Interview mit unserem Fotografen Christian Witt

Eine Reise nach Moskau in Zeiten des Krieges

von Christian Witt (Kommentare: 6)

Wintermarkt in Moskau, Januar 2025© Quelle: Christian Witt

Moskau im Januar 2025 – Unser Fotograf Christian Witt hält es für wichtig, dort zu sein, es tue gut, mit den Moskauern und ihren Gästen zu sprechen. Glatte Gesichter bei den Russen. Ein Sich-Ergeben in das, was ist und was kommt.

Warum fährst Du nach Moskau? Moskau ist doch unser Kriegsgegner, oder nicht?

Ich habe schon so lange eine Einladung meiner ehemaligen Untermieterin aus Berlin auf dem Tisch. Sie ist Pianistin in Moskau und lädt mich jedes Jahr zwei bis drei Mal ein. Bisher habe ich das noch nie wahrgenommen. Und jetzt und vor allem auch vor dem politischen Hintergrund hatte ich dieses Bedürfnis. Wenn nicht jetzt, wann dann?

Russland hat zudem die Einreise mit dem neuen Visum ganz einfach gemacht. Es gibt heute viele Wege nach Moskau oder nach Russland. Und bevor sich irgendwelche Konflikte noch weiter zuspitzen, wollte ich einmal hier gewesen sein, um mal die ganze Position oder die ganze Situation aus geografisch anderer Sicht zu sehen. Um die Leute hier persönlich zu treffen, um mich mal hineinzufühlen, um in diesem großen Politzirkus einfach anders mitreden zu können, als nur passiv vom Sofa aus mit irgendwelchem vorgekauten Kram.

Das ist eine klassisch journalistische Perspektive. Andererseits führen die Russen nach wie vor Krieg in der Ukraine. Wie bringt man das zusammen, dann dort auf dem Weihnachtsmarkt Zuckerwatte zu essen, mitten in Moskau, wo in Rufweite der Krieg geplant wird?

Ich weiß nicht, ob es da geplant wird. Tatsächlich ist es wie auf unseren Weihnachtsmärkten auch. Eine große Ablenkung von dem, was auch im Westen geplant und gemacht wird. Aber natürlich schwingt das immer mit.

Ich habe bei mir an der Ostsee einen Ukrainer mit im Haus wohnen, mit dem ich mich angefreundet habe. Und auch da schwingt die Frage immer mit, ob ich ein schlechtes Gewissen haben soll, nach Moskau zu fliegen. Aber so lange es möglich ist und ich mich vor Ort informieren kann, lasse ich mir diese Freiheit – diese Möglichkeit! – nicht nehmen, mir meine eigenen Gedanken zu machen und mich nicht irgendwelchen vorgekauten Feindbildern zu ergeben. Ich mache mir ein eigenes Bild von der Welt.

Warst du auch schon in Kiew auf dem Weihnachtsmarkt, einen Glühwein mit Baerbock oder Merz trinken?

(Lacht) Ich war tatsächlich kurz nach 2014 für zwei Wochen dort und ich könnte mir vorstellen, bald wieder in die Ukraine zu fahren, wenn sich das trotz meines russischen Visums in Pass noch machen lässt.

Wie nimmst Du die Stimmung in Moskau wahr? Die Russen werden weltweit zum verhassten Volk stilisiert, weil Putin den großen Krieg begonnen hat nach den jahrelangen vielen kleineren Scharmützeln im Donbass …

Die Stimmung in Russland nehme ich sehr differenziert wahr. Hier werden umgerechnet 35.000 Euro geboten für jeden, der sich freiwillig für die Front meldet. Nicht viele machen es. Zehntausende bis Hunderttausende haben das Land deshalb auch erstmal verlassen. Der Krieg wird – zumindest im persönlichen Gespräch – auch hier nicht vollkommen unwidersprochen genommen. Meine Mitbewohnerin bezeichnete die ganze Situation als „die große Scheiße“.

Ich versuche immer wieder, die großen Linien zu verstehen: Was passierte eigentlich 2014 mit dem Putsch und warum tut Putin das, was er tut, welche Schachzüge sind dahinter zu erkennen? Ich möchte weiter gucken, als nur bis dorthin, wo bei den meisten Leuten das Tagesschau-Bewusstsein hinreicht.

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Wenn ich in Moskau wäre als Journalist, hätte ich erst einmal eine Grundangst. Freie Meinungsäußerung wird verfolgt, wenn sie in die falsche freie Richtung geht …

Angst habe ich nicht. Ich bin ja eher ein Bürgerjournalist. Aber ich sehe natürlich auch, was im transatlantischen Bereich läuft, sozusagen beim Attischen Seebund der Neuzeit und diesen ganzen Entwicklungen. Ich weiß oft nicht mehr genau einzuschätzen, was ist eigentlich Aktion, was ist Reaktion?

Die Unterdrückung der Meinungsfreiheit sehe ich natürlich. Aber ich spüre sie hier nicht, ich kann nicht einschätzen, inwieweit das Medienbild der tatsächlichen Lage entspricht. Ich nehme wahr, dass die Repressionen hier sehr stark sind. Man kann Repressionen aber auch als Schutzmaßnahmen verstehen. Facebook und X sind hier gesperrt und nur mit VPN zu erreichen. Das ist ja Teil meines Kennenlernens, des sich Reinfühlens. Ich bin weit davon entfernt, das zu beurteilen. Dazu bin ich jetzt nach diesen fünf Tagen auch noch nicht lange genug hier.

Ich habe gestern deine Bilder angeschaut, ich hatte gleich einen düsteren Gesamteindruck und mich gefragt, was der Krieg da schon macht und der Kalte Krieg, der Teil meiner Lebenswelt im Erwachsenwerden war und prägend für meine Sicht auf den Osten insgesamt. Wie ist denn das mit den Klischees? Russland steht für mich auch für einen Protzreichtum und parallel eine große Armut …

Das würde ich schon sagen. Allerdings sieht man westliche Luxuskarossen eigentlich kaum noch. Inzwischen sind das chinesische, japanische und andere Marken. Auf dem Weihnachtsmarkt sind natürlich jene unterwegs, die sich für 6 Euro einen Glühwein kaufen können, während eine Durchschnittsmiete hier zwischen 100 und 300 Euro liegt. Das Durchschnittseinkommen liegt weit unterhalb von unserem. Es ist sicher für viele kein ganz einfaches Leben hier, aber Grundnahrungsmittel sind vorhanden und erschwinglich.

Weit über die Hälfte der Ukrainer wünschen sich ein sofortiges Ende des Krieges und diplomatische Verhandlungen. Nur ein kleiner Teil möchte diesen Krieg siegreich bis nach Moskau tragen. Was sagen die Moskauer? Ist denn der Krieg in Moskau überhaupt präsent, wenn Du da rumläufst?

Es ist tatsächlich ein bisschen so ähnlich wie bei uns die Bundeswehr- und Soldatenwerbung an den Bahnhöfen und U-Bahnhöfen. Das sieht man hier in Moskau eins zu eins auch vom russischen Militär.

Ich glaube, dass man es Menschen ansehen kann, wenn sie verhältnismäßig frei in einer Demokratie in Freiheit und Meinungsfreiheit leben. Kann man denn Russen ansehen, was ihnen fehlt?

Tatsächlich – und das ist mein großes Erstaunen – wirken die Menschen hier sehr entspannt, sehr sorglos und sehr glatt in den Gesichtern. Und die Kinder strahlen. Das ist mein unmaßgeblicher Eindruck. Die Menschen strahlen hier einfach ein bisschen mehr. Also jedenfalls die Jüngeren. Ich habe tatsächlich ein sehr positives Bild von den Menschen hier. Sie wirken sehr losgelöst. Und auch die Gäste. Ich habe hier Menschen aus Ghana gesprochen, aus Kamerun, aus Indien. Die Leute hier wirken alle sehr entspannt und locker. Hier ist keine Angst zu spüren und keine Sorge. Zumindest habe ich das in den Gesichtern nicht gesehen.

Ist das schon eine Solidarität mit dem, was Putin da treibt?

Das kann ich nicht beurteilen. Das ist vielleicht ein bisschen so wie die Anti-Krieg-Umfragen aus der Ukraine. Das sind so die großen Räder, an denen man nicht drehen kann. Das kann man ja bei uns auch wenig durch Wahlen oder Beteiligung. Da ist so eine Ergebenheit vielleicht. Ein Sich-Einfügen in das, was da nun kommen mag. Und ich habe zwei, drei Leute gefragt: Wie siehst du das? Was erwartest du? Aber da fand ich keine Perspektive. Es wird sich ergeben in das, was ist und was kommt.

Danke für das Gespräch!

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