Mit Doppel-Bizeps und Regenbogenflagge

Helene Fischer inhaliert die Mercedes-Benz-Arena

von Julian Adrat (Kommentare: 18)

Die blondierte Puppe mit dem Six-Pack, dem steinharten Bizeps, die an der Hand ihres neuen Freundes durch die Luft wirbelt.© Quelle: privat

Ich war auf dem Helene-Fischer-Konzert. Das Publikum war deutsch und mehrheitlich weiblich. Es waren genau die Leute, die die ZEIT bald in der machtlosen Minderheit sieht: „Urdeutsche“, und die, von denen woke Gesundheitsminister nicht sagen können, was sie eigentlich sind: Frauen.

Von Julian Adrat

Wahrscheinlich fiele ihnen leichter, zu sagen, was ein Engel ist. Der blutrote Diamant, der über den Köpfen der 11 000 Fans schwebt, platzt: Helene Fischer, in schwarz-roter Ledercorsage, mit halb-freien Pobacken, schwebt hernieder.

„In nur einem Moment kann sich alles dreh'n
Wir hab'n uns schon so lang nach diesem Tag gesehnt
Der Himmel voller Lichter, wir sind mittendrin
Und jeder Schritt bis jetzt macht plötzlich Sinn
Wie oft haben wir gelacht und geweint
Nur um hier und jetzt Geschichte zu schreiben?“

Es war das erste von fünf Konzerten in Berlin. Nach fünfjähriger Pause. Baby und Corona, nehme ich an. Mit im Gepäck: Den Cirque du Soleil. Weltklasseakrobaten, oberkörperfrei die gestählten Männer. Außerdem Liebeslieder. Diesmal sogar selbst geschriebene:

„Jetzt steh ich hier und du siehst mich auch
Ich bin bereit, dir blind zu folgen ohne Angst
Ich kann es fühl'n unter meiner Haut
Das ist ein Neubeginn mit dir Hand in Hand“

Ein Attraktionsgefälle zwischen Popstar und Publikum ist nichts Ungewöhnliches. Bei Helene – ich darf sie jetzt so nennen – wird es nochmal getoppt von ihrer akrobatischen Brillanz: Die blondierte Puppe mit dem Six-Pack, dem steinharten Bizeps, die an der Hand ihres neuen Freundes durch die Luft wirbelt. Er war da, er tanzte, die Stelle war frei, dann kam die Liebe. Oder so ähnlich. Aber das ist auch schon wieder fünf Jahre her.

Zurück zum Publikum, zu uns: Natürlich spielt das keine Rolle, ob adipös oder schlank, im Schrei nach Liebe sind wir alle vereint. Und es wurde ziemlich laut in der Berliner Mercedes-Benz-Arena.

Und ein Geständnis von der Bühne herunter: Mit 38 sei sie angekommen, so die Botschaft ihres Liebeslieds. Partner Thomas Seitel – so heißt der Gute – strahlt eine strenge Männlichkeit aus, er ist nicht (mehr) der makellose Adonis, auf seinen Hüften liegt ein leichter Ansatz, der aber nicht hinwegtäuschen darf über seine immense Kraft und Körperbeherrschung.

Nur aus den Armen von Thomas fliegend wagt Helene den Überschlag sicherungslos in der Luft, und lässt das Publikum atemlos aufschreien.

Das Publikum ist deutsch, weiblich – und rauchend. Der Andrang raus auf den überfüllten Balkonring, der die Arena umgibt, ist enorm, die Luft draußen wie in einer Raucherbar. Nach der Pause ist Helene in die Mitte der Halle gerückt.

Was wäre Liebe, wenn sie nur im Diesseits stecken bliebe, Helene ist sich sicher, dass wir uns alle einmal wiedersehen. Sie zeigt mit dem Finger nach oben, sie singt für einen lieben Menschen, den sie verloren hat.

„Wir haben gelacht, haben gelebt
Waren leicht und sind geschwebt
Haben gekämpft, haben geschworn
Waren voll Mut und nie verlorn
Immer wieder neu geborn

Jeder Weg ist auch ein Abschied
Doch ich weiss ich bin bereit, ich
Trag Dich bei Mir
Für jetzt in alle Zeit“

Das sei alles, was sie wolle, Liebe geben, Liebe verbreiten. Es ist übrigens ziemlich schwer, einen Menschen zu finden, der das Gegenteil von sich behauptet, ob Schlagerstar oder nicht.

Aber gerade weil sie in Berlin zu Gast sei …, alle sollen sich wohlfühlen … Es sei ja quasi nicht zu fassen, dass man immer noch, ihr wisst schon … Es sei schließlich das Jahr 2023! Zwei Fan*innen im Stehpublikum in Helenes Nähe waren bestens vorbereitet und hielten Regenbogenflaggen hoch.

„Hast du schon einen Regenbogen in Schwarz-Weiß gesehen?
Kinder die immer nur leise sind?
Das gibt es nicht

Hast du Träume die du nicht erreichen kannst?
Gefühle die du niemandem zeigen darfst?
Die gibt es nicht

Dreh dich um
Dann kannst du über′n Tellerrand sehen
Alles bunt“

Es lohnt sich, über den Tellerrand zu schauen, das stimmt. Auch im Jahr 2023. Und besonders im „Pride Month“. Kinder, die nicht immer nur leise sind, als Allegorie für die Existenz homosexueller Liebe zu setzen, erfordert, gelinde gesagt, ein gutes Stück Gedankenakrobatik.

Übrigens hat Helene dieses Lied nicht selbst geschrieben. Das war Kerstin Ott. Mein Traum: Menschen, die zur Vernunft zurückkehren und erkennen, dass es genau zwei Geschlechter gibt. Und nicht ein halbes mehr.

„Vamos a Marte, wir sprechen eine Sprache
Du spürst, was ich sage
Du liebst meinen Körper, keine Wörter“

Es ist die Sprache, die Kinder entstehen lässt. Neues Leben. Zumindest wenn Mann und Frau einander besonders nahe kommen … Auch im Jahr 2023. Normalerweise. Bei einer Geburtenrate von 1,3 der „Urdeutschen“ muss man ehrlicherweise sagen: Ganz so normal ist das gar nicht mehr.

„Wir schauen uns an, ein bisschen zu lang
Und irgendwann wird aus deinem Blick ein „Vamos a bailar, bebé“
Was du meinst, kann ich in deinen Augen sehen
Augen sehen
Und wir tanzen erst ganz langsam, dann kommst du mir nah
Fühlt sich an wie tausend Grad
Zwischen uns nur Millimeter, ich hab' keine Wahl
Ich folge deinem Signal, oh…“

Ihre Stimme, ihre Kondition sind überirdisch. Es mag ironisch scheinen, dass „Atemlos“ ihr größter Hit ist. Sie singt ihn, während eine Art Teleskop-Kran Helene durch die Luft schweben lässt, mal hier, mal dort über den Köpfen des Publikums.

Sie singt ihn live, sie singt alles live, auf der Bühne rennend, im Trapez kopfüber wirbelnd oder umgegeben von einer Wassersäule, und vor allem nie: atemlos. Das macht ihr in Deutschland niemand nach. Vielleicht weltweit nicht.

Todsünde hin oder her. Musikgeschmack hin oder her. Regenbogenflagge hin oder her. Stolz ist vielleicht so universell wie Liebe. Ex-Ehemann Florian Silbereisen machts vor: Helenes schultertätowiertes Konterfei will er immer mit Stolz tragen. Eine Menge „Urdeutscher“ sind sogar ohne Bild unter der Haut stolz auf ihre russlanddeutsche Helene aus Sibirien.

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