Europa am Scheideweg

Ministerpräsident Orbán und Altkanzler Schröder in Wien

von Christian Witt (Kommentare: 4)

Der Krieg bringt sie zusammen – Wer kann ihn beenden?© Quelle: Foto: Christian Witt

Zwei Granden europäischer Politik treffen sich in den geschichtsträchtigen Wiener Sofiensälen. Der restaurierte Hauptsaal ist ausverkauft. Auf jedem Stuhl liegt ein Exemplar “Die Weltwoche”. Getränke werden am Tresen bestellt; Handschlag zwischen österreichischer und ungarischer Prominenz.

Von Christian Witt

Eingeladen hatte das streitbare Schweizer Magazin. Ein deutscher Altkanzler trifft auf den dienstältesten Regierungschef der Europäischen Gemeinschaft. Gerhard Schröder und Viktor Orbán. Der Weltwoche-Boss Roger Köppel hat dieses Zusammentreffen organisiert.

Es ist der 31. Oktober 2024. Halloween und Reformationstag. Zehn Jahre nach dem Beginn des Ausbruchs der Gewalt in der Ukraine. Drei Jahre nach dem offenen Eingreifen russischer Truppen in den russischsprachigen Teilen der Ukraine. Hunderttausende Soldaten beider Parteien sind bereits elend in den Schützengräben verreckt.

Der deutsche Altkanzler hat sich längst aus den Grabenkämpfen der Tagespolitik zurückgezogen. Aus der Schusslinie ist der gute Freund Putins indes noch lange nicht. Trotzig bleibt er weiterhin SPD-Mitglied. Drahtig im Gang, klar im sprachlichen Duktus. Als Kanzler hatte Schröder den Amerikanern eine Beteiligung am Irakfeldzug unter angloamerikanischer Führung abgesagt – zusammen mit Frankreich und Russland. An diesen Erfolg erinnert sich Viktor Orbán vor 400 Besuchern zuerst.

Der gewissensgetriebene ungarische Ministerpräsident gilt heute als eine der prägendsten und kontroversesten politischen Persönlichkeiten Europas. Aus einfachen Verhältnissen kommend und durch ein Stipendium in Oxford politisch inspiriert, startete Orbán als Verfechter von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in der späten Phase des kommunistischen Ungarns.

Schon früh in seiner politischen Laufbahn war er eine kritische Stimme gegen autoritäre Strukturen, was ihm eine breite Unterstützung liberaler Wähler einbrachte. Heute wird er in einer immer autoritärer werdenden EU durch seine Politik eines Europas der Vaterländer – einer ausdrücklichen Eigenständigkeit und einer christlich-konservativen Gesellschaftsordnung – als Hassfigur und „Hosentaschenputin“ dargestellt.

In Zeiten zunehmender Repressionen und einer enger werdenden Medienlandschaft werfen Kritiker Viktor Orbán vor, die unabhängigen Medien und die Judikative zu schwächen und die Demokratie in eine „illiberale“ Richtung zu lenken. Demgegenüber verteidigt der Ministerpräsident Ungarns seinen Kurs als notwendigen Schutz vor einem übermäßigen Einfluss globaler, nicht demokratisch legitimierter Nichtregierungsorganisationen (NGOs).

Wo stehen wir Europäer in diesem Augenblick? Stichwortgeber und Fragensteller ist der Schweizer Journalist Roger Köppel.

„Dieser Krieg wurde verloren. Das ist die militärische Realität“, sagt Orbán gleich zu Beginn. Jeder vernünftige Militärexperte wisse, so führt er aus, dass die Ukraine allein den Krieg nicht gewinnen könne. Schon diese Feststellung wird ihm von etlichen österreichischen und bundesdeutschen Medien als Beweis für eine prorussische Position ausgelegt.

Er untergrabe damit die westliche Wehrbereitschaft und Kriegsmoral, heißt es. Die regierungsnahen Medien sparen nicht mit Schmäh und Schimpf. Sie unterschlagen jedoch geflissentlich, dass derselbe Orbán bereits vor dem Eingreifen russischer Truppen im Februar 2022 und auch kurz darauf nach Moskau reiste, um nach Möglichkeiten zu suchen, den Konflikt doch noch zu entschärfen.

Im dritten Jahr der Eskalation nutzte Orbán die turnusmäßige Rolle der EU-Ratspräsidentschaft, um erneut mit Reisen nach Kiew, Moskau, Peking und in die USA, zumindest bescheidene Möglichkeiten eines Waffenstillstands zu erörtern – mit ernüchterndem Ergebnis. Es herrscht auf der einen Seite kein Wille und auf der anderen Seite kein Vertrauen.

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„Putin ist ein imperialistischer Diktator, der mit der Ukraine einen ersten Markstein setzt für weitere Eroberungen“, provoziert Köppel und skizziert eine mögliche Haltung:

„Wir müssen Putin stoppen, denn wenn wir ihn jetzt nicht stoppen, wird er belohnt für seine militärische Aggression, für seinen Angriffskrieg, und das wäre ein Schwächezeichen des Westens. Und wenn wir das zulassen, wäre das eine Einladung an alle Potentaten, den Westen anzugreifen.“

Köppel spitzt damit die gängige Denkvorlage der Befürworter weiterer Waffenlieferungen zu und stellt die Frage, ob ein Verzicht auf Verhandlungen strategisch sinnvoll sei. „Nicht zu kommunizieren und sich jedem Verhandeln zu entziehen“, so Orbán, „ist barbarisch.“ Beide Diskutanten verneinen diese unterstellbare Absicht Putins.

Sind wir am Vorabend eines großen neuen Weltbrandes, bei dem der Ukraine-Feldzug nur der Einstieg gewesen sein wird? Überall in Europa will man kriegstüchtig werden. Es ist die Rede davon, Ende des Jahrzehnts „bereit“ zu sein. Aber bereit für genau was? Europa habe jede Gelegenheit, diesen Konflikt im eigenen Hause zu vermeiden oder zu lösen, verstreichen lassen, heißt es weiter.

Orbán schreibt dies dem übermäßigen Bürokratengeist in Brüssel zu. „Wir haben ein Problem mit Europäischen Leadership.“ Orbán zeigt sich resigniert in Bezug auf die Fehl- und Nichtleistungen der Europäischen Gemeinschaft.

Er habe jetzt mit Donald Trump telefoniert und rechne damit, dass zumindest dieser den Konflikt schon sehr bald würde lösen wollen. „Wir sind vorbereitet“, meint er im Hinblick auf Wahlen in den USA und das Ergebnis.

Gleichwohl sagt er in Richtung Schröder und Deutschland, Europa solle sich mit der Achse Deutschland–Frankreich wirtschaftlich und politisch neu und unabhängig aufstellen. Die Wirtschaft in Europa mit dem Vierfachen an Energiekosten im Vergleich zu den USA wäre der Bedeutungslosigkeit geweiht – und Europa sei als Player in der Welt Geschichte.

Aber um Roger Köppel, der das ja alles so wunderbar organisiert hat, nichts vorwegzunehmen, folgen Sie dem Schweizer nach Wien und schauen Sie bitte selbst, was die Herren besprochen haben.

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