Er leidet abgrundtiefe Angst, er presst sein Gesicht an seine Mutter, seine aufgequollenen Augen zeugen von einem Weinen, das den ganzen Morgen gedauert haben muss. Seine Verzweiflung ist physisch zu greifen. Letzte Woche, und diese Woche wieder, seine Mutter wirkt hilflos, woran es bloß liege, frage ich sie, vielleicht solle sie mal einen guten Freund oder einen Verwandten mit ihm reden lassen, oft öffnen sich Kinder bei einer Vertrauensperson einfacher als bei den Eltern. Dabei sei er ein guter Schwimmer, es waren gerade Sommerferien und im Urlaub sei er unentwegt geschwommen, erzählt sie mir.
Ob es der Zwang ist, nackt zu duschen, den ihn so tief verstört, weiß ich nicht sicher, seine Mutter erwähnte es mir gegenüber auch nicht, wohl weil sie dachte, ich wüsste darum. Aber ich scheine der einzige gewesen zu sein, der erst am Elternabend davon erfuhr.
Wie bitte? Sie müssen sich nackig machen, werden dann in die Dusche gelotst, duschen, um sich danach nass in ihre Badeanzüge zu zwängen? Ich hatte nie von so etwas gehört, hätte mir jemand davon erzählt, hätte ich es für einen dummen Witz gehalten. Ich habe auch nie einen Politiker davon reden gehört, dabei wäre das doch ein schlagender Slogan: „Gegen Nacktduschzwang an Grundschulen“.
Man muss dazu wissen: Es fährt kein Lehrer und keine Lehrerin mit zum Schwimmunterricht. Für das Schwimmen ist ausschließlich der Hort zuständig. Dabei ist der Schwimmunterricht nicht etwa nachmittags. Treffpunkt ist schon um 7:20. Der Bus fährt um 7:25 ab. Es fahren also nur Horterzieher mit, in unserem Fall tatsächlich auch keine Bezugserzieher, sondern klassenfremde Erzieher.
Wir müssen Datenschutzverordnungsromane in Schule und Kita signieren, wo „Erzieher*innen“ uns „Kinderrechte“ erklären, in Chats kleben wir unseren Kindern Smileys aufs Gesicht und gleichzeitig duschen unsere Kinder unter fremder Aufsicht nackt?
Wer macht diese Regeln? Und wer setzt sie durch? Kontrolliert der Bademeister, ob sie sich wirklich nackt duschen? Warum setzt eine Erzieherin diese Regel durch? Ich habe Erzieher gesehen, die Erstklässlern die FFP2 über der Nase festdrückten, ich dachte, ich sei gewappnet gegen allerhand böse Überraschungen. Ich war es offensichtlich nicht.
Ein kurzes Googeln gibt mir einen Überblick: „Bitte einmal blankziehen!“ titelt 2015 RTL eine Dokumentation über das Nacktduschen an Berlins Grundschulen. Der achtjährige Louis erzählt:
„Als wir uns geweigert haben, die Badehosen auszuziehen, hat die Schwimmlehrerin gesagt: Wenn wir nicht in 5 Sekunden ausgezogen sind, zieht sie uns aus.“
Im Gegensatz zu den Kleinen lassen Erwachsene ihre Badehosen an, berichtet RTL. Da das Schwimmbad öffentlich ist, teilt die nackte Schulklasse das Bad mit normalen Besuchern. Und weiter: „Das textilfreie Duschen steht in der Hausordnung des Schwimmbads und wird aus Hygiene-Gründen gefordert.“ Auch die Berliner Morgenpost hatte damals berichtet und zitiert eine Mutter: „Es gibt sicherlich Kinder und Eltern, die damit kein Problem haben. Es gibt aber auch Kinder, für die wird der Schwimmunterricht dadurch zur Belastung.“ Daran hat sich nichts geändert.
Auf der Homepage der Erich-Kästner-Grundschule in Gera finde ich das Schwimmregelwerk des Freistaats Thüringen für das aktuelle Schuljahr: „Aktenkundige Belehrung für begleitende Lehrer und Erzieher“. Unter Punkt zwei heißt es: „Das Umkleiden der Schüler sowie das Duschen sind zu beaufsichtigen (alle Kinder duschen nackt und seifen sich ab.)“
Und die Mitteldeutsche Zeitung berichtet 2019: Im Eilverfahren hat das Verwaltungsgericht Halle entschieden, dass eine muslimische Grundschülerin vor dem Schwimmunterricht entgegen der Haus- und Badeordnung in Badekleidung duschen darf.
Es ist nicht einfach, heute „Grundschüler*in“ zu sein. Aber manchmal hilft ein guter Anwalt.
Einen Kommentar schreiben
Sie müssen sich anmelden, um Kommentare hinzuzufügen. Aufgrund von zunehmendem SPAM ist eine Anmeldung erforderlich. Wir bitten dies zu entschuldigen.
Zur Anmeldung
Kommentare
melden
Kommentar von Bernhard Rossi
Instrumentalisierung, in Kita, Grundschulen und weiterführenden Schulen, Mediennutzung, Medienangebot - da bleibt der gesunde Menschenverstand auf der Strecke! Die Mitläufer zeigen sich beim freitäglichen Schule schwänzen auf der Straße. Bis sie merken, dass sie von Greta, Luisa & Co. missbraucht wurden!
melden
Kommentar von .TS.
Interessant daß die Anforderungen an nötig Hygiene vom Glauben abhängt: War mir neu daß Schweiß und Bazillen religiös beeinflußt sind. Aber im tollesten Neuschland aller Zeiten gibt es sicher bald eine "wissenschaftliche" Aussage sogenannter "Experten" die auch das unhinterfragbar "beweisen" werden.
melden
Kommentar von Charlotte Hinterhuber
Ihre Kinder sind wohl noch jung. Ich habe heute einen Kuchen gebacken zu einem 35. Geburtstag eines meiner Kinder. Die Schulzeit voller mobbender Lehrer (je nachdem, ob die Eltern sie hofiert haben, oder nicht) war auch damals eine Qual. Die Schwiegermutter eines meiner Kinder sagte ihm: Hast du gehört? Deine Grundschullehrerin ist gestorben. Das Kind antwortete: Möge sie in der Hölle schmoren.
melden
Kommentar von Enthor Grundbacken
Es ist schon merkwürdig: zu meiner Schulzeit, in der ebenfalls in diesem Alter Schwimmunterricht stattfand, gab es kein ‚Nacktduschgebot‘. Und ich bin in einer saubereren Umgebung aufgewachsen, als es Berlin jemals war.
Als Eltern würde ich meinem Kind, sofern es das nicht möchte, ein ärztliches Attest besorgen.
@Marcus Thiemann: ‚Jemanden zu zwingen sich nackt auszuziehen ist immer ein Akt von (sexueller) Gewalt‘.
Ja, ich stimme zu! Wenn man aber Menschen, wie z.B. einen Herrn Lauterbach oder eine Frau Lang, zwänge sich ausziehen, dann wäre das ein Akt der sexuellen Gewalt gegen die Zuseher.
melden
Kommentar von Kevin Anger
Wäre es nicht an der Zeit eine Religionsgemeinschaft zu gründen, diese mit entsprechenden Regeln zu versehen und dann auf Gleichbehandlung mit den Anhängern des Islam zu klagen?
melden
Kommentar von Marcus Thiemann
Jemanden zu zwingen sich nackt auszuziehen ist immer ein Akt von (sexueller) Gewalt. Ich verstehe auch das Hygienische Problem nicht. Es kann ja auch nicht so groß sein, wenn es Ausnahmen zulässt, und so fragen wir uns: Wie sieht es eigentlich im Wedding oder in Neukölln aus?
melden
Kommentar von F. Lo
Das Verwaltungsgericht (VG) Halle bezog sich konkret auf die Religionsfreiheit (Quelle: LTO). Die Glaubensfreiheit umfasse auch das Tragen bestimmter Kleidung und stehe bereits Kindern zu, selbst wenn die Haus- und Badeordnung andere Regelungen treffe. Die Schülerin hatte mit Verweis auf den Koran dargelegt, dass es nach ihrer Glaubensüberzeugung nicht erlaubt sei, sich vor anderen Personen, die nicht zur Familie gehören, nackt zu zeigen. Das VG erklärte in dem Eilverfahren, dass Artikel 4 des Grundgesetzes jedem Einzelnen das Recht gewährleiste, nach seiner Glaubensüberzeugung zu leben und seinen Glauben zu bekunden. Selbst Kinder dürften bestimmte Kleidung tragen, auch wenn diese bis zu ihrer Religionsmündigkeit zunächst von ihren Eltern vertreten werden. Zwar könnten sowohl die Glaubensfreiheit der jungen Muslima als auch das religiöse Erziehungsrecht der Eltern eingeschränkt werden. Gerade von Unterrichtsveranstaltungen könne jedoch im Hinblick auf die Integrationsfunktion der Schule nur in Ausnahmefällen befreit werden, so das VG. Auch wenn das Duschen vor dem Schwimmen nicht zum Unterricht gehöre und diesem deswegen "keine integrative Funktion" zukomme, könne die Religionsfreiheit nicht eingeschränkt werden.
Demnach ist in der Badeanstalt das religiöse Erziehungsrecht der Eltern in diesem Punkt relevant. Das allgemeine Erziehungsrecht von Eltern, die nicht möchten, dass ihre Kinder sich wider Willen nackt zeigen müssen, nicht?