Von Christian Witt
Eingeladen hatte das streitbare Schweizer Magazin. Ein deutscher Altkanzler trifft auf den dienstältesten Regierungschef der Europäischen Gemeinschaft. Gerhard Schröder und Viktor Orbán. Der Weltwoche-Boss Roger Köppel hat dieses Zusammentreffen organisiert.
Es ist der 31. Oktober 2024. Halloween und Reformationstag. Zehn Jahre nach dem Beginn des Ausbruchs der Gewalt in der Ukraine. Drei Jahre nach dem offenen Eingreifen russischer Truppen in den russischsprachigen Teilen der Ukraine. Hunderttausende Soldaten beider Parteien sind bereits elend in den Schützengräben verreckt.
Der deutsche Altkanzler hat sich längst aus den Grabenkämpfen der Tagespolitik zurückgezogen. Aus der Schusslinie ist der gute Freund Putins indes noch lange nicht. Trotzig bleibt er weiterhin SPD-Mitglied. Drahtig im Gang, klar im sprachlichen Duktus. Als Kanzler hatte Schröder den Amerikanern eine Beteiligung am Irakfeldzug unter angloamerikanischer Führung abgesagt – zusammen mit Frankreich und Russland. An diesen Erfolg erinnert sich Viktor Orbán vor 400 Besuchern zuerst.
Der gewissensgetriebene ungarische Ministerpräsident gilt heute als eine der prägendsten und kontroversesten politischen Persönlichkeiten Europas. Aus einfachen Verhältnissen kommend und durch ein Stipendium in Oxford politisch inspiriert, startete Orbán als Verfechter von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in der späten Phase des kommunistischen Ungarns.
Schon früh in seiner politischen Laufbahn war er eine kritische Stimme gegen autoritäre Strukturen, was ihm eine breite Unterstützung liberaler Wähler einbrachte. Heute wird er in einer immer autoritärer werdenden EU durch seine Politik eines Europas der Vaterländer – einer ausdrücklichen Eigenständigkeit und einer christlich-konservativen Gesellschaftsordnung – als Hassfigur und „Hosentaschenputin“ dargestellt.
In Zeiten zunehmender Repressionen und einer enger werdenden Medienlandschaft werfen Kritiker Viktor Orbán vor, die unabhängigen Medien und die Judikative zu schwächen und die Demokratie in eine „illiberale“ Richtung zu lenken. Demgegenüber verteidigt der Ministerpräsident Ungarns seinen Kurs als notwendigen Schutz vor einem übermäßigen Einfluss globaler, nicht demokratisch legitimierter Nichtregierungsorganisationen (NGOs).
Wo stehen wir Europäer in diesem Augenblick? Stichwortgeber und Fragensteller ist der Schweizer Journalist Roger Köppel.
„Dieser Krieg wurde verloren. Das ist die militärische Realität“, sagt Orbán gleich zu Beginn. Jeder vernünftige Militärexperte wisse, so führt er aus, dass die Ukraine allein den Krieg nicht gewinnen könne. Schon diese Feststellung wird ihm von etlichen österreichischen und bundesdeutschen Medien als Beweis für eine prorussische Position ausgelegt.
Er untergrabe damit die westliche Wehrbereitschaft und Kriegsmoral, heißt es. Die regierungsnahen Medien sparen nicht mit Schmäh und Schimpf. Sie unterschlagen jedoch geflissentlich, dass derselbe Orbán bereits vor dem Eingreifen russischer Truppen im Februar 2022 und auch kurz darauf nach Moskau reiste, um nach Möglichkeiten zu suchen, den Konflikt doch noch zu entschärfen.
Im dritten Jahr der Eskalation nutzte Orbán die turnusmäßige Rolle der EU-Ratspräsidentschaft, um erneut mit Reisen nach Kiew, Moskau, Peking und in die USA, zumindest bescheidene Möglichkeiten eines Waffenstillstands zu erörtern – mit ernüchterndem Ergebnis. Es herrscht auf der einen Seite kein Wille und auf der anderen Seite kein Vertrauen.
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„Putin ist ein imperialistischer Diktator, der mit der Ukraine einen ersten Markstein setzt für weitere Eroberungen“, provoziert Köppel und skizziert eine mögliche Haltung:
„Wir müssen Putin stoppen, denn wenn wir ihn jetzt nicht stoppen, wird er belohnt für seine militärische Aggression, für seinen Angriffskrieg, und das wäre ein Schwächezeichen des Westens. Und wenn wir das zulassen, wäre das eine Einladung an alle Potentaten, den Westen anzugreifen.“
Köppel spitzt damit die gängige Denkvorlage der Befürworter weiterer Waffenlieferungen zu und stellt die Frage, ob ein Verzicht auf Verhandlungen strategisch sinnvoll sei. „Nicht zu kommunizieren und sich jedem Verhandeln zu entziehen“, so Orbán, „ist barbarisch.“ Beide Diskutanten verneinen diese unterstellbare Absicht Putins.
Sind wir am Vorabend eines großen neuen Weltbrandes, bei dem der Ukraine-Feldzug nur der Einstieg gewesen sein wird? Überall in Europa will man kriegstüchtig werden. Es ist die Rede davon, Ende des Jahrzehnts „bereit“ zu sein. Aber bereit für genau was? Europa habe jede Gelegenheit, diesen Konflikt im eigenen Hause zu vermeiden oder zu lösen, verstreichen lassen, heißt es weiter.
Orbán schreibt dies dem übermäßigen Bürokratengeist in Brüssel zu. „Wir haben ein Problem mit Europäischen Leadership.“ Orbán zeigt sich resigniert in Bezug auf die Fehl- und Nichtleistungen der Europäischen Gemeinschaft.
Er habe jetzt mit Donald Trump telefoniert und rechne damit, dass zumindest dieser den Konflikt schon sehr bald würde lösen wollen. „Wir sind vorbereitet“, meint er im Hinblick auf Wahlen in den USA und das Ergebnis.
Gleichwohl sagt er in Richtung Schröder und Deutschland, Europa solle sich mit der Achse Deutschland–Frankreich wirtschaftlich und politisch neu und unabhängig aufstellen. Die Wirtschaft in Europa mit dem Vierfachen an Energiekosten im Vergleich zu den USA wäre der Bedeutungslosigkeit geweiht – und Europa sei als Player in der Welt Geschichte.
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Kommentare
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Kommentar von Carl Peter
Zum Krieg insbesondere Wirtschaftskrieg: Rheinmetall kann die deutsche Automobilindustrie und andere nicht ersetzen.
Zur Migration: Was da zugewandert ist, wird an Arbeitsplätzen abwandern.
Fazit: Was da übrigbleibt, kann man dann frühestens 2030 zusammenfegen.
Es sei denn, es sei denn...?
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Kommentar von Eddy Nova
Orban Feststellung : "Dieser Krieg ist verloren. Das ist militärische Realität. Jeder vernünftige Militärexperte weiss das !"
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Da würde ich als mögliche Gegenargumentation maximal erwarten das "Militärexperten" zitiert werden die anderer Ansicht sind.
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Aber Nein , die Realität - Gegenargumente bleiben ja aus - wird als prorussische Haltung diskreditiert um als Höhepunkt völlig geisteskrank zu reagieren !
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Orban untergräbt damit - gemeint ist die nicht widerlegbare Realität - die WESTLICHE WEHRBEREITSCHAFT & KRIEGSMORAL ...
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Einfach nur irre - fehlt nur noch der Verweis , das der ( wertfreie ) politische Wertewesten das als verpflichtende Holocaust Sühne ansieht.
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Ich bin durchaus nicht übermässig pazifistisch eingestellt - letztendlich ist meiner Ansicht nach jeder Krieg ein Deal und ich sehe nicht einen einzigen point andem der "Wertewesten" hier Gewinn machen kann.
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Präsident TRUMP hat sich gestern auch mit dem Topic beschäftigt : der Zahl der sinnlosen Kriegsopfer und der Zerstörung der Infrastruktur. Aber der ist ja kein elender kriegstreiberischer Democrat ...
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Eine anständige Deutsche Regierung hätte vor Beginn der Spezialoperation Putinrussias versucht einen Neutralitätsrabatt Energie rauszuschlagen - letztendlich bezieht heute India die Energie die für Deutschland vorgesehen war und der Preis soll im 25 % Bereich dessen liegen was zuvor Deutschland bezahlt hat ...
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Stattdessen bezieht Deutschland - 3 zu 27 - ergo 9 fach teurere Energie aus den USA die die Biden Mischpoke zuvor in Russia gekauft hat vermeldet TWITTER X und kein Faktenverdreher hat die Aussage als falsch bewertet.
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ORBAN, TRUMP , PUTIN haben offiziel summiert 14 Kinder - Macron ,Scholz ,Harris sind dagegen die Generation Z ihrer Blutlinie ...summiert 0 Nachwuchs ...
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Kommentar von Ego Cogito
Ein endlich an die Macht gekommener KGB-Mann, der dem alten System nachtrauert, verarschte mit seinem „Grünen Männchen“ auf der Krim die Welt. So sieht es aus, wenn kleine Männer großes Elend herbeiführen, um ihre vermeintlichen historisch gerechten Ziele doch noch trotz Verträgen zu erreichen. Jedes Mittel ist recht – schon in Friedenszeiten, im Kriegsfall sowie so die Regel!
Noch eine Klarstellung: Es ist logisch und usus, dass der Kreml die russische Minderheit im Donbass als Stachel im Fleich der Ukraine verbal und faktisch aufmunitioniert hat, denn der Anlass der Revision zurück in die „Sowjetunion“ musste erst geschaffen werden. Scheinlegitimität, um als Retter „seiner“ Leute aufzutreten. Die Gründung der Republik Donezk war der nächste subversive Täuschungsschritt. Dann ein Krieg, der nicht so genannt werden durfte: Bei Strafe im eigenen Land. Wer immer noch Putin als Opfer simuliert, der sollte die Realitäten anerkennen. Dazu gehört auch, dass die Ukraine auf ihrem Staatsgebiet selbständig agieren kann und sich Freund und Feind selber aussuchen kann. Ohne Putin vorher zu fragen. Iran mit Waffen und Nordkorea mit Soldaten als Putinhelfer nebst zweifelhaften Chinesen und ebensolchen BRICS-Freunden kann auch keiner verhindern – seine Entscheidung zu recht. Unrecht hin oder her. Das muss der Westen hinnehmen, wie Putin die autonome Ukraine in ihrem Handeln akzeptieren muss, zumal Putin einseitig Verträge der Nach-Sowjetzeit durch militärische Handlungen ignoriert hat, um seinen imperialen Zielen laut eigener Geschichtsschreibung zu huldigen. Wer dabei krepiert wie drüben, ist ihm schlicht egal, null Empathie, wie alle sogenannten „Führer“.
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Kommentar von Bernhard Kopp von Brackel
Herr Orban hat immer noch nicht begriffen, dass er auch die EU ist. Nicht nur deren Präsident für 6 Monate. Von seiner Reise über Moskau und Beijing ist er mit leeren Händen zum Nato-Treffen in Washington gekommen. Er hatte nichts mitgebracht, was Russland, Ukraine, die USA und die EU an einen Tisch gebracht hätte. Es ist absurd zu glauben, dass die Biden-Administration im Wahljahr 2024 nichts lieber gehabt hätte als einen Waffenstillstand/Friedensverhandlung und das Ende der bei der Mehrheit der Amerikaner höchst unpopulären Hilfen für die Ukraine. Es wäre ebenso absurd zu denken, dass die Europäer, auch die EU-Eliten, keinen Frieden mit Russland wollten. Aber, wir brauchen einen solchen, der stabiler ist als das Budapester Memorandum von 1994.