„Dieser Krieg ist nicht unser Krieg, aber wir haben die Pflicht, dazu beizutragen, dass es zu einem Frieden kommt.“

Hans-Georg Maaßen: Warum die Lieferung von schweren Waffen an die Ukraine ein Fehler ist

von Hans-Georg Maaßen (Kommentare: 5)

Der Krieg in der Ukraine ist kein Krieg von Gut gegen Böse und kein Krieg für westliche Werte. Er ist ein Krieg zur Durchsetzung von Machtinteressen, die nicht unsere sind.© Quelle: privat

Der Ukrainekrieg ist eine humanitäre und politische Katstrophe. Ich bin der Überzeugung, dass wir den Ukrainerinnen und Ukrainern in diesem Krieg helfen müssen. Dies gilt vor allem für die vielen zivilen Opfer und für die Flüchtlinge. Ich halte es für richtig und aus christlicher Perspektive für geboten, den Flüchtlingen aus der Ukraine auch den notwendigen Schutz bei uns in Deutschland zu gewähren.

Hinsichtlich einer militärischen Unterstützung durch die Lieferung von Waffen vertrete ich einen ganz anderen Standpunkt. Ich halte es für falsch und für gefährlich, Waffen an die Ukraine zu liefern. Meine Überlegungen hierzu sind folgende:

1. Zunächst ein juristisches Argument: Wer schwere Waffen an eine Kriegspartei liefert, ist nicht mehr neutral. Durch die Lieferung von Waffen werden wir unausgesprochen Kriegspartei. Als Kriegspartei dürften wir auch von Russland militärisch bekämpft werden. Es gibt sicherlich auch Völkerrechtler, die gegenteiliger Ansicht sind und meinen, Deutschland würde durch eine Waffenlieferung noch nicht Kriegspartei, aber es ist im Völkerrecht nicht entscheidend, was für eine Rechtsauffassung einzelne Professoren vertreten, sondern wie es vom Kreml und von vielen anderen Staaten wahrgenommen wird.

Ich sehe die Gefahr, dass wir zum ersten Mal seit 1945 wieder in einen Krieg mit Russland hineingezogen werden. Wollen wir das wirklich? Am 8. Mai wurde an das Kriegsende erinnert. Russland, nicht die Westmächte, hatte die größten Opfer im Zweiten Weltkrieg gebracht, um Europa vom Nationalsozialismus zu befreien. Wollen wir wirklich, schlafwandelnd und ohne öffentliche Diskussion, in einen Krieg mit Russland hineingezogen werden, wo wir allerdings, anders als 1914 und 1939, weder militärisch noch zivilschutzmäßig und auch nicht ökonomisch oder psychologisch auf einen solchen Krieg vorbereitet sind?

Die Bundeswehr und der Zivilschutz sind in den letzten dreißig Jahren politisch heruntergewirtschaftet worden und die Bundesregierung hat uns von russischen Energielieferungen abhängig gemacht. Ich schäme mich als CDU-Mitglied für die desaströsen Fehlentscheidungen unter den Regierungen Merkel. Aber der angerichtete Schaden hindert uns, souverän gegenüber Russland zu agieren. Wir sind auf einen militärischen Konflikt mit Russland nicht vorbereitet.

2. Es wird behauptet, in der Ukraine würden westliche Werte gegen eine imperialistische korrupte Diktatur Putins verteidigt werden. Diese Behauptung ist mit Verlaub schamlos, denn die Ukraine unter Selenskyj ist in Sachen Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit kein Staat, der zum Westen zählt. Die Korruption ist nicht anders als in Russland, vielleicht noch schlimmer.

Die Süddeutsche Zeitung titelte im Januar 2021 zur Ukraine unter Selenskyj „Korrupt wie eh und je“ und er selbst ist vor dem Hintergrund der „Pandora Papers“ von den westlichen Medien bis kurz vor Kriegsbeginn als ein hochkorrupter Politiker beschrieben worden. Die Bundeszentrale für politische Bildung schrieb 2020 über die Regierung Selenskyj: „das Bekenntnis der politischen Elite zum Rechtsstaat (ist) bestenfalls oberflächlich und schlimmstenfalls vorgetäuscht.“

Selenskyj ist nicht der weiße Ritter, der die Werte des Westens gegen Putin verteidigt. Im Ukraine-Krieg geht es um Macht und um viel Geld. Und es geht nicht um unsere Werte. Wer etwas anderes sagt, ist unredlich.

3. Es wird behauptet, Putin müsse in der Ukraine gestoppt werden, weil er andernfalls nach der Ukraine die baltischen Staaten und womöglich auch Polen angreifen würde. Er sei ein skrupelloser Imperialist, dem man Einhalt gebieten müsse. Ich bin der Meinung, man sollte Putin und die Lage in Russland nüchtern analysieren und sich nicht von Ängsten leiten lassen. Ich war immer ein Gegner der Sowjetunion und des Kommunismus und habe die Russland-Kuschelpolitik von Schröder und Merkel abgelehnt.

Putin war nie ein „lupenreiner Demokrat“ und auch kein verlässlicher Wirtschaftspartner wie die verflossenen Bundeskanzler meinten. Aber Putin ist auch nicht Stalin, und Russland ist nicht die hochgerüstete Sowjetunion und der Warschauer Pakt mit einer mehrfachen konventionellen Überlegenheit gegenüber der NATO. Ich habe mich viele Jahre mit Russland beschäftigt und mich dabei nie auf die Berichterstattung unserer „Qualitätsmedien“ verlassen, die heute wie vor zwanzig Jahren von einem Extrem in der Russlandpolitik ins andere gehen. Russland, das mit seiner Armee – wie wir alle sehen – die Ukraine allenfalls mit großen Verlusten besiegen kann, ist derzeit nicht in der Lage, einen Eroberungskrieg gegen den Westen zu führen.

Sicherlich gibt es in der russischen Elite Leute, die von einem russischen Imperium träumen. Aber diese Leute sind keine Hasardeure, die Russland in einen Krieg ohne Erfolgsaussichten führen. Mein Eindruck ist, dass Putin und die Leute seines Sicherheitskabinetts so geerdet sind, dass sie einen Angriffskrieg gegen die NATO-Staaten für nicht gewinnbar halten. Die Angst vor einem russischen Eroberungskrieg ist deshalb in hohem Maße unbegründet. Es ist Angstmacherei, die eingesetzt wird, damit wir politische Interessen mittragen, die nicht in unserem Sinne sind.

Begründete Angst müssen wir aber davor haben, dass der Krieg auch durch unsere Waffenlieferungen eskaliert und Deutschland beziehungsweise ausländische Militärstützpunkte in Deutschland auch Ziel von militärischen Operationen sein könnten. Denn wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass Putin und sein Umfeld den Krieg unter keinen Umständen verlieren wollen. Und sie sind offensichtlich bereit, andere dafür jeden Preis zahlen zu lassen.

Wer darauf setzt, dass es seinen Systemwechsel in Russland geben wird und dass der Krieg endet, wenn nur Putin abgesetzt wäre, verkennt die wirklichen Machverhältnisse in Russland und wird Opfer des eigenen Wunschdenkens. Putin steht in Russland und weltweit nicht allein. Sehr viele in Russland denken wie er. Und in der politischen Führung Russlands gibt es durchaus Leute, die, würden sie ihm nachfolgen, härter und rücksichtsloser sein könnten als er.

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4. Jeder Staat hat Interessen. Die Ukraine unter Selenskyj will der NATO und der EU beitreten und will die russischen Truppen aus der Ukraine entfernen. Russland möchte die Ukraine in seinen Einflussbereich ziehen. Die Ukraine soll zerschlagen oder eine Art zweites Weißrussland werden. Die USA dagegen hatten klar gesagt, dass ihr Kriegsziel darin besteht, Russland global zu schwächen und in Russland einen Machtwechsel herbeizuführen. Letzteres wurde inzwischen wieder relativiert. Was sind unsere Interessen?

Warum will Deutschland gegen Russland Krieg führen? Unsere Interessen sind nicht identisch mit den ukrainischen oder amerikanischen Interessen. Die Bundesregierung und die Abgeordneten des Bundestages haben den Auftrag, dem Wohl des deutschen Volkes zu dienen und Schaden abzuwenden, nicht aber ausländische Interessen zu bedienen, und sie sind auch nicht der Vollstrecker einer höheren politischen Moral. Ich höre von keiner Partei und von keinem Medium, was unsere nationalen Interessen in diesem Konflikt sind.

Aus meiner Sicht können die deutschen Interessen sehr einfach formuliert werden: dass das deutsche Volk durch den Krieg in der Ukraine keinen Schaden nimmt, sei es durch unverhältnismäßige Wirtschaftssanktionen gegen Russland, die uns schaden, oder dass wir direkt in den Krieg hineingezogen werden. Es ist in unserem nationalen Interesse, dass wir weiterhin russisches Gas erhalten können, bis wir gleichwertigen Ersatz gefunden haben und dass die Brücken zu Russland nicht abgebrochen werden. Wir müssen nach dem Krieg mit Russland als entfernterer Nachbar in Europa friedlich koexistieren können.

5. Wie schon bei der Migrationskrise seit 2015, bei der Coronakrise und der Impfdiskussion wird in Deutschland nicht mehr nüchtern analysiert und entschieden, sondern mit Emotionen Politik gemacht. Sachlich begründete, kritische Fragen oder Standpunkte werden mit dem moralischen Zeigefinder bekämpft und die Kritiker mundtot gemacht. Man kommt zu dem Eindruck, dass der Berliner Politikbetrieb nur noch über Gefühle gesteuert wird.

Unser Land braucht dringend wieder Menschen in Verantwortung, die sich gegen den Sog des immer selbstreferentielleren und damit immer weiter von der Realität loslösenden hochemotionalisierten politisch-medialen Komplex stellen. Was Haltungskrieger in Bundestag und Redaktionen – denn das sind sie – mit unserem Land anrichten, ist für die meisten besonnenen Personen spätestens seit der bewusst herbeigeführten Migrationskrise und dem unsäglichen Versagen in der Corona-Pandemie klar.

Anstatt aber, dass man das eigene Versagen anerkannt und daraus gelernt hätte, haben wir – neben der zunächst schleichenden und jetzt schon galoppierenden Inflation und der zunehmenden Wirtschaftskrise – mit dem Krieg in der Ukraine nun eine weitere Lage, die die Verantwortlichen überfordert. Diese versuchen mit „Haltung“, „Moral“ und „Solidarität“ anstelle von Sachverstand und innerer Ruhe die Probleme zu lösen. Damit sind diese Leute Teil des Problems. Wir müssen unsere politischen Debatten und damit auch die über den Ukraine-Krieg wieder versachlichen.

6. Die Lieferung von Waffen führt nicht zu einer Deeskalation, sondern zu einer weiteren Eskalation. Putin wird nicht tatenlos zusehen, dass die Ukraine weiter mit Waffen durch uns beliefert wird. Er wird, um seine Kriegsziele zu erreichen, notfalls auch Waffen einsetzen, die zu einem Dritten Weltkrieg führen. Putin ist eiskalt, und er blufft nicht. Er tut was er sagt. Jede weitere Waffenlieferung führt uns weg von der Bereitschaft zu Waffenstillstandsverhandlungen und einem Frieden in Europa.


Der Krieg in der Ukraine ist kein Krieg von Gut gegen Böse und kein Krieg für westliche Werte. Er ist ein Krieg zur Durchsetzung von Machtinteressen, die nicht unsere sind, und ein Krieg, der skrupellos auf dem Rücken der ukrainischen Bevölkerung und zulasten Europas ausgetragen wird. Dieser Krieg ist nicht unser Krieg, aber die politisch Verantwortlichen in Deutschland haben die Pflicht, in unserem deutschen Interesse dazu beizutragen, dass es zu einem Frieden kommt, anstatt den Konflikt weiter anzuheizen.

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