Warum fährst Du nach Moskau? Moskau ist doch unser Kriegsgegner, oder nicht?
Ich habe schon so lange eine Einladung meiner ehemaligen Untermieterin aus Berlin auf dem Tisch. Sie ist Pianistin in Moskau und lädt mich jedes Jahr zwei bis drei Mal ein. Bisher habe ich das noch nie wahrgenommen. Und jetzt und vor allem auch vor dem politischen Hintergrund hatte ich dieses Bedürfnis. Wenn nicht jetzt, wann dann?
Russland hat zudem die Einreise mit dem neuen Visum ganz einfach gemacht. Es gibt heute viele Wege nach Moskau oder nach Russland. Und bevor sich irgendwelche Konflikte noch weiter zuspitzen, wollte ich einmal hier gewesen sein, um mal die ganze Position oder die ganze Situation aus geografisch anderer Sicht zu sehen. Um die Leute hier persönlich zu treffen, um mich mal hineinzufühlen, um in diesem großen Politzirkus einfach anders mitreden zu können, als nur passiv vom Sofa aus mit irgendwelchem vorgekauten Kram.
Das ist eine klassisch journalistische Perspektive. Andererseits führen die Russen nach wie vor Krieg in der Ukraine. Wie bringt man das zusammen, dann dort auf dem Weihnachtsmarkt Zuckerwatte zu essen, mitten in Moskau, wo in Rufweite der Krieg geplant wird?
Ich weiß nicht, ob es da geplant wird. Tatsächlich ist es wie auf unseren Weihnachtsmärkten auch. Eine große Ablenkung von dem, was auch im Westen geplant und gemacht wird. Aber natürlich schwingt das immer mit.
Ich habe bei mir an der Ostsee einen Ukrainer mit im Haus wohnen, mit dem ich mich angefreundet habe. Und auch da schwingt die Frage immer mit, ob ich ein schlechtes Gewissen haben soll, nach Moskau zu fliegen. Aber so lange es möglich ist und ich mich vor Ort informieren kann, lasse ich mir diese Freiheit – diese Möglichkeit! – nicht nehmen, mir meine eigenen Gedanken zu machen und mich nicht irgendwelchen vorgekauten Feindbildern zu ergeben. Ich mache mir ein eigenes Bild von der Welt.
Warst du auch schon in Kiew auf dem Weihnachtsmarkt, einen Glühwein mit Baerbock oder Merz trinken?
(Lacht) Ich war tatsächlich kurz nach 2014 für zwei Wochen dort und ich könnte mir vorstellen, bald wieder in die Ukraine zu fahren, wenn sich das trotz meines russischen Visums in Pass noch machen lässt.
Wie nimmst Du die Stimmung in Moskau wahr? Die Russen werden weltweit zum verhassten Volk stilisiert, weil Putin den großen Krieg begonnen hat nach den jahrelangen vielen kleineren Scharmützeln im Donbass …
Die Stimmung in Russland nehme ich sehr differenziert wahr. Hier werden umgerechnet 35.000 Euro geboten für jeden, der sich freiwillig für die Front meldet. Nicht viele machen es. Zehntausende bis Hunderttausende haben das Land deshalb auch erstmal verlassen. Der Krieg wird – zumindest im persönlichen Gespräch – auch hier nicht vollkommen unwidersprochen genommen. Meine Mitbewohnerin bezeichnete die ganze Situation als „die große Scheiße“.
Ich versuche immer wieder, die großen Linien zu verstehen: Was passierte eigentlich 2014 mit dem Putsch und warum tut Putin das, was er tut, welche Schachzüge sind dahinter zu erkennen? Ich möchte weiter gucken, als nur bis dorthin, wo bei den meisten Leuten das Tagesschau-Bewusstsein hinreicht.
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Wenn ich in Moskau wäre als Journalist, hätte ich erst einmal eine Grundangst. Freie Meinungsäußerung wird verfolgt, wenn sie in die falsche freie Richtung geht …
Angst habe ich nicht. Ich bin ja eher ein Bürgerjournalist. Aber ich sehe natürlich auch, was im transatlantischen Bereich läuft, sozusagen beim Attischen Seebund der Neuzeit und diesen ganzen Entwicklungen. Ich weiß oft nicht mehr genau einzuschätzen, was ist eigentlich Aktion, was ist Reaktion?
Die Unterdrückung der Meinungsfreiheit sehe ich natürlich. Aber ich spüre sie hier nicht, ich kann nicht einschätzen, inwieweit das Medienbild der tatsächlichen Lage entspricht. Ich nehme wahr, dass die Repressionen hier sehr stark sind. Man kann Repressionen aber auch als Schutzmaßnahmen verstehen. Facebook und X sind hier gesperrt und nur mit VPN zu erreichen. Das ist ja Teil meines Kennenlernens, des sich Reinfühlens. Ich bin weit davon entfernt, das zu beurteilen. Dazu bin ich jetzt nach diesen fünf Tagen auch noch nicht lange genug hier.
Ich habe gestern deine Bilder angeschaut, ich hatte gleich einen düsteren Gesamteindruck und mich gefragt, was der Krieg da schon macht und der Kalte Krieg, der Teil meiner Lebenswelt im Erwachsenwerden war und prägend für meine Sicht auf den Osten insgesamt. Wie ist denn das mit den Klischees? Russland steht für mich auch für einen Protzreichtum und parallel eine große Armut …
Das würde ich schon sagen. Allerdings sieht man westliche Luxuskarossen eigentlich kaum noch. Inzwischen sind das chinesische, japanische und andere Marken. Auf dem Weihnachtsmarkt sind natürlich jene unterwegs, die sich für 6 Euro einen Glühwein kaufen können, während eine Durchschnittsmiete hier zwischen 100 und 300 Euro liegt. Das Durchschnittseinkommen liegt weit unterhalb von unserem. Es ist sicher für viele kein ganz einfaches Leben hier, aber Grundnahrungsmittel sind vorhanden und erschwinglich.
Weit über die Hälfte der Ukrainer wünschen sich ein sofortiges Ende des Krieges und diplomatische Verhandlungen. Nur ein kleiner Teil möchte diesen Krieg siegreich bis nach Moskau tragen. Was sagen die Moskauer? Ist denn der Krieg in Moskau überhaupt präsent, wenn Du da rumläufst?
Es ist tatsächlich ein bisschen so ähnlich wie bei uns die Bundeswehr- und Soldatenwerbung an den Bahnhöfen und U-Bahnhöfen. Das sieht man hier in Moskau eins zu eins auch vom russischen Militär.
Ich glaube, dass man es Menschen ansehen kann, wenn sie verhältnismäßig frei in einer Demokratie in Freiheit und Meinungsfreiheit leben. Kann man denn Russen ansehen, was ihnen fehlt?
Tatsächlich – und das ist mein großes Erstaunen – wirken die Menschen hier sehr entspannt, sehr sorglos und sehr glatt in den Gesichtern. Und die Kinder strahlen. Das ist mein unmaßgeblicher Eindruck. Die Menschen strahlen hier einfach ein bisschen mehr. Also jedenfalls die Jüngeren. Ich habe tatsächlich ein sehr positives Bild von den Menschen hier. Sie wirken sehr losgelöst. Und auch die Gäste. Ich habe hier Menschen aus Ghana gesprochen, aus Kamerun, aus Indien. Die Leute hier wirken alle sehr entspannt und locker. Hier ist keine Angst zu spüren und keine Sorge. Zumindest habe ich das in den Gesichtern nicht gesehen.
Ist das schon eine Solidarität mit dem, was Putin da treibt?
Das kann ich nicht beurteilen. Das ist vielleicht ein bisschen so wie die Anti-Krieg-Umfragen aus der Ukraine. Das sind so die großen Räder, an denen man nicht drehen kann. Das kann man ja bei uns auch wenig durch Wahlen oder Beteiligung. Da ist so eine Ergebenheit vielleicht. Ein Sich-Einfügen in das, was da nun kommen mag. Und ich habe zwei, drei Leute gefragt: Wie siehst du das? Was erwartest du? Aber da fand ich keine Perspektive. Es wird sich ergeben in das, was ist und was kommt.
Danke für das Gespräch!
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Kommentar von Jarno Olbrecht
Ich war auch schon mal in Russland. Leider quasi nur auf Durchreise, reichte es nur um einen kurzen Blick auf den Winterpalast zu erhaschen. Deshalb vielen Dank für die Impressionen, zu denen ich mir einen noch ausführlicheren Text gewünscht hätte.
Wurden Sie bei der Wiedereinreise in den freien Wertewesten besonders kontrolliert?
Ich frage, weil eine Freundin von mir, die chinesische Wurzeln hat, und nach einem Besuch ihrer Familie in China, in die USA einreisen wollte und Probleme bekam.
Sie wurde am Flughafen in Houston mitgenommen und befragt. Hinterher haben wir darüber gelacht, aber die Situation war alles andere als lustig. Zuerst wurde sie von einer Frau angesprochen und dann im Gehen abgedrängt. Dann waren Leute um sie drumherum und man hat sie in einen Raum gelotst, wo man sie mit Fragen bombardierte. Computer u.a. technische Geräte wurden einbehalten und ihr nach einigen Tagen zugeschickt - sie hat alles vernichtet. Der ach so freie Wertewesten ist hoch paranoid geworden.
P.S. Warum schreiben Sie selbst gewählte Unmündigkeit in Anführungszeichen? Genau darum handelt es sich doch. Wenn ich mit Freunden in Deutschland telefoniere, klingt deren Meinung immer verdächtig nach den Headlines, die ich in den deutschen Zeitungen lese.
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Kommentar von Hier Niemandsland
Wer einmal in Russland war der wird immer ein Stück Sehnsucht verspüren nach diesen einzigartig beseelten Land. Gastfreundschaft, Offenheit und ein wunderbares Miteinander sind dort wo ich war Normalität.
Moskau kenne ich auch, aber das ist nicht der wirkliche Spiegel dieses Landes. Es gibt viele liebenswerte Städte mit sehr viele liebenswerten Menschen. Bewundernswert ist das menschliche Miteinander!!!
Leider ist das hier den Menschen abhanden gekommen.
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Kommentar von Palmström
Man kann es ganz einfach sehen: Die Völker an für sich hegen gegeneinander keinen kriegerischen Willen. Sie werden nur durch Ober-Affen (mit und ohne roten Arsch) aufeinander gehetzt. Die Globalisierung des kleinen Mannes, er reist frei durch die Welt, ist so gegen den Willen der Ober-Affen wie einst in den Zeiten des Adels oder tyrannischen Regimen.
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Kommentar von Schwar Zi
Ich glaube das Problem was viele Menschen im Westen haben, ist zu verstehen. Moskau ist nicht Russland, Moskau hebt sich in vielen Bereichen vom Rest des Landes ab, genau wie Sankt Petersburg. Das nächste Problem, selbst wenn man dort eine Weile gelebt hat, bedeutet dies nicht automatisch das man die Menschen dort versteht.
In vielen Bereichen sind wir "älteren" Ostdeutschen, also jene die in der DDR geboren und aufgewachsen sind, den Russen doch deutlich näher. Ich versuche seit Jahren meinen "West-Freunden" dieses Gefühl, die Mentalität zu erklären, scheitere aber regelmäßig. Sie verstehen auch nicht, in welchem Chaos das Land in den frühen 90zigern war. Gewalt, Kriminalität, Revierkämpfe und dazu versank Russland damals international in der Bedeutungslosigkeit. Das alles macht etwas mit den stolzen Russen. Das muss man bedenken und das aktuelle Russland auch vor diesem Hintergrund bewerten. Aber dazu muss man sich ein Stück weit auf die Menschen einlassen und nicht nur an der Oberfläche kratzen...
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Kommentar von Petra Wilhelmi
"Tatsächlich – und das ist mein großes Erstaunen – wirken die Menschen hier sehr entspannt, sehr sorglos und sehr glatt in den Gesichtern. "
Russische Menschen sind sehr patriotisch und familienfreundlich. Ich glaube, dass die meisten mit der russischen Bevölkerung im Donbas, die soviel Leid von ihrem ukrainischen Staat erdulden mussten, mitleiden. Sie sind ein Volk. Das verstehen viele in Deutschland nicht, weil den Deutschen, vor allem in Westdeutschland, der Patriotismus ausgetrieben worden ist. Russland hat nicht einfach die Ukraine überfallen. Sie ist den beiden Donbas-Regionen, die sich für unabhängig nach dem Odessa und Maidan Massaker erklärt haben, zu Hilfe gekommen. Meiner Meinung nach, viel zu spät. Der Krieg wurde auf dem Maidan angefangen, befeuert von den USA durch deren Vertreterin Nuland. Deutschlands Anteil am Krieg ist auch riesengroß, weil sie Russland veralbert haben mit dem Minsker Verträgen, die Deutschland hinterher als Fake abgetan hat. Genau das ist es, was die russischen Menschen verstehen. Der Westen meint, über alle herrschen zu können und allen befehlen zu können, wie sie sich zu verhalten haben. Das war ein Fehler. Ergreifend finde ich, wenn viele junge Menschen bei Festtagen auf einen Platz gemeinsam stehen und die russische Hymne aus voller Kehle und mit voller Begeisterung singen. So etwas kennt man in Deutschland nicht mehr. Es berührt mich auch, wenn Russen bei bestimmten Liedern im Saal aufstehen, ob nun jung oder alt. Die Geschichte ist dort lebendig, die wir hier vergessen haben. Dort ist das Christentum noch lebendig und zu den hohen Festtagen gehen jung und alt in die Kirche. Die Kirche dort fußt fest im russischen Volk, im Gegensatz zu uns, wo sich die Kirche auf die linksgrüne Seite gestellt hat und Politik gegen das Volk mit macht. Man muss die russische Seele verstehen, dann weiß man, dass das russische Volk hinter seiner Führung steht. Wenn ich nicht zu alt wäre, würde ich meine Kenntnisse der russischen Sprache aufpolieren und lieber dort wohnen wollen als hier, da ich schon immer die russische Kultur sehr geschätzt habe.
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Kommentar von Andreas Müller
Mal ein paar Anmerkungen aus eigener Sicht. In Russland findet man kaum Mietwohnungen, es sind fast alles Eigentumswohnungen, bei deren Kauf der Staat unterstützt. Das funktioniert dort etwas anders wie hier. Auf Grund der Inflation (momentan wohl so bei 9 %) sind auch die Lebensmittelpreise gestiegen, am meisten bei Rote Beete (was keiner versteht) um 74 %. Allerdings hält der Staat auch da mit Lohnerhöhungen dagegen. Auf dem einen Bild sah ich da sowas wie einen Glühweinstand, 400 Rubel = 3,50 €. Das ist billiger wie hier. In Moskau liegt aber auch das Einkommen höher.
Die spezielle militärische Operation darf man auch Krieg nennen, sogar im TV. Was man nicht darf sind Fake News, Verleumdungen und Unwahrheiten über die Streitkräfte und die SMO verbreiten.
Ob Herr Witt überhaupt verstanden hat, wie Russland funktioniert, mag ich anhand seiner Aussagen bezweifeln. Er sollte vllt. auch die festlich geschmückte Metro und die anderen Verkehrsmittel fotografieren, das gibts nur dort. Letzte Frage an Herrn Wallasch : Wo sehen Sie einen düsteren Gesamteindruck ?
Falls jetzt ominöse Kommentare kommen, ja ich war schon in Moskau (mehrmals).