Sahra Wagenknecht hat parteiübergreifend so hohe Popularitätswerte wie kaum ein anderer aktiver Politiker. Immer mehr Stimmen hegen die Hoffnung, dass die linke Vorzeigefrau (viele ihrer Parteigenossen würden sie nie so bezeichnen) endlich die Gründung einer eigenen Partei verkündet.
Einen ersten Versuch gab es schon vor ein paar Jahren. „Aufstehen“ hieß die Bewegung mit dem Flaggschiff Wagenknecht, die die Partei „Die Linke“ von innen reformieren sollte. Ein Versuch, der sich im Nachhinein schon deshalb als naiv erwies, weil er an den starren Machtstrukturen der SED-Nachfolgepartei scheitern musste und den Isolationsprozess von Sahra Wagenknecht in ihrer Partei noch mehr beförderte.
Die Attacken aus der Linken gegen Wagenknecht gehören hier schon zum Ritual, wie jener Spagat, die Linkspolitikerin immer wieder vorführen zu müssen. Stimmen in der Partei fordern regelmäßig Wagenknechts Ausschluss.
Ohne allzu schwärmerisch zu werden: Viele Anwürfe überstand Sahra Wagenknecht, sie bleibt äußerlich gelassen, mehr verwundert und irritiert als aggressiv und verletzt. In Talkshows und anderen Veranstaltungen sieht sie sich regelmäßig einer Horde fletschender „Diskussionsteilnehmer“ gegenüber. Aber die hochgezogenen Augenbraue obsiegt meistens, fein kombiniert mit klugen, nachdenkenswerten Worten.
Je mehr der Mainstream inklusive der eigenen Genossen auf sie eindrischt, ganz gleich, ob sie sich zur Flüchtlings-, Corona- oder Kriegspolitik äußert, der Beliebtheitskurve der Wagenknecht tut das keinen Abbruch. Es scheint sogar eine Folgerichtigkeit zu besitzen.
Da sind zum einen diejenigen, für die links sein immer noch etwas mit dem Eintreten für soziale Gerechtigkeit und für Frieden zu tun hat, völkerverbindend und doch patriotisch, was überhaupt kein Widerspruch ist, die sich mit dieser Haltung aber nicht mehr von der Partei „Die Linke“ vertreten fühlen. Sie können es kaum noch aushalten, wie ihre Gallionsfigur Sahra Wagenknecht im öffentlichen Diskurs mit Schmutz beworfen zu werden.
Eine andere, womöglich weit größere, unsichtbare Gruppe sind die Protest-Nichtwähler, diejenigen, die sich nicht überwinden können, ihre Unzufriedenheit mit den etablierten Parteien mit einer Stimme für die AfD zu bekunden und darum lieber bei Wahlen zu Hause bleiben. Unter ihnen gibt es viele, die in einer „Sahra Wagenknecht Partei“ einen guten Ort für ihre Wählerstimme sehen würden.
Der SUPERillu – einer Zeitung, die nach der Wende explizit im Osten ihre Stammleser gefunden hat – gab Sahra Wagenknecht ein Interview. Die Linke hat ein Gespür dafür, wer ihre Wähler sind, wo sie wohnen. Die SUPERillu versteht sich als „Plattform für alle, die das Land und seine Menschen lieben.“
In eben dieser Zeitschrift finden sich nun Wagenknechts Sätze, welche Fans der Politikerin aufhorchen lassen:
„Ich wünsche mir, dass es auf dem Wahlzettel zur nächsten Bundestagswahl eine Partei gibt, die für die Interessen unseres Landes, für wirtschaftliche Prosperität, soziale Gerechtigkeit und Frieden steht.“
Von diesen Zielen habe sich die Partei Die Linke entfernt, was zum Ergebnis habe, „dass der Wählerzuspruch von Wahl zu Wahl geringer wird. Niemand braucht eine zweite grüne Partei.“
Es ist wohl tatsächlich die Ursünde der Linken, dass sie sich dem grünen Mainstream angebiedert haben, mit ihm Bündnisse schmiedeten und in diesen langsam verglühten, bis hin zur Bedeutungslosigkeit, so wie gerade erst in Niedersachsen gesehen. Im Westen unattraktiv, im Osten sterben die Wähler weg: Eine Partei leidet an Altersschwäche.
Wagenknecht braucht keine politischen Berater, um zu begreifen, dass der Kahn Schlagseite hat und massiv Wasser eindringt. Unterhaken macht jetzt keinen Sinn mehr. Da heißt es: Rette sich, wer kann. Und Kapitän ist sie längst nicht mehr, worauf also warten?
Die, die noch ein wenig auf der Titanic ihre Lieder singen wollen, werden ihr keine Träne nachweinen, oder vielleicht doch, wenn die Schornsteine im Ozean versinken und beim Eindringen des Wassers noch einmal kurz aufschluchzen, aber dann ist es zu spät.
„Drum links, zwei, drei, drum links, zwei, drei!“ Ihr ehemaliger Co-Fraktionsvorsitzender im Bundestag, Dietmar Bartsch, sieht Wagenknechts Parteigründungsideen tiefenentspannt entgegen. Für ihn ist die Gründung und Etablierung einer Partei in Deutschland „eine ganz andere Dimension“. Er fühlt sich wohl, dort wo er ist, und ist sich sicher: „Ich schließe den Erfolg einer solchen Veranstaltung aus.“ Wenn er sich da mal nicht irrt.
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Kommentar von H. Jacobsen
Ich halte Frau Wagenknecht für eine kluge Frau und traue ihr durchaus einen Ministerposten zu. Das allein genügt aber nicht, um eine von ihr gegründete Partei zu wählen. Die spannende Frage wird sein, mit wem tut sie sich zusammen.
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Kommentar von Arno Nühm
Eine Wagenknecht-Partei wäre gut (und dürfte die jetzige "Linke" weit unter 1% rutschen lassen) -- einziges mögliches Problem: Wenn sich die Gegner der Altparteien ungeschickt verteilen, könnte das zu 4,9% Wagenknecht und 4,9% AFD führen -- und damit zum Ende der Opposition.
Aber auf der anderen Seite wäre das auch nicht viel schlimmer als die jetzige Situation, in der die einzige Oppositionspartei immer ausgeschaltet wird.
Wohl unrealistisch - aber ich würde gerne eine Koalition aus AFD und Wagenknecht-Partei sehen. Eine Koalition, die in jeder Hinsicht gegen die Altparteien steht, und sich bei traditionellen links-rechts-Unterschieden in der Mitte treffen müsste.
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Kommentar von hans
Wagenknechts opportunistisches Geschwätz nützt Deutschland gar nix … wer im Frühsommer '89 noch in die dahinsiechende 'DDR'-SED eintritt, hat nix, aber auch gar nix begriffen. Wagenknecht ist Kommunistin und wird es auch immer bleiben.
Wenn Wagenknecht selber nicht weiß was zu tun ist, macht es auch keinen Sinn es ihr zu erklären … und sollte sie tatsächlich eine neue Partei gründen, spaltet die den sozialistischen Machtanspruch. Nix Neues also im Sozialismus. Gut so.
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Kommentar von Hildegard Hardt
Sahra Wagenknecht ist derzeit die klügste Vertreterin deutscher Politik: Sie hat die seltene Gabe, politische Weitsicht mit Kritik am derzeitigen System zu verbinden, etwas wozu Ex-Kanzlerin Merkel nie bereit war.
Wagenknechts "Aufstehen" war ein Testlauf; daß sie jetzt an die Gründung einer "Neuen Linken" denkt, ist nur die logische Konsequenz, denn ein Zulauf dürfte ihr sicher sein. -
Dietmar Bartsch sieht einer Parteigründung durch Sahra Wagenknecht nur scheinbar gelassen entgegen. In Wirklichkeit fürchtet er eine Gefahr für seine eigene Position, weiß dies aber geschickt zu verbergen.
"Man muß auch gönne könne" gehört nicht zum Sprachgebrauch im Politikgeschäft; schon gar nicht, wenn die eigene Partei am unteren Ende angekommen ist.
Etwa konservativer könnte S. Wagenknecht noch sein, dann wäre sie genau die Person, die Deutschland dringend an der Spitze braucht. Die geistige Fähigkeit bringt sie zweifellos mit, auch die diplomatische, die im außenpolitischen Bereich unabdingbar ist.
Ob sie es gesundheitlich bewältigen würde, steht auf einem anderen Blatt.
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Kommentar von Alfonso Kerner
Wagenknecht: „Ich wünsche mir, dass es auf dem Wahlzettel zur nächsten Bundestagswahl eine Partei gibt, die für die Interessen unseres Landes, für wirtschaftliche Prosperität, soziale Gerechtigkeit und Frieden steht.“
So etwas ist zunächst einmal typisches Politiker-Bla-Bla. Diese Aussage könnte ebenso von einem Politiker von jeder anderen Partei sein.
Falls Sie wirklich eine Partei gründet, dann wird diese Partei so wenig Bedeutung (Wählerstimmen) haben, dass sie keinen Einfluss auf die Politik ausüben kann, die von der großen links-grünen Einheitspartei CDU/CSU-SPD-GRÜNE-FDP gemacht wird. Diese Einheitspartei wird auch weiterhin ausreichend Stimmen von den Wählern erhalten, um an der Macht bleiben zu können.
Leider.