Christian Witt im Interview
Nachdem es gestern eine fast gemächliche Veranstaltung war, kam es spät in der Nacht noch zu großen Polizeieinsätzen. Was war los auf den Straßen von Tiflis?
Es ging um die letzten circa 150 Demonstranten, die auch weit nach Ende der eigentlichen Veranstaltung noch auf dem Platz geblieben waren und mit Böllern auf die Polizisten geschossen und ihre Laserpointer auf sie gerichtet haben.
Auch in den U-Bahnen soll es vorher Ausschreitungen gegeben haben, berichtete mir eine Demonstrantin. Das sei dann der Auslöser für diese Polizeiaktion gewesen. Die Polizisten stehen jeden Tag für ein Einschreiten bereit, haben bisher aber selten eingegriffen. Gestern nacht haben sie sich zu einem Kessel und zum Auflösen der Demonstration entschieden. Dabei sollen etliche Personen festgenommen worden sein.
Was war davon heute Morgen und im Laufe des Tages noch zu spüren? War es entspannter?
Das hätte man denken können. Aber tatsächlich waren ab 11 Uhr wieder 200 oder 300 Demonstranten auf dem Platz. Ich habe sie die “Tagschicht” genannt. Und ich habe auch das Gefühl, auch nach den Posts, die ich gelesen habe, und nach einem Kontakt mit einer Dame, die im Orgateam ist, dass diese Gruppe jetzt dabei ist, noch mehr Aktionen zu organisieren, um rund um die Uhr sichtbar zu sein.
Wie verhält sich der Georgier auf der Straße gegenüber diesen Leuten? Die Georgier haben ja mehrheitlich die neue Regierung gewählt, die jetzt verhindert werden soll ...
Die gehen nebenbei einkaufen, gehen dran vorbei, gehen auf der anderen Seite vorbei. Ich habe eine Szene beobachtet, wo eine Frau mit zwei Kindern etwas zu zu einer Demonstrantin gesagt hat und die ist dann lauthals schreiend hinter der Frau mit den beiden Kindern hergelaufen. Es ist sehr emotional und es scheint kein ruhiges Gespräch im Moment möglich.
Wie ist denn der Einfluss der westlichen Medien hier auf den Straßen von Tiflis zu beurteilen? Gibt es eine Spaltung der Gesellschaft?
Definitiv. Die Demonstrierenden beziehen sich auch auf Medien, Nachrichten, politische Nachrichten zum Beispiel aus Deutschland oder auf das Widerstandsrecht, das es im Grundgesetz gibt, und nehmen das dann für sich in Anspruch. Aus ihrer Sicht, nachdem die Wahl verloren ist und nachdem das Verfassungsgericht bestätigt hat, dass die Wahl verloren ist, nehmen sie für sich den Widerstandsparagraphen in Anspruch.
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Wie wird das von den nicht involvierten Georgiern auf der Straße wahrgenommen?
Es sind die westlich Orientierten, die demonstrieren, die für Firmen im Westen arbeiten, die für Institutionen im Westen arbeiten, die auch für NGOs arbeiten, die natürlich für Europa sind und dort Schutz suchen.
Nun ist die neu gewählte Regierung nicht per se gegen Europa ...
Nein, im Gegenteil. Sie sagen aber, damit sie nicht erpressbar sind, wollen sie es erst in vier Jahren wieder aufgreifen. Was im Übrigen ungefähr das ist, was die EU im Sommer selbst gesagt hat, dass sie die Annäherung erst mal auf Eis legt, solange das NGO-Transparenzgesetz in Kraft ist.
Spürst du eine Art Eskalation? Dass sich hier etwas immer mehr verdichtet und zu etwas führt, was man noch nicht einschätzen kann?
Das kann ich nicht neutral sagen. Ich bin ja erst fünf Tage hier. Ich kann nur sagen, dass es sehr unversöhnlich ist zwischen den Seiten. Wenn ich schaue, was in Social Media passiert. Da wird nicht diskutiert, da wird nur noch gehasst.
Ist hier das Modell Demokratie grundsätzlich in Gefahr, wenn es so leicht angreifbar scheint von Propaganda von außen, womöglich von gezielter Propaganda?
Das trifft es genau. Und das ist auch das Kernproblem mit den NGOs. Dass die in der Lage sind, mit massivem Einsatz von Geld Politik zu gestalten. Es gibt seit 1938 ein Gesetz in den USA, das so etwas verhindert, und in Kanada und in Irland ebenfalls.
Kommt der neue Faschismus aus der Zivilgesellschaft und dort von den NGOs?
So sieht es der georgische Präsident. Und so hat er das bezeichnet mit einem Zitat von Orson Welles als “faschistischen Liberalismus”, der sich nur als liberal tarnt, aber tatsächlich autoritäre Züge trägt.
Was zeigt Dein Filmmaterial?
Einen Zusammenschnitt von gut zwei Stunden Begleitung vom ersten Auffahren der gepanzerten Fahrzeuge und der Gaswerfer, der Gaskartuschen-Werfer und dem Aufbau der Hilfspolizei bis hin zum Aufmarsch und zum Vertreiben.
Ich sehe da schon eine Verdichtung und vor allem eine große Frage: Was passiert am 14. Dezember, wenn die Präsidentin ihr Amt nicht niederlegt und der neue Präsident gewählt wird? Das ist eine Verfassungskrise, die auch von außen verstärkt wird.
Um 22 Uhr Ortszeit am Samstag berichtet Christian Witt noch einmal direkt vom Freiheitsplatz am Parlament in Tiflis. Wurde die Polizei gestern erst spät in der Nacht aktiv, beginnt die Polizei mit einer deutlichen Verschärfung der Repression, Wasserwerfer werden aufgefahren. Zwar fehlten noch die großen Truppen, aber es wird zu einer Machtdemonstration, berichtet Christian Witt aus Tiflis/Georgien.
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Kommentar von Joly Joker
Das hier ist mir neu!
"Es gibt seit 1938 ein Gesetz in den USA, das so etwas verhindert, und in Kanada und in Irland ebenfalls."
Was für ein Geschrei als Russland unter Putin dies einführte. Ich hätte das auch gerne in Deutschland. Und Milliardäre mit ihren NGO-Foundations sollte man verantwortlich machen für die verursachten Schäden.
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Kommentar von Hier Niemandsland
Ab Oktober 1989 wurde ich persönlich mehrmals von einer FDGB Größe zu den berüchtigten Montags-Demos "eingeladen. Winkelemente, Wunderkerzen und Feuerzeuge gab es gratis als Lockmittelm wenn man anbiss. Das werbende Weib war wie sich später herausstellte IM und hat gleich nach dem Fall der Mauer ihr Parteibuch abgegeben, sich als Evangele geoutet und hat ab 1992 hauptamtlich für für eine Gewerkschaft unter dem Dachverband des DGB gearbeitet.
Sie wurde sofort 1990 zur Personalsondierung und Säuberung von unseren "Neuen Herren"eingesetzt. Kein Bonze fiel tief und der kritische "Unrat" fand sich auf dem Arbeitsamt wieder.
Und gehetzt hat sie bis zum Mauerfall richtig professionell, danach hat sie uns gleich die Vorzüge der BRD erklärt.
Soviel zur friedlichen Revolution im Osten, die furchtbar "Orange"war.
Demos sehe ich seitdem, egal wo sie stattfinden, sehr kritisch!!