Quo vadis?

Hausbesuche mitten in Deutschlands Wohnzimmern

von Mira Liberta (Kommentare: 2)

Wer ist der König, die Dame, der Turm oder der Springer?© Quelle: Pixabay / Positives_Images

Mein heutiger Arbeitstag beinhaltete unter anderem drei Hausbesuche. Ich lasse den Tag und die Gespräche Revue passieren. Sie stimmen mich nachdenklich hinsichtlich unseres Umgangs und des Einflusses der Medien.

Mein erster Besuch galt Julia. Wöchentlich schaue ich bei ihr nach dem Rechten und unterstütze sie, sofern sie Hilfe benötigt. Julia ist hübsch, Ende zwanzig und unter anderem gehbehindert. Julia ist arbeitsunfähig. Einen großen Teil des Tages verbringt sie mit Social-Media-Kanälen wie TikTok, Real, Instagram und SnapChat. Dort ist sie sehr aktiv, schaut jedoch nicht nur Schmink- und Katzenvideos.

Julia fragte mich heute, ob ich denke, dass ein dritter Weltkrieg vor der Tür steht. Was antwortet man jemandem, der psychisch krank ist, unter einer Angststörung leidet und zu Panikattacken neigt? Schwierig. Ich habe mich optimistisch gegeben und ihr gesagt, dass ich es für eher unwahrscheinlich halte.

Tatsächlich habe ich jedoch die Befürchtung, dass wir vielleicht schon mittendrin stecken und die Figuren auf dem Schachbrett nur noch nicht gänzlich aufgestellt sind. Was für ein Spiel ist es? Schwarz gegen weiß? Muslime gegen Christen/Juden? Gut gegen Böse? Wer ist gut und wer ist böse? Wer setzt die Figuren? Wem gehört das Spielbrett? Welche Strategie wird angewendet? Ist ein Spieler dem anderen überlegen? Wer beginnt das Spiel und wer hat seinen Finger wann auf der Schachuhr, um das Spiel anzuhalten? Welcher Spieler ist gegebenenfalls ein guter Verlierer und wer kippt im Fall der Niederlage das ganze Brett einfach um?

Als Nächsten suchte ich Nino auf. Nino ist Anfang zwanzig und ein leidenschaftlicher Graffiti-Sprayer. Durch seinen jahrelangen Cannabiskonsum in der Vergangenheit leidet er an Schizophrenie und ist phasenweise depressiv. Ninos Vater, ein Lehrer, hat vor einem Jahr Suizid begangen, was ihn zusätzlich belastet. Die unterschiedlichen Auffassungen hinsichtlich der Corona-Maßnahmen und Corona-Glaubensätze hatten die beiden gänzlich entzweit. Obwohl Nino der eigentlich psychotische Charakter ist, hielt er seinen Vater für einen Verschwörungstheoretiker.

Nino ist mit allem, was die Politik betrifft, überfordert und verschließt sich davor. Er flüchtet sich in Musik und unter Brücken. Er möchte seine Ruhe haben, lebt in seiner Social Media Grafitti-Blase.

Zu guter Letzt stattete ich Salima einen Besuch ab. Nur wenig später, nachdem ich ihre kleine Wohnung betreten und die Schuhe ausgezogen hatte, servierte sie auf einem kleinen silbernen Tablett duftenden arabischen Mocca. Ein Hauch Muskat im Kaffee macht diesen Mocca zu etwas Besonderem.

Salima ist erst seit wenigen Tagen aus Marokko zurück, wo sie ihre Mutter besuchte. Salima ist Mitte fünfzig, berentet und bessert ihr Einkommen mit Gemüseschneiden im Dönerladen auf, über welchem sie wohnt. Salima weist eine sehr traurige, frühjugendliche Lebensgeschichte auf, auf die ich hier nicht weiter eingehen möchte. Als Folge derer neigt sie abwechselnd zu Wutausbrüchen, gefolgt von depressiven Episoden, sie reagiert emotional nicht immer adäquat und ist nur wenig belastbar.

Salima lebt seit dreißig Jahren in Deutschland und war mit einem deutschen Mann verheiratet. Ich kenne Fotos von ihr, aufgenommen Ende der neunziger Jahre, die sie mit wehendem Haar, bekleidet mit Jeans und T-Shirt, auf einem Motorrad posierend, zeigen. Sie wirkt glücklich.

Davon ist heute nichts mehr übrig. Den westlichen Lebensstil, den sie gepflegt hat, hat sie gegen die arabische Kultur eingetauscht, die sie innerlich nie abgelegt hat. Sie ist der in Marokko lebenden Mutter und dem in Frankreich lebendem Bruder hörig, sie verhüllt sich und trägt Kopftuch. Da helfen keine Integrationsmaßnahmen und keine psychosoziale Betreuung. Salima lebt sehr zurückgezogen.

Ihr TV-Programm und ihre Meinung werden weitestgehend vom Fernsehsender Al Jazira bestimmt. Als ich Salima das letzte Mal besuchte, liefen gerade Berichte über das schwere Erdbeben in Marokko in Dauerschleife. Wer berichtet heute noch davon?

Nach dem Austausch über das Befinden und die Familie kamen wir auf das politische Geschehen zu sprechen. Die Person und Geschichte von Shani Louk sagten ihr nichts. In ihrem akzentreichen, gebrochenem, jedoch gut verständlichen Deutsch regte Salima sich über diese Frau im Fernsehen auf, die sagte: „Heute sind wir alle Israelis!“ Sie meinte Annalena Baerbock, nach dem Überfall der Hamas auf Israel.

Salima war aufgebracht und gab das Telefonat mit ihrer Mutter in Marokko wieder: „Mama, wusstest du, dass ich Israelin bin?“

Ihre Mutter reagierte entrüstet, darüber gelacht haben beide nicht. Darüber, wie unsere arabischen Mitbürger auf dieses Statement Annalenas reagieren, hatte ich noch nicht nachgedacht, Annalena wahrscheinlich auch nicht. Ein weiterer Fauxpas auf ihrer Liste. Wir unterhielten uns über den Israel-Palästina-Konflikt, teilweise enthielt ich mich, erschreckt über ihre Ansichten zu den Palästinensern und der Hamas.

Sie ist nur eine einzelne Frau arabischer Herkunft, mit deutscher Staatsbürgerschaft und eigentlich integriert. Sie ist nicht repräsentativ und ist es doch, das bereitet mir Sorgen. Retrospektiv kann ich dennoch nicht nachvollziehen, dass dieser israelisch-palästinensische Konflikt in diesem Ausmaß auf unseren Straßen ausgetragen wird.

Woher kommen all die IS- und Hamas-Flaggen, nicht nur deutschland- sondern europaweit? Wer steuert das Ganze? Weshalb schreitet niemand ein, wenn sich unser Stadtbild zunehmend verändert? Weshalb laufen immer mehr junge Mädchen und Frauen verhüllt durch Kopftücher und lange Röcke und Kleider durch die Straßen? Weshalb gibt es keine Trennung zwischen Kirche und Staat, Staat und Schule?

Und nein, früher war das nicht so! Welche Macht haben die Medien? Wer steuert das Ganze? Wer ist der König, die Dame, der Turm oder der Springer, wenn die Demonstranten die Bauern auf dem Schachbrett sind? Quo vadis, wo führt es hin oder wem nützt es?

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