doch sollte man sehr vorsichtig sein beim Eingehen darauf:
„Die Lieferung schwerer Waffen wäre doch mehr oder weniger gleichbedeutend mit dem offenen Eintritt in die Position der Kriegspartei. Wenn westliche Politiker davor bisher zurückgeschreckt sind, hat das gute Gründe. Deutschland steht hier keineswegs allein, auch Frankreich und die USA waren sich bisher darin einig, bei den schweren Waffen Zurückhaltung zu üben.“
Aber dann rührt sich irgendwas: Die Rolle der deutschen Journalisten in diesen Kriegszeiten gefällt Sloterdijk nämlich gar nicht. Für ihn folgen sie den von ukrainischen Politikern ausgelegten moralisierenden Ködern allzu blind, indem sie mehrheitlich Aktionismus statt Diplomatie fordern:
„Wie enttäuschte Theaterbesucher, die gern mehr Spektakel gesehen hätten, werfen manche Journalisten dem Kanzler Scholz seine vorsichtige Haltung vor. Das erinnert an aus dem Ruder gelaufene Theaterkritik.
…
Mir ist bei der gesamten sogenannten Berichterstattung sehr unwohl. Man hört kaum noch Gegenstimmen, Stimmen, die zur Mäßigung mahnen. Man denke daran, in wie unfairer Weise man versucht hat, die Initiatoren des offenen Briefes von Alice Schwarzer zu diskreditieren.“
Im Schlussakkord der Sendung macht Peter Sloterdijk nämlich deutlich, was er von den jüngsten Äußerungen des ukrainischen Botschafters Andrij Melnyk hält, der behauptet hatte, der Grund, warum viele Ukrainer in ihr Land zurückkehren, wäre, dass sie sich in Deutschland nicht mehr wohl fühlten:
„Das ist, glaube ich, ganz unrichtig. Wir selber haben auch mehrfach Flüchtlinge aufgenommen, und wir kennen Leute, die es ebenfalls getan haben. Wir wissen aus erster Hand, dass Gefühle des Nichtwillkommenseins eher die Ausnahme als die Regel sind. Im Gegenteil, es existiert nach wie vor eine ganz große Welle der Freundlichkeit und der Hilfsbereitschaft.
Noch immer sind rund eine halbe Million Ukrainer bei uns, und wenn viele schon in die Westukraine zurückgekehrt sind, dann weil sie von Anfang an nur temporär als Schutzsuchende gekommen waren, nicht als Emigranten.“
Jetzt kann man dem populären Philosophen unterstellen, er wolle es allen recht machen und dabei immer noch ein bisschen den Revoluzzer heraushängen lassen. Aber wenn man sich in der heutigen Zeit daran gewöhnt hat, auch mal den Zwischentönen zu lauschen, kann Sloterdijk durchaus eine Bereicherung sein. Er tischt ordentlich auf. Wer nur zu seinen besten Häppchen greift, ist hier klar im Vorteil.
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