Freund eines Ukraine-Sieges antwortet Manifest-Unterstützer

Georg Restle versus Gregor Gysi – Eine öffentliche Kritik am Friedensmanifest

von Bertolt Willison (Kommentare: 10)

Kann es überhaupt Meinungsdifferenzen geben, wenn man verhindern möchte, dass immer mehr unschuldige Menschen in der Ukraine sterben?© Quelle: Pixabay / Ichigo121212 / Youtube / RBB / Massengeschmack-TV, Montage Bertolt Willison

Jeden Tag ist der Tod erfolgreich unterwegs auf den Schlachtfeldern der Ostukraine. Angriff und Verteidigung. Ist Frieden keine Alternative?

Während sich eine große Mehrheit der Bevölkerung einig darüber ist, dass das Kriegsmorden in der Ukraine endlich aufhören muss, sich Putins Armee hinter die russischen Grenzen zurückziehen soll bzw. sofortige Verhandlungen notwendig sind, ist die Politik im Osten wie im Westen, die des Aggressors genauso wie die des Angegriffenen, in einer Eskalationsspirale gefangen, aus der es kein Entrinnen zu geben scheint.

Gregor Gysi (Die Linke) hat sich in einem ausführlichen Twitter-Thread auf die Seite der Initiatorinnen des Friedensmanifests von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht gestellt, das inzwischen mehr als 465.000 Menschen unterschrieben haben (Stand 16.2.2023, 9:35 Uhr).

Wenig später antwortete ihm Georg Restle (ARD) in einem ebenso inhaltsreichen Thread auf Twitter.

Wir dokumentieren hier diese beiden Statements.


Gregor Gysi@GregorGysi
14.2.2023, gegen 20.00 Uhr

„Dieses Manifest & die Friedenskundgebung sind in einer Atmosphäre der Kriegshysterie dringend notwendig. Nach Beendigung des Kalten Krieges begann der Westen damit, das Völkerrecht zu verletzen.

So wie ich entschieden den völkerrechtswidrigen Krieg der NATO gegen Serbien & den völkerrechtswidrigen Krieg der USA & anderer gegen den Irak ablehnte, lehne ich auch den völkerrechtswidrigen Krieg Russlands gegen die Ukraine ab. Die Aggression ging eindeutig von Putin aus.

Abgesehen davon, dass ich ohnehin für das Verbot des Waffenexports durch unser Land bin, weil Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr das Recht hat, an Kriegen zu verdienen, verbieten sich weitere Waffenexporte jetzt aber ohnehin.

Das Manifest betont zu Recht, dass der höchste Militär der USA, General Milley, ebenso die Überzeugung teilt, dass weder Russland noch die Ukraine den Krieg gewinnen können. Dann gibt es für keine Seite ein Interesse, den Krieg fortzusetzen.

Wir brauchen einen sofortigen Waffenstillstand & dahingehend muss Druck & Diplomatie entfaltet werden – verbunden mit einer schnellen solidarischen zivilen Hilfe für die Ukraine.

Der vorhergehende israelische Ministerpräsident Bennett hatte bereits alle Eckpunkte für einen Waffenstillstand zwischen Russland & der Ukraine mit beiden Seiten ausgehandelt. Aber der Westen sagte ‚Nein‘ dazu.

Die Bundesregierung habe ich nach den Gründen gefragt & werde die Antwort veröffentlichen. Wer einen Waffenstillstand ablehnt, nimmt viele weitere Tote, Verletzte und Zerstörungen in Kauf.

Ein international vermitteltes Schweigen der Waffen ist der entscheidende Ausgangspunkt für Friedensverhandlungen & mithin ein Akt der Solidarität mit den Ukrainerinnen und Ukrainern.

Statt nur nach Waffen und Verlängerung des Krieges zu rufen, an Eskalationen mitzuwirken, müssen wir zu Deeskalation, Abrüstung, Interessenausgleich, wesentlich mehr Diplomatie und zur strikten Wahrung des Völkerrechts auf allen Seiten zurückkehren. “


Georg Restle@georgrestle
15.2.2023, gegen 12.00 Uhr

„Lieber Gregor Gysi,

ich gebe zu, dass mich Ihre Unterstützung des Manifests zutiefst enttäuscht. Nicht, dass ich nicht auch für Frieden in der Ukraine wäre oder die völkerrechtswidrigen Kriege des Westens vergessen hätte. Und ja, auch mir ist jede Kriegshysterie zutiefst zuwider.

Auch ich bin strikt gegen deutsche und europäische Rüstungsexporte in  Staaten wie Saudi-Arabien, die im Jemen einen furchtbaren Krieg führen. Und verabscheue Rüstungslobbyisten, die in jedem Krieg vor allem ein Geschäftsmodell sehen.

Und doch halte ich die Annahmen dieses Manifests für so naiv wie gefährlich. Wer jetzt einen Waffenstillstand und Verhandlungen mit Putin fordert, muss vor allem diese eine Frage beantworten, um die sich die Unterstützer und Unterstützerinnen so beharrlich herumdrücken:

Zu welchem Frieden sollen diese Verhandlungen am Ende führen? Welche Art von Kompromiss soll’s denn bitte sein mit einem Aggressor, der offensichtlich zu keinem Kompromiss bereit ist? Und von Anfang an die Zerstörung der kulturellen Identität der Ukraine als Kriegsziel ausrief?

Dies sollte wir doch gelernt haben: Die Naivität im Umgang mit Putin nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim hat uns zunächst ein Minsker Abkommen, daraus folgend einen zähen Zermürbungskrieg im Osten der Ukraine, und schließlich Russlands Invasion der Ukraine beschert.

Wie groß soll das Stück denn dieses Mal sein, auf dass die Ukraine verzichten soll? Und welche Friedensgarantie soll ein eingefrorener Konflikt dieses Mal bringen? Diese Frage müssen Sie und alle anderen Unterstützer und Unterstützerinnen dieser Erklärung schon beantworten.

Denn so viel sollte uns doch allen klar sein:

Wer die territoriale Integrität der Ukraine angesichts der imperialen Albträume und der blinden Zerstörungswut des russischen Aggressors weitgehend preisgibt, macht sich am Ende nolens volens zum Büttel Putins.

Wie Angela Merkel damals in Minsk. Wie alle, die heute von der ukrainischen Bevölkerung einfordern, was sie selbst nie bereit wären preiszugeben. Den Verlust ihrer Heimat und den Verzicht auf einen dauerhaften Frieden im eigenen Land.

Und gerade weil ich die völkerrechtswidrige US-geführte Invasion im Irak oder den Völkerrechtsbruch auf dem Balkan genauso vehement kritisier(t)e wie Sie, dürfen die Kriegsverbrechen Russlands in der Ukraine meiner Meinung nach nicht mit einem Verhandlungserfolg belohnt werden.

Auch ich bin der Überzeugung, dass der Westen nach Ende des Kalten Krieges große Fehler gemacht hat. Dazu gehören die Aufkündigung zentraler Abrüstungsverträge wie die unterlassene Einbindung Russlands in eine europäische Friedensordnung. Die von Russland heute angegriffen wird.

Daran habe ich auch aufgrund meiner Erfahrungen in Russland und der Ukraine keinen Zweifel: Wer es zulässt, dass Putin mit diesem Krieg seine wesentlichen Kriegsziele erreicht, wird nur neue Kriege in Europa gebären: sei es in der Ukraine, in Moldawien oder im Baltikum.

Dies haben viele Menschen in der Ukraine und großen Teilen Osteuropas längst begriffen. Die Unterstützer und Unterstützerinnen dieses Manifests ganz offensichtlich nicht.

Mit freundlichen Grüßen, Georg Restle"

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