Neulich habe ich mich mit einem Nachbarn über den Gartenzaun unterhalten. Wir sprachen darüber, wer 2021 überhaupt noch in dieser Mannschaft mitspielt. Auf Manuel Neuer als Torwart konnten wir beide uns gerade noch einigen. Aber ansonsten? Tja, wir hätten bei einer Dalli-Dalli-Rate-Runde echt übel abgeschnitten. Oder lag es daran, dass wir uns noch an Dalli Dalli erinnern? Jedenfalls kamen wir überein, nichts mehr darüber zu wissen. Also redeten wir einfach weiter über die abgesagten Dorffeste, die Holzabholung und die Mäusepopulation in diesem Frühjahr.
Noch vor wenigen Jahren waren wir überzeugte Fußballfans. Alle miteinander. Jedes Spiel, das übertragen wurde, das schauten wir gemeinsam mit den Nachbarn in einer zugänglichen Garage. Wir feuerten unsere Jungs lautstark an und fieberten bei jedem Strafstoß, sogar noch bei jeder Ecke mit. Heute ist das verboten. Also nicht Fußballspiele an sich. Die sind (noch) erlaubt. Aber gemeinsam mit den Nachbarn in einer Garage bei Bier und Bratwurst einem Länderspiel der Fußballnationalmannschaft fiebernd beizuwohnen.
Heute wo keiner mehr begeistert schaut, erinnern sich nicht einmal mehr einer an dieses verdächtige Fieber, dass jeden echten Fan verdächtig machte, an schrecklichem Nationalismus erkrankt zu sein. Wan fing das eigentlich an? Mögliche Symptome dieser hochinfektiösen Erkrankung machen sich unter anderem durch das Schwenken der Landesfahne oder Mitsingen der Nationalhymne bemerkbar.
Das wurde von den Medien und der Politik Jahr auf Jahr und immer wieder kolportiert, solange, bis man selbst glaubte, dass einen so eine am Auto hängende Fahne mit den Landesfarben zum bekennenden Nazi macht. Und weil Medien und Politik immer nur unser Bestes wollen, so haben sie wirklich viel Arbeit und große Mühe verwandt uns vom bösen Fußballfieber zu heilen. Zuerst wurde die deutsche Fußballnationalmannschaft 2015 in „die Mannschaft“ umbenannt.
Auf Kritik wurde unter anderen mit folgender Schlagzeile reagiert: „und das rechte Lager in Deutschland dreht durch“. Dann wurde peu à peu einer nach dem anderen unserer alten WM-Helden aus der neuen Mannschaft entfernt. Es kamen die jungen und vielfältigen Spieler. Auch jene Spieler, die einen Querschnitt der sich schnell verändernden Bevölkerung darzustellen hatten. Spieler, die eine Nationalhymne zu Beginn des Spieles nicht mitsingen wollten (oder konnten), weil sie diese zwei Minuten dazu nutzen, die Mannschaft zu stärken, indem sie ihre Kaumuskeln vor laufenden Kameras trainierten.
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Spieler mit Migrationshintergrund, die den Präsidenten ehren, dabei jedoch nicht den aus dem Land meinen, für dessen Farben sie auf dem Rasen spielen. Warum dann eigentlich? Fragen über Fragen, auf die ich hier nicht noch einmal eingehen werden muss, da sie inzwischen belanglos sind. Ich bin von diesem alten Fußballfieber geheilt. Die heutige Mannschaft ist mir egal gemacht worden. Die geht mir komplett und mit Verlaub gesagt, an meinem alten Weißen vorbei. Diese Truppe ist zu einem Abbild des Landes formiert worden. Und so befindet sie sich in gleicher Auflösung wie das Land, für das sie spielt. Ein Land, das sich jetzt mit gendergerechter Sprache verständlich machen will ...
Dieses neue Deutschland braucht keine Landessprache mehr noch Landesgrenzen, die geschützt werden müssen. Eine Fußballnationalmannschaft schon gar nicht. In Anbetracht heutiger Begebenheiten repräsentiert die Mannschaft vortrefflich unser Noch-Land. Und Herr Jogi Löw, der ist im Grunde die Angela Merkel des Fußballs.
Halbzeit. Ich gehe jetzt in meine Umkleidekabine und komme in fünfzehn Minuten wieder zurück. In der Hoffnung nach der Halbzeitpause das heutige Spiel noch drehen zu können.
Auf dem Weg zurück wage ich einen imaginären Blick auf meterhohe Abgrenzungszäune, die Fußballfans vom laufenden Spielbetrieb abhalten sollen. So ist der Fußball 2021. Ohne Fans und ohne Seele. Ebenfalls Zäune, aber auch Gräben wurden vor dem Bundestag gerissen, tief und unüberwindbar sollen sie sein. Diese Schutzbauten könnten durchaus als Zeichen eines gerechtfertigten Misstrauens der gewählten Vertreter zu ihren Wählern verstanden werden. Aber vielleicht sehe ich das völlig falsch. Vielleicht wurden diese Schutzwälle ja auch zu unserem Schutz errichtet. Damit wir vor „ihnen“ sicherer leben können.
Vor diesen verwirrten Personen aus den Medien und der Politik. Diese ja durchaus recht kreativen Wortschöpfer, die dieser Tage mit lautstarken Durchhalteparolen aufzufallen wissen. Propagandistische Worthülsen von sich gebend, die in düsteren, längst vergangenen Zeiten wohl ähnlich über das duldsame Volk niedergingen. Karl Lauterbach schwadroniert hierbei an vorderster Corona-Front und Markus Söder will seine bayrischen Grenzen gegen jede Virus-Mutante verteidigen.
Und während Lauterbach, Drosten und Merkel hinter hohen Zäunen, tiefen Gräben und meterdickem Stahlbeton abgesichert, täglich perfidere Durchhalteparolen sich ausdenken, damit wir nun und endlich und mit vereinten Kräften die neuen, extrem tödlichen ausländische Virusmutanten vor den Toren Berlin (diesmal aber wirklich) vernichtend schlagen können, sind wir verwirrt und wie besoffen gemacht von all ihrer Stockholmer Phrasendrescherei schon im harten Lockdown angekommen.
Der Landkreis, in dem ich lebe, ist seit gestern völlig umgeben von Landkreisen, in denen tatsächlich und per Gesetz Bürgersteige hochgeklappt werden. Niemand darf mehr (ohne Grund oder Hund) das Haus verlassen. Willkommen im besten demokratischen System, das jemals auf deutschem Boden sich entfalten konnte.
Die Mehrzahl aller im neuen Deutschland lebenden Menschen scheinen sich in ihrer abgesicherten Sattheit derart mit dem Gedanken arrangiert zu haben, noch immer in einer Demokratie zu leben, dass sie diesen Umbruch in eine ganz andere Staatsform gar nicht wahrgenommen haben.
Lenin war es glaube ich, der einmal behauptet hatte, eine revolutionäre Situation würde es erst dann geben, wenn die oben nicht mehr können und die unten nicht mehr wollen. Ich behaupte, eine revolutionäre Situation wird in diesem Land nicht mehr möglich sein, da heute, hundert Jahre nach Lenin die „unten“ nicht nur jede Vorgabe von denen da „oben“ mitzumachen gewillt sind, sondern selbst noch einfordern! Laut Deutschlandfunk sollen fast siebzig Prozent der Bevölkerung den harten Lockdown für die nächsten drei Wochen freudig begrüßen. Ja, fast scheinen sie sich nach privat regulierter Sicherheitsverwahrung mit sich selbst als Oberaufseher in den sicheren, eigenen vier Wänden zu sehnen. Aber wie lange darf so ein Winterschlaf dauern, bis Gefahr besteht, dass der Schläfer am Ende gar nicht mehr hinaus will in die Sonne?
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