Das gegenderte Sommermärchen 2022

Ladies first: England schlägt Deutschland in Wembley mit 2:1 nach Verlängerung

von Bertolt Willison (Kommentare: 2)

Keine neue Erkenntnis: Frauen sind keine Männer, auch beim Fußball nicht.© Quelle: ARD Screenshot, Bildmontage Bertolt Willison

Die Fußball-Europameisterschaft der Frauen ist zu Ende gegangen mit einem Finale vor über 87.000 Zuschauern, wie man es sich von der Konstellation her nicht besser hätte vorstellen können.

England gegen Deutschland in Wembley.

Gut, 1966 waren es die Männer. Welcher Fußballfan wird nicht die schwarz-weißen Bilder vor Augen haben vom Drama im alten, inzwischen durch eine Hightech-Arena ersetzten Wembley-Stadion.

Das Wembley-Tor ist Legende, ein Tor, das kein Tor war, Unterkante Latte, Torlinie. Das entscheidende 3 : 2 in der 101. Minute, später noch das 4 : 2. England wurde Weltmeister. Deutschland am Boden zerstört, aber aufrecht.

Uwe Seeler, vor wenigen Tagen verstorben, damals Kapitän der deutschen Nationalmannschaft, wird mit gesenktem Haupt vom Platz geführt, gratuliert den Engländern bei der Siegerehrung auf beeindruckende Art und Weise, verliert nie ein böses Wort über diese schicksalhafte Fehlentscheidung. Ein wahrer, ein aufrichtiger Gentleman-Sportler. Uns Uwe, Fußballgott.

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Sicher hätte der große alte Mann des deutschen Fußballs heute den Frauen gerne bei ihrem Kampf um den EM-Pokal zugeschaut. Ganz gleich, wie das Spiel ausgegangen wäre: Wir dürfen annehmen, dass Uwe Seeler ein paar wohlwollende Worte für die Siegerinnen und Worte des Trostes für die Verliererinnen gefunden hätte.

Was für ein Fußballfest, die Frauen-EM in England. Sportlich-friedliche Atmosphäre auf den Rängen. Eine große und gar nicht schrille Begeisterung für die eigene Nationalmannschaft. Respekt und manchmal sogar Bewunderung für den Gegner. Das waren sehenswerte sportliche Höchstleistungen auf dem Grün gleich in Serie.

Keine neue Erkenntnis: Frauen sind keine Männer, auch beim Fußball nicht. Weitschüsse auf das Tor – selten. Reklamieren – kaum. Brutale Fouls – nein. Schwalben – Fehlanzeige. Im Überfluss dafür Technik, Kombinationsspiel und eine Reihe sehenswerter Tore. Attraktive Spiele mit attraktiven Sportlerinnen, sexy Ronaldo No. 7 kann einpacken.

Keine Frage, Fußballfunktionäre bemühen sich heute, dem Frauenfußball jene Anerkennung auch offiziell zu verschaffen, die er bei Millionen Fans längst bekommt. Kaum zu glauben, dass es deutschen Frauen in den 1950er und 1960er Jahren vom DFB verboten war, dem runden Leder hinterherzujagen. Nein, die Begründung lässt sich auch mit den damaligen gesellschaftlichen Verhältnissen nicht entschuldigen:

„Im Kampf um den Ball verschwindet die weibliche Anmut, Körper und Seele erleiden unweigerlich Schaden und das Zurschaustellen des Körpers verletzt Schicklichkeit und Anstand.“

Aber es gab tatsächlich einige wenige mutige Frauen, die trotzdem Fußball spielten, fast wie Partisaninnen, sogar in Vereinen, Länderspiele wurden semilegal ausgetragen. Heute müssen sich nur noch Frauen aus einigen wenigen muslimischen Ländern ihre Lust am Fußball gegen männliche Unterdrücker ertrotzen.

Das alles ist in aufgeklärten Gesellschaften längst vorbei. Inzwischen hält sich fast jeder Bundesligist auch eine Fußballfrauenmannschaft. Der VfL Wolfsburg und Bayern München stellen das Gerüst der Nationalmannschaft. International wird das inzwischen auch so gesehen. FC Barcelona, Chelsea London, Paris Saint-Germain – sie alle unterhalten Frauenteams. Paris Saint-Germain gehört übrigens den Scheichs aus Katar.

Habe ich „hält sich“ und „unterhalten“ gesagt? Habe ich … und es auch genauso gemeint. Denn immer noch ist der Fußball der Frauen isoliert betrachtet ein finanzielles Zuschussgeschäft, gesponsert aus den Töpfen (Töppen?) der Fußballmänner, mit ganz unterschiedlichen Beweggründen.

Dass manche Männer manchmal noch in die urzeitliche Stimmung gegenüber den Frauenfußballerinnen zurückfallen … geschenkt. Doch trotzdem erwähnenswert. Ein Beispiel ist ein aktueller Post auf der Facebook-Seite „Der Herthaner“:

„Wer kommt auf solch eine Idee, ausgerechnet das Finale eines großen europäischen Fußball-Turniers um 18:00 Uhr beginnen zu lassen? Schade, hätte das Spiel sehr gern nach den tollen Auftritten der Deutschen Damen in den vorherigen Begegnungen gesehen, aber unsere Hertha geht nun mal einfach vor!“

"Der Herthaner" spricht vom zeitgleich stattfindenden DFB-Pokalspiel der Hertha-Männer bei Eintracht Braunschweig. Das ist sehr nett geschrieben und bestimmt gut gemeint, mit vielen Herzchen geschmückt. Die Leser schreiben zurück, dass für sie ihre Hertha vorgeht, sie aber versuchen werden, auf einem Bildschirm Pokal zu schauen und auf einem anderen das EM-Finale.

Nur ein Kommentator wertet diese parallelen Ansetzungen anders:

„Es ist doch wohl eher die Frage, warum ein Pokalspiel der ersten Runde vom DFB zeitgleich zum EM-Finale terminiert wurde. Das ist pure Ignoranz dem Frauenfußball gegenüber.“

Vielfach Daumen hoch für diesen Kommentar. Immerhin.

Klar, die Männer werden den Fußball immer dominieren. Wenn das sich ändern soll, müssen schon biologische Transformationen stattfinden. Einige politische Gruppen arbeiten bereits daran.

Aber das soll heute kein politischer Abend werden, zu schön, zu rein, zu sportlich erstklassig waren die Wochen voller Höchstleistungen bis zum Finale. Die Fußballerinnen haben in beeindruckender Manier bei der Europameisterschaft in England gezeigt, wie man jeweils mindestens 90 Minuten lang die Zuschauer fesseln kann. Sportliches Entertainment auf europameisterlichem Niveau.

Wir gratulieren den neuen Fußball-Europameisterinnen aus England.

Und dem Zweitligisten Eintracht Braunschweig, der die Hertha nach Elfmeterschießen nach Hause schickte.

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