Die Zahl der erwerbsfähigen Menschen wird um bis zu fünf Millionen sinken

Migration in eine alternde Gesellschaft ist nicht Rettung, sondern Gnadenstoß

von Julian Adrat (Kommentare: 8)

Es gibt vielleicht keinen fundamentaleren Geisteswechsel als den, der die Menschen dazu gebracht hat, keine Kinder mehr zu bekommen…© Quelle: Pixaybay / Alexas_fotos

Meine Oma hat sich vor einigen Wochen den Arm gebrochen. Sie ist 83. Aber rüstig. Sie war mit ihrem Freund im Theater und auf dem Weg zu den Toiletten gestürzt.

Als ich am Sonntag mit ihr telefonierte, hatte sie gerade ihren ersten Tag Reha hinter sich. Es muss das Paradies sein. Hier ein Arzt, der ihr was einrenkt, dort ein Arzt, der sie berät. Dann geht’s rüber in den Kraftraum, oder zur Massage. Und die Schwestern erst, überhaupt alle: furchtbar nett.

Tatsächlich hat diese Reha einen guten Ruf, aber es wird ne Menge gute Rehas geben in diesem Land. Auch für gesetzlich versicherte Angestelltenwitwen wie meine Oma. Ich musste denken: Nicht mehr lange. Ich werde nicht in diesen Genuss kommen. Meine Eltern wohl auch nicht mehr. Die Zahl der erwerbsfähigen Menschen wird in den nächsten 15 Jahren um bis zu fünf Millionen sinken, die der über 67-Jährigen um etwa vier Millionen zunehmen. Menschen, die Omas massieren wird, es immer weniger geben, genauso wie Menschen, die Pakete liefern oder Windräder aufbauen.

Das ist überhaupt eins der großen Rätsel: Das Klima glaubt man auf Jahrzehnte exakt berechnen zu können, der Bevölkerungsschwund gilt als Traumgebilde. Ich bin 32 Jahre alt und die meisten meiner Freunde und Bekannten haben keine Kinder. Und selbst wenn sie alle in den nächsten fünf Jahren welche bekämen, dann wären diese im Jahr 2050 gerade mal zwanzig. Eigene Kinder bekämen sie dann eher Richtung 2060.

Das „Wissenschaftszentrum Berlin“, „Institut für angewandte Sozialwissenschaft“ und die ZEIT haben Menschen 2015 und 2023 zu diesem Thema befragt.

Rudi Novotny schreibt diese Woche in der ZEIT:

„Sogar dreifach mit der Bitte um eine persönliche Antwort, eine Empfehlung und eine Prognose: Wie wichtig sind Ihnen eigene Kinder? Wie wichtig sollten sie kommenden Generationen sein? Und wie wichtig werden sie der Gesellschaft sein? Und sie zeigen: Die Wichtigkeit, eigene Kinder zu haben, ist bei den Deutschen erschüttert. Im Jahr 2015 lag sie auf einer Skala von 1 bis 7 bei einem Wert von 6 – sehr wichtig. Im Jahr 2023 pendeln sich die Antworten dagegen nur noch bei 4,8 ein. Die Differenz zwischen 2015 und heute wird noch etwas größer, wenn es darum geht, ob es kommenden Generationen wichtig sein sollte, Kinder zu haben. Hier sackt der Wert von 6,1 auf 4,7 ab. Das gilt sogar, wenn man nur Eltern befragt. Diese empfinden zwar eigene Kinder weiterhin als sehr wichtig. Aber Elternschaft sehen sie viel weniger als noch 2015 als erstrebenswert für die Gesellschaft an.“

Ich gestehe, ich war naiv, lange dachte ich, Elternschaft heile einen von allerhand Flausen. Dann kam Corona. Und Eltern, die ihre Kinder zwangen, FFP2 zu tragen. Über Stunden. Im Freien. Davon werde ich mich nicht mehr erholen.

Aber so ist das nun mal, der Säkularismus frisst, wie alle Monster, seine eigenen Kinder. Elternschaft hin oder her.

Es gibt vielleicht keinen fundamentaleren Geisteswechsel als den, der die Menschen dazu gebracht hat, keine Kinder mehr zu bekommen ... Es gibt Menschen, die auf Kinder verzichten, um mit gutem Gewissen zu fliegen oder Steak zu essen. CO2-Abdruck und so. Eine so fundamentale Revolution, wie es die sexuelle war – zu ihrer völligen Ausprägung gelangt sie erst Jahrzehnte später. So wird es auch umgekehrt sein.

Forscher am Institute for Health Metrics and Evaluation der University of Washington zeigten, dass sich die weltweite Geburtenrate im Jahr 2017 auf 2,4 fast halbiert hat – und ihre im Lancet veröffentlichte Studie geht davon aus, dass sie bis 2100 unter 1,7 fallen wird.

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Japans Bevölkerung wird voraussichtlich von einem Höchststand von 128 Millionen im Jahr 2017 auf weniger als 53 Millionen bis zum Ende des Jahrhunderts sinken. In Italien wird im gleichen Zeitraum mit einem ebenso dramatischen Bevölkerungsrückgang von 61 Millionen auf 28 Millionen gerechnet. Sie sind zwei von 23 Ländern – zu denen auch Spanien, Portugal, Thailand und Südkorea gehören – deren Bevölkerung voraussichtlich mehr als halbiert wird.

China, das derzeit bevölkerungsreichste Land der Welt, wird voraussichtlich in vier Jahren mit 1,4 Milliarden Einwohnern seinen Höchststand erreichen, bevor es sich bis 2100 auf 732 Millionen fast halbiert. Indien wird seinen Platz einnehmen.

Die Zahl der unter Fünfjährigen wird von 681 Millionen im Jahr 2017 auf 401 Millionen im Jahr 2100 sinken. Die Zahl der über 80-Jährigen wird von 141 Millionen im Jahr 2017 auf 866 Millionen im Jahr 2100 steigen.

Es wird erwartet, dass sich die Bevölkerungszahl in Subsahara-Afrika bis zum Jahr 2100 auf über drei Milliarden Menschen verdreifachen wird.

Und die Studie besagt, dass Nigeria mit einer Bevölkerung von 791 Millionen an zweiter Stelle der bevölkerungsreichsten Länder der Welt stehen wird. Zahlen sind unbestechlich, vielleicht meidet auch deshalb der Mainstream dieses Thema. Bis jetzt.

„Mit neuen Familienmodellen, bei denen mehrere Menschen Verantwortung für den Nachwuchs übernehmen, ließen sich die Lasten auf mehr Schultern verteilen“, schreibt Rudi Novotny. Von welchen Schultern redet er? Übrigens zeugen solche „Lösungsvorschläge“ nicht nur von mathematischer Unkenntnis, sie offenbaren seelischen wie intellektuellen Hirntod. Kernfamilie? Kann weg. Quod erat demonstrandum.

Eine ähnlich lebensferne Sicht auf die Dinge ist der Glaube, Migration behöbe das Problem. Wer zwei und zwei zusammenzählen kann, versteht: Migration in eine alternde Gesellschaft kann niemals deren Rettung sein. Sie ist deren Gnadenstoß. Schweden hat seine Geburtenrate von 1,7 auf 1,9 erhöht. Der Preis: In Schwedens zweitgrößter Stadt Malmö leben 20 Prozent Muslime.

Was rät man also seinen Kindern? Und Enkelkindern? Nigerianisch lernen? In Nigeria spricht man 541 Sprachen. Kein Witz. Im diesem Sinne: Frohe Pfingsten!

PS: Der Freund meiner Oma hatte vor wenigen Tagen einen Schlaganfall. Reden fällt ihm sehr schwer. Er wartet jetzt auf einen Reha-Platz.

Julian Adrat ist freischaffender Künstler und Podcaster. Er lebt und arbeitet in Berlin. https://www.julianadrat.com

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