Die ersten Verlautbarungen von SWR-Mann Kai Gniffke, der am 1. Januar den ARD-Vorsitz angetreten hat, lassen vermuten, um im Bild zu bleiben, dass der Wein weiter altern soll, bis er zu Essig wird, und maximal die alten Schläuche geflickt werden.
Kai Gniffke hat zum Jahresanfang 2023 WDR-Intendant Tom Buhrow als ARD-Vorsitzenden abgelöst. Buhrow hatte das Amt seit dem Rücktritt der RBB-Intendantin Patricia Schlesinger übergangsweise bis zum Jahresende inne.
Diese musste ihren RBB-Chefsessel und auch den ARD-Vorsitz, der regulär für zwei Jahre vergeben wird, vorzeitig räumen, da sich die Vorwürfe gegen sie und ihre Verbündeten wegen Vorteilsnahme, Klüngelei und ungehemmtem Privilegien-Missbrauchs nicht mehr unter den öffentlich-rechtlichen Teppich kehren ließen.
Ein sich selbst zugestandenes Gehalt in Bundeskanzler-Höhe (über die letzte Diätenerhöhung in Krisenzeiten lesen Sie hier auf alexander-wallasch.de), Dienstwagen mit Massagesitzen zum krampfhaft geheim gehaltenen Sensationsrabatt und gleich zwei Chauffeure sowie Auftragsgeschachere hinter verschlossenen Türen schafften es zwar nicht, die ÖR in den Grundfesten zu erschüttern, aber Schlesinger und ihre Verbündeten mussten gehen.
Man könnte auch sagen, die Fassaden der mit Zwangsgebühren finanzierten Sendeanstalten bröckelten ein Stück weit. Schlesinger gab sich die Türklinke in die Hand mit dem nächsten Funktionär aus dem ARD-Hause, WDR-Chef Tom Buhrow.
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Bei all diesen Skandalen ist erst einmal nur von Privilegien- und Amtsmissbrauch sowie materiellen Vorteilsnahmen die Rede. Aber die Privilegien als solche stehen hier gar nicht zur Debatte, nur mal kurz, wenn sie einer aus den eigenen Reihen so offensichtlich missbraucht, dass auch das zweite Auge nicht mehr zugedrückt werden kann.
Fast könnte man auf die Idee kommen, dass die sich häufenden Korruptions-Affären schon als ein Segen für die System-Erhalter bei den Öffentlich-Rechtlichen bezeichnet werden können, denn sie lenken vom Eigentlichen ab.
Diese aufploppenden Skandale sind eigentlich nur Symptome, eher oberflächliche Geschwüre, die man mit mittelmäßigem medialen Tamtam selbst behandeln kann, ohne die Ursache angehen zu wollen oder zu müssen. Das System fault von innen heraus. Lediglich die durch die Haut platzenden Geschwüre werden herausgeschnitten, entfernt und entsorgt, wenn es zu stinken angefangen hat.
Am Ende ist das ganze Spiel so ähnlich wie bei einem Doktor, der dem Kettenraucher den Zeh vom Raucherbein wegamputiert und ihm schon während laufender OP die nächste angezündete Zigarette reicht. Es rollen ein paar Köpfe, wahlweise Zehen, die Platz machen für den nächsten Nachrücker.
Was Kai Gniffke hier zu seinem Amtsantritt sagt, klingt beim ersten Hinhören gar nicht mal so schlecht. In einem Interview mit der Schweriner Zeitung äußerte er sich regelrecht selbstkritisch zu übergriffigen Belehrungen durch Journalisten seines Hauses. Die Menschen seien klug genug, sich eine eigene Meinung zu bilden. Schwammig kündigte Gniffke an, die Vielfalt von Positionen im Angebot der Sender stärken zu wollen:
„Wann immer wir den Eindruck haben, dass Menschen sich übersehen fühlen, dann ist es unsere Aufgabe, diesen Menschen Gesicht und Stimme zu geben.“
Das würde in besonderem Maße für die Regionen in Ostdeutschland gelten:
„Vielleicht können wir besser werden, auch 30 Jahre nach der Einheit, die immer noch existierende Unterschiedlichkeit in der Wahrnehmung der Wirklichkeit besser zu verstehen und abzubilden, ohne den Verdacht zu erwecken, dass wir Menschen erziehen wollen.“
Aber Moment mal, warum zieht der in Frankfurt am Main geborene Gniffke hier die Ost-Karte? Und das 30 Jahre nach Mauerfall, Wiedervereinigung und Wende? Einfach, weil man gerade einem in Ostdeutschland beheimateten Blatt ein Interview gibt? Oder etwa, weil ein West-Ost-Ungleichgewicht das größte Problem der öffentlich-rechtlichen Berichterstattung ist, welches jetzt endlich einmal unbedingt auf den Tisch gepackt und angegangen werden muss, vom ARD-Chef persönlich?
Oder aber, weil es vielleicht genau das Gegenteil davon ist, nämlich eins der geringsten der aktuellen Probleme des maroden, zwangsfinanzierten Mediensystems. Welches man locker thematisieren kann, um irgendetwas Reformwürdiges anzusprechen, um nicht den rosa Elefanten im Raum zu benennen. Dieses vermeintliche „Ost-Thema“ hier auf den Tisch zu bringen als Problem, ist wie eine Nebelkerze zu zünden, um damit den Blick auf die anderen eklatanten reformbedürftigen Bereiche und Strukturen zu vernebeln, davon abzulenken.
Längst fordert auch die Politik Reformen, und zwar grundsätzlich. Nur als ein Beispiel, welches es zusammenfasst, sei an dieser Stelle der FDP-Medienpolitiker Thomas Hacker genannt, der im letzten September verlangte, dass alle Sendeanstalten „ihre Compliance-Mechanismen grundlegend überprüfen“ und an die in der „freien Wirtschaft schon längst üblichen Kontrollverfahren anpassen“ sollten, denn die jüngsten Affären hätten ein „grundlegendes strukturelles Defizit bei Aufsicht, Kontrolle und Transparenz“ offenbart.
Dieses gehöre dringend reformiert. Hacker forderte zudem eine „Gesundschrumpfung der Sendeanstalten auf das Wesentliche“ und die Kernaufgaben und stellte, wie immer mehr Gebühren zahlende Bürger, die Frage: „Brauchen wir wirklich 20 Fernsehsender, 71 regionale Hörfunksender zuzüglich drei deutschlandweite Programme, 900 Podcasts der ARD und 119 unterschiedliche Apps?“ Sein Fazit: „Die Reformen müssen jetzt beginnen, denn die Uhr für den ÖRR tickt.“
Dieses Ticken hat Herr Gniffke noch nicht gehört. Er versucht stattdessen als offenbar nächster System-Erhalter der Öffentlich-Rechtlichen, dieses kleine Ablenkungs-Ost-Problemchen anzusprechen, vielleicht weil so der Eindruck entsteht, als ob jetzt Missstände nicht mehr geleugnet würden, sondern angesprochen und angegangen.
Zu solcherart Nebelkerzen gehört dann auch eine moderate Selbstkritik, eine vage Willenserklärung oder fast schon so etwas, was man mit viel Wohlwollen als ein Schuldeingeständnis interpretieren könnte,„ohne den Verdacht zu erwecken, dass wir Menschen erziehen wollen“.
Die Ostdeutschen müssen jetzt hier dafür herhalten, vom eigentlichen Problem abzulenken, dass der Auftrag der Öffentlich-Rechtlichen insgesamt nicht mehr erfüllt wird. Das ist eine künstliche Verkleinerung des Problems, eine Verschiebung desselben auf ein Seitengleis, die Verlagerung nach Osten quasi, um nicht an das Eingemachte, Grundsätzliche zu gehen.
„Die ARD muss sich selbst reformieren", sagte Gniffke weiter. Sie muss reformiert werden, da hat er recht! Aber sich selbst reformieren?
Und dieser Kai Gniffke hat sich schon früher hervorgetan mit seinen halbgaren Abbitten. Er ist gewissermaßen ein Profi der wirkarmen Geständnisse. Alexander Wallasch schrieb im Oktober 2020 bei Tichys Einblick über diese zweifelhafte Büßerlaune:
„Irgendwer muss dem neuen Intendanten des SWR 2018 allerdings gesagt haben, dass er lange noch nicht genug Ablass geleistet hat. Und so schneidet sich Kai Gniffke aktuell ein weiteres Stück seiner bei den Tagesthemen so lang gewachsenen Holznase ab und beichtet gegenüber der ZEIT seine und der Kollegen Sünden: Die Sender der ARD müssten noch stärker ein divergierendes Meinungsbild abgeben usw. Aber das ist leider alles so halbseiden und verwinkelt. Nein, so sieht echte Buße nicht aus. Noch weniger, wenn sie so kleinteilig und selbstgerecht daherkommt. Zu viele meinungsstarke Stimmen hat man hier über die Klinge springen lassen, als das solche Zugeständnisse in Sarotti-Taktik (politisch korrekter: Schogetten-Taktik) – also Stückchen für Stückchen – noch irgendeinen hinterm Sofa hervorholen angesichts solchen Geständnisse eines SWR-Intendanten: Er wisse, dass bestimmte Haltungen der Leute in der Belegschaft der ARD vielleicht nicht abgebildet wurden. Ach.“
Jetzt, über zwei Jahre später, spricht Kai Gniffke erneut als jemand aus den eigenen Reihen des Systems, der dieses natürlich erhalten will, denn die versuchten Reformen aus sich selbst heraus mit dem eigenen, zum Gärtner bestellten Personal wurde bislang deutlich verbockt und scheiterten genau an diesem „aus sich selbst heraus“.
Und warum sollte er überhaupt reformieren wollen? Gleich im nächsten Satz führt er gegenüber der eingangs erwähnten Zeitung er seine salbungsvolle Reform-Willenserklärung selbst ad absurdum:
Nach Gniffkes Auffassung ist die deutsche Landschaft aus Verlagen, öffentlich-rechtlichen und kommerziell betriebenen Medien „das beste Mediensystem der Welt“.
Irgendwie klingt das ein bisschen wie „Wir leben heute in dem besten Deutschland, das es jemals gegeben hat“ von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zum Tag der deutschen Einheit 2020. Das bis heute vor allem in den sozialen Medien als gelebter Sarkasmus zum geflügelten Wort geworden ist, während ARD und Co Herrn Steinmeier brav apportierten.
Aber wie sagte der neue ARD-Vorsitzende Gniffke, eingangs schon erwähnt, auch bei der Gelegenheit? Die Menschen seien klug genug, sich ihre eigene Meinung zu bilden. „Da muss keiner nachhelfen". Vielleicht helfen die Öffentlich-Rechtlichen ja doch nach – unfreiwillig.
Wenn Sie also an Gniffke und Co etwas merkwürdig finden, kneifen Sie sich und bleiben Sie bitte wachsam.
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Kommentar von Bernhard Rossi
Es wird von den vielen Intendanten dieser öffentlich-rechtlichen Anstalten einfach nicht hinter die Kulissen geschaut!
In den Büros und technischen Abteilungen dieser Anstalten haben es sich seit Eröffnung von ARD, 1950, und später des ZDF, 1963, übrigens auf Initiative aller Ministerpräsidenten und der Kirche, mehrere Generationen von Parteibuchinhabern, Kirchenmännern, Gewerkschaftern bequem gemacht. Wahrscheinlich haben diese Abhängigen gar nicht bemerkt, wie regierungskonform und regimetreu die Berichterstattung und wie lau das präsentierte Programm im Laufe der Jahrzehnte mittlerweile geworden sind?
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Kommentar von peter struwwel
Adipös, adipöser, am adipösesten. Eigentlich gilt dieses Adjektiv als nicht
steigerungsfähig, aber das ist pure Grammatik. Die Realität beweist dagegen
über die öffentlich gerechten Sendungsanstalten nur zu gut, wie berechtigt
umgangssprachlich sowohl der Komparativ als auch der Superlativ sind.
Schlimmer geht's nimmer.
Aber es flutet ja nicht nur hinter (in) den Kulissen, auch Programme sind
uferlos geworden. Um allein den Fußball herauszugreifen, der mußte sich
früher brav anstellen und kam erst nach der Tagesschau und dem Abspielen
der Eurohymne zu seinem Recht. Wenn dann endlich umgeschaltet wurde,
beruhigte der Reporter vor Ort den geneigtet Zuschauer, daß er noch nichts
versäumt habe, daß also der Ball bisher noch in keinem der beiden Tore
gelandet sei. Und heute? Da wimmelt es nur so von Vorschauen, mid terms
und einer Vielzahl von Nachbetrachtungen (die auch schon mal zu Nachrufen
geraten können - Katar läßt grüßen). Aber der Fußball ist, wie bereits angedeutet,
in diesem Totospiel lediglich der/das Pars.
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Kommentar von Dr. Klaus Rocholl
„Die Menschen sind klug genug, sich ihre eigene Meinung zu bilden“...
Ich möchte den Satz "Herrn" Gniffkes kurz vervollständigen:
... und wir vom Staatsfunk müssen ihnen nur sagen, welche das ist!
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Kommentar von E T
Da ich der Meinug bin, dass die Umerzogenen Deutschland abschaffen, würde ich ARD und ZDF demokratisieren. Wenn man ARD und ZDF zu nachgeordneten Behörden des Parlamets machen und sie unter der Fraktionen aufteilen würde, könnten sich die Bürger aussuchen, von wem sie informiert werden. Es würde auch das Parlament gestärkt. Die unsinnigen Spitzengehälter würden dann auch wegfallen, da die Gehälter von den Fraktionen bestimmt würden.