Alexander Wallasch: Am Tag der Verabschiedung einer erneuten Verschärfung des Infektionsschutzgesetzes demonstrierten circa 500 Leute vor dem Bundestag. Im August 2020 waren noch 100.000 Menschen auf der Straße des 17. Juni unterwegs. Was muss eigentlich noch passieren, damit die Menschen ihren Unmut mal öffentlich machen? Oder gibt es gar keinen Unmut?
Hans-Georg Maaßen: Es gibt sicherlich in der Bevölkerung großen Unmut über die aktuellen politischen Entscheidungen, und ich erwarte, dass die Demonstrationen an Zahl und an Größe deutlich zunehmen werden.
Allerdings muss man auch sehen, dass für viele Menschen gegenwärtig das Corona-Thema nicht mehr aktuell ist, weil die Restriktionen der Lockdownzeit und der bisherigen Coronapolitik schon der Vergangenheit angehören und sie diese Restriktionen und ihre Folgen in ihrem persönlichen Leben derzeit nicht mehr so wahrnehmen.
Und wenn die Menschen den politischen Druck auf sie noch nicht als einschneidend wahrnehmen, bedeutet das für viele auch, dass sie nicht bereit sind, ihre Zeit für die Teilnahme an einer Demonstration zu opfern und sich dabei auch noch zu exponieren.
Und diejenigen, die derzeit dort hingehen, sind sicherlich Menschen, die die aktuelle politische Lage als Notlage wahrnehmen und politisch überzeugt sind, dass dagegen etwas unternommen werden muss. Das war vor ein paar Jahren noch etwas anderes als 100.000 Menschen wegen der bevorstehenden Änderung des Infektionsschutzgesetzes auf die Straße gingen.
Alexander Wallasch: Ist es nicht gefährlich für eine Demokratie, wenn Menschen potenziell erst dann aufstehen, wenn es ihnen wirklich dreckig geht? Sollte man seine Meinung nicht auch mal bekunden, wenn man sich noch in einer persönlichen Komfortzone befindet? Ist das nicht Teil demokratischer Prozesse?
Hans-Georg Maaßen: Es ist sicherlich für eine Demokratie gefährlich, wenn die Bürger politische Fehlentwicklungen verschlafen, sie nicht wahrnehmen oder aus ihrer Wahrnehmung verdrängen, weil es unangenehm ist, und wenn sie erst dann wach werden, wenn die Fehlentwicklungen zu einer Krise führen und das Kind fast schon in den Brunnen gefallen ist. Dies kann dann zu eruptiven Prozessen in der Bevölkerung führen, zu aggressiven Demonstrationen auf der Straße oder zur Gewaltanwendung. Soweit darf es nicht kommen, und das muss verhindert werden.
Ich sehe ein großes Problem darin, dass breite Bevölkerungsschichten kein politisches Bewusstsein für ihre Rolle in der Demokratie haben, dass sie politisch unterinteressiert sind, sich von den Mainstreammedien manipulieren und durch Emotionen beeinflussen lassen und sich die Frage nach der für sie richtigen Politik erst an der Wahlurne stellen.
Diese Menschen verfolgen die aktuelle Politik nicht mit einem aufgeweckten politischen Bewusstsein, sondern schreien erst auf, wenn sie sich persönlich schmerzhaft betroffen fühlen. Aber selbst dann ist im Bürgertum eine Haltung verbreitet, dass man zwar etwas unternehmen sollte, aber man vertraut darauf, dass jemand anderes sich schon darum kümmern wird. Diese Haltung ist für das Funktionieren einer freiheitlichen Demokratie sehr schädlich.
Dies liegt aus meiner Sicht auch daran, dass die politische Erziehung mit Blick auf die Pflichten eines Bürgers in einer freiheitlichen Demokratie in Schulen und durch Medien zu kurz kam, wenn nicht sogar versagte.
Alexander Wallasch: Wann war denn der Deutsche zuletzt mal übergreifend politisiert? Ist nicht der Mittelstand grundsätzlich tendenziell apolitisch? Auch die Achtundsechziger waren alles andere als eine Massenbewegung. Gibt es denn überhaupt so einen Zustand, dass eine Bevölkerung durchweg eine Politisierung erfährt? Mal abgesehen von vielleicht DDR ‘89? Aber selbst da war es doch nur eine geringe Zahl von Menschen, die auf die Straßen gingen.
Hans-Georg Maaßen: Für eine freiheitliche Demokratie ist es notwendig, dass das Bürgertum ein politisches Bewusstsein hat und politisch denkt, und zwar nicht nur dann, wenn Entscheidungen persönlich wehtun oder wenn die politischen Probleme so offensichtlich sind, dass sofortiger Handlungsbedarf besteht. Jeder muss kontinuierlich mitdenken. Die Schweizer sind uns da um Längen voraus.
Sie fragten, wann es in Deutschland so war. Aus meiner Sicht immer dann, wenn es wirklich wehgetan hat. Man kann wahrscheinlich sagen, die 1950er und 1960er Jahre waren in Deutschland, vor allem in Westdeutschland, die Jahre, in denen die Menschen aufgrund der Erfahrungen mit dem Zusammenbruch 1945, der Besatzungszeit und der Auseinandersetzung mit der DDR am stärksten politisiert waren.
Es gab damals eine starke Polarisierung zwischen ganz links und ganz rechts, aber den Menschen war klar, dass Politik sie persönlich betrifft. In den 1960er Jahren führte das Auftreten der linksideologisch fanatisierten Jugendbewegung dazu, dass das Bürgertum die gesellschaftlichen Fortschritte des Wiederaufbaus durch diese Bewegung bedroht sah.
Später schlief – so meine Einschätzung – das politische Bewusstsein des Bürgertums ein. Es hat sich aus dem politischen Bereich allmählich ins Private und Geschäftliche zurückgezogen und glaubte, die Politik Berufspolitikern überlassen zu können. Das war ein schwerer Fehler, denn das führte letztlich dazu, dass politische Karrieristen und ideologisierte Linke, die die bürgerlichen Parteien unterwandern wollten, in diese Lücke hineindrängten und die bürgerlichen Parteien völlig veränderten.
Diese Leute dominieren heute den Politikbetrieb im Bund und in den Ländern, und diese Leute betreiben eine Politik, die in weiten Teilen gegen die Interessen ihrer eigenen Mitglieder und Anhänger gerichtet ist.
Seit einigen Jahren erwachen die Bürger, weil sie merken, dass sie von der Politik nicht mehr das bekommen, was sie bestellt haben, dass sich die Politik die Freiheit nimmt, diese Leute dann auch noch zu beschimpfen. Schließlich sollen die Bürger dann auch noch die Zeche zahlen.
Hinsichtlich der CDU mussten sie feststellen, dass sie für eine Politik steht, die weder konservativ noch bürgerlich noch mittelstandsfreundlich ist, sondern woke, grün und links.
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Alexander Wallasch: Aber ist nicht unsere parlamentarische Demokratie so aufgebaut, dass der jeweilige Wahlkreis jemanden ins Parlament entsendet und wenn den Bürgern etwas nicht passt, dann gibt es immer die Rückkopplung zu jenem Abgeordneten, den man gewählt hat, der das dann ins Parlament trägt.
Das wäre doch eine Idealvorstellung: Nicht gleich mit einem außerparlamentarischen Protest, nicht gleich mit Demonstrationen auf der Straße.
Ist das das ideale Demokratiemodell, dass man alle vier Jahre neu wählt und zu seinem Abgeordneten während dieser Wahlperiode, also während dieser Legislatur, die Rückkopplung sucht? Wäre das nicht die Ideallinie, wie Demokratie funktionieren muss, oder reicht das nicht mehr?
Hans-Georg Maaßen: Ja, es gibt viele Idealvorstellungen von Demokratie, aber so funktioniert sie bei uns nicht und schon gar nicht so, wie Sie es mit der Rolle der Direktmandate beschrieben haben. Die direkt gewählten Abgeordneten sind nur ein Teil des Bundestages, aber nicht der Teil, der wirklich maßgebend ist, sondern von der Anzahl – wegen der Überhangmandate – und vom politischen Einfluss sind diejenigen maßgebend, die über die Listen ins Parlament kommen.
Bei den kleineren Parteien wie bei der FDP und den Grünen ist nahezu kein einziger Abgeordneter direkt ins Parlament gewählt worden. Und diese Parteien tragen Regierungsverantwortung und stellen Minister. Listenabgeordnete müssen sich nicht den Bürgern in einem Wahlkreis stellen und um die Zustimmung der Bürger dieses Wahlkreises kämpfen. Sie müssen sich keinem Bürger in einem Wahlkreis dankbar oder verantwortlich fühlen, sondern nur den Parteifunktionären, die sie auf einen Listenplatz gesetzt haben, dass sie im Parlament gelandet sind.
Deshalb empfinden diese Leute gegenüber der Parteiführung oder gegenüber ihren parteiinternen Seilschaften, eine größere Dankbarkeit und Loyalität als gegenüber den Wählern in einem Wahlkreis. Und auch eine größere Dankbarkeit gegenüber der Quotenregelung, die dazu geführt hat, dass inzwischen Menschen in wichtigen politischen Führungsfunktionen sind, die außer dem richtigen Geschlecht, der richtigen Herkunft, der ideologischen Linientreue und dem hündischen Gehorsam gegenüber der Partei nichts zu bieten haben.
Alexander Wallasch: Wenn wir mal theoretisch werden: Wäre es für die Demokratie von Vorteil, wenn es nur noch Direktmandate gäbe und wenn die Wahlkreise die Möglichkeit hätten, den jeweiligen Abgeordneten zurückzuholen und einen neuen zu entsenden?
Hans-Georg Maaßen: Gewiss gibt es eine Vielzahl an Möglichkeiten, wie man die bestehenden Missstände im Parlamentarismus verringern oder ausschließen könnte. Aus meiner Sicht wäre die Einführung eines reinen Mehrheitswahlrechts eine sehr gut Maßnahme. Dadurch würde das Unwesen der Listenmandate abgeschafft. Das hätte eine stärkere Bindung zwischen dem Abgeordneten und seiner Basis zur Folge.
Der Abgeordnete wäre auf das Wohlwollen seiner Wähler angewiesen, wenn er wiedergewählt werden wollte. Der Einfluss der Parteiführungen auf Auswahl und Wahl der Abgeordneten wäre gebrochen. Die Loyalität gegenüber dem Wahlkreis wäre dadurch automatisch größer als gegenüber der eigenen Parteiführung.
Die Abgeordneten wären damit auch selbstbewusster gegenüber ihren Parteiführungen. Sie können sich vorstellen, dass ein solches Wahlrecht sicherlich nicht die Unterstützung der Parteiführungen und der maßgebenden Funktionäre finden würde, da diese sich durch eine solche Reform in ihrer Macht bedroht fühlten.
Ein Mehrheitswahlrecht mit einer Verankerung der Abgeordneten in Wahlkreisen ist aus meiner Sicht ein wichtiger erster Schritt in die richtige Richtung, damit wir nicht nur Berufspolitiker im Parlament haben.
Alexander Wallasch: Das heißt ja, das Statement von Annalena Baerbock in Prag, wo sie in etwa erklärte, die deutschen Wähler wären ihr egal, entspricht ja dann eigentlich genau dem, was Sie gerade geschildert haben.
Hans-Georg Maaßen: Frau Baerbock kandidierte bei der Bundestagswahl in Potsdam und hatte den Wahlkreis nicht gewonnen. Dank Landesliste und Frauenbevorzugung bei den Grünen kam sie in den Bundestag. In Prag drückte sie das aus, was sehr viele Listenplatzabgeordnete denken: Was die Wähler sagen, interessiert mich nicht. Ich brauche sie nicht. Ich bin von meiner Landespartei aufgestellt und gewählt worden. Und wenn die Partei mehr als fünf Prozent erhält, bin ich im Bundestag. Das Entscheidende ist, dass ich bei der nächsten Nominierung wieder ganz vorne stehe und damit einen sicheren Listenplatz habe und wieder reinkomme.
Alexander Wallasch: Wollen wir thematisch von Annalena Baerbock – ich weiß, es ist schwierig – zu Queen Elisabeth II wechseln? Denn ich staune auch über mich selbst: Ganz egal, welche Medien ich schaue oder höre, ich neige zu einer leichten Gänsehaut. Sind wir ein Mangelland für solche pathetischen Momente? Sind wir mittlerweile vollkommen befreit davon in Europa? Ich wundere mich schon, dass auch ich auf merkwürdige Weise erst mal angerührt war …
Hans-Georg Maaßen: Den Briten gelang es, etwas zu bewahren, was wir schon nach dem Ersten Weltkrieg und vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg aufgeben mussten: Nämlich ein historisches Kontinuitätsband zu bewahren. Eine Verbindung zwischen der politischen Gegenwart und der Vergangenheit.
Nur, wer diese Kontinuität zwischen Vergangenheit und Gegenwart wertschätzt, weiß, dass er auch die Verantwortung hat, das Ererbte und das Erworbene an zukünftige Generationen weiterzugeben. Damit ist auch eine gewisse Demut verbunden, dass man letztlich nur ein kleines Glied ist in einer langen historischen Kette, die lange in die Vergangenheit zurückreicht und hoffentlich noch lange in die Zukunft wirken wird.
Viele Briten sind dadurch über die Traditionen und über das britische Königshaus emotional mit ihrer Geschichte verbunden. Aus meiner Sicht können wir diese Traditionsgebundenheit der Briten in gewisser Hinsicht beneiden, weil uns diese ungezwungene und natürliche Verbindung mit unserer Geschichte fehlt, weil wir dieses Traditionsband bewusst zerschnitten haben und tatsächlich glauben, wir seien historische Solitäre: Vor uns war nur Barbarei und die Nachwelt werde auf uns mit Stolz und Hochachtung blicken. Aber diese Perspektive ist falsch.
Vielleicht sind die Briten mit Elisabeth II und der bisherigen Tradition Dinosaurier. Denn sie knüpfen noch an Traditionen an, die heute in Europa leider fast ausgestorben ist. Und damit fehlt es den meisten europäischen Gesellschaften, vor allem aber der deutschen, an dem historischen Zusammenhang zwischen Vergangenheit und Zukunft.
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Alexander Wallasch: Ich habe den Verdacht, man kann es auch Tradition nennen, aber spätestens mit dem Älterwerden merken viele, dass das Sterben viel schwerer geworden ist. Vielleicht kann man das so sagen: Es stirbt sich leichter, wenn man um das von Ihnen beschriebene Traditionsband weiß, weil man sich als Teil dieses Bandes empfinden kann. Was meinen Sie?
Hans-Georg Maaßen: Ich glaube, da ist sicherlich etwas dran. Großeltern, die ihre Enkelkinder mit Stolz mit aufgezogen haben, haben damit nicht nur in die Augen der Enkelkinder, sondern auch in die Augen der Zukunft geschaut. Und sie sind sich sicher, dass sie einiges von dem, was sie selbst gelernt und im Leben erfahren haben, weitergeben konnten. Diese Menschen sterben leichter, als Menschen, die isoliert sind, die zwar viel Spaß im Leben hatten, aber in den letzten Lebenstagen merken, dass nach ihnen gar nichts mehr kommt, das nichts mehr zurückbleibt. Wenn dann auch noch der religiöse Glaube fehlt, der den Menschen Sinn und Orientierung gibt, dann kann es ein sehr trauriger Tod sein.
Alexander Wallasch: Viele Zeitungen sprechen von der Queen als einer europäischen Konstante. Haben wir auch gerade gemacht. Sie haben es Tradition genannt, aber sind vor der Queen nicht schon eine ganze Reihe viel intensiverer europäischer Konstanten weggestorben oder einfach weggefallen?
Hans-Georg Maaßen: Ich habe mich auf das Abstrakte bezogen, auf die gesellschaftlichen Traditionslinien. Wenn Sie es jetzt auf die Person beziehen, muss man sagen, die Queen hatte in den siebzig Jahren als Königin von England Persönlichkeiten erlebt und überlebt, die Europa und den Westen geprägt hatten.
Ihre Regentschaft reichte von der Nachkriegszeit bis in die heutige turbulente Zeit der Bolschewoken und des von ihnen betriebenen Gesellschaftsumbaus. Queen Elisabeth hat Leute wie Churchill, Eisenhower, Adenauer, Kohl und Angela Merkel erlebt. Alles Personen, die den Westen geprägt haben, mit denen – oder mit ihrem Ausscheiden – auch ein Teil des klassischen Westens gestorben ist.
Die Queen ist in Person dieses Traditionsband – aus der Nachkriegszeit bis heute. Und mit ihrem Tod stehen wir vor einer Person, Charles III, den man heute einen grünen König nennt. Und den man mit nichts mehr wirklich identifizieren kann. Weder mit der Vergangenheit noch mit einer Zukunft. Und der die Briten – wir sind wenig davon betroffen – noch davon überzeugen muss, dass er eine Persönlichkeit ist mit Profil, der den Staffelstab, den Elisabeth mit dem Tod an ihn übergeben hat, auch in der Lage ist weiterzureichen an künftige Generationen.
Alexander Wallasch: Jetzt muss dieses Traditionsband, von dem Sie sprechen, auch irgendeine Auswirkung auf das Leben der Briten haben. Ich war vor einigen Jahren in Manchester. Ich habe dort eine Reportage gemacht über das Bentley-Werk in Crewe. Und ich war erschrocken: Wer sich heute über den Zustand unserer Innenstädte beklagt, der sollte dort einmal hinfahren. Was die Migrationsproblematik angeht, das ist dort um ein Vielfaches offensichtlicher – ja, und auch verkommener. Die Einheimischen dort bewegen sich teilweise nur noch in beschmutzten Joggingklamotten. Bentley ist längst im Besitz von Volkswagen, die lange schon ihre eigenen Probleme haben. Um es höflich auszudrücken: Der Zustand des Landes reflektiert nicht unbedingt die Qualität dieses Bandes, von dem Sie sprachen.
Hans-Georg Maaßen: Nein, das ist etwas anderes. Ich habe mich nicht zum Tod der Queen geäußert, weil man diese Person auch aufgrund ihrer Funktion nicht überschätzen darf. Sie ist zwar eine Persönlichkeit als Königin, die für viele Menschen in Großbritannien, auch in Teilen darüber hinaus, eine Orientierung gegeben hat und insoweit Traditionsband war. Aber die Politik ist nicht von ihr gemacht worden. Sie hatte sie auch nicht zu verantworten.
Und die Politik in Großbritannien ist in den letzten Jahrzehnten genauso irrsinnig gewesen wie in vielen anderen westeuropäischen Staaten auch. Dies betrifft insbesondere die Immigration von Ausländern, die zu einer völligen Veränderung der gesellschaftlichen Struktur führte.
Das gilt aber auch für andere politische Fehlentscheidungen, die im Westen getroffen worden waren und unter denen Großbritannien wie Deutschland, Frankreich und andere Staaten des Westens zu leiden haben. Vergleicht man das zum Beispiel mit den Staaten Ostasiens, mit China, Korea oder Japan, die diese fatalen Fehlentscheidungen nicht trafen, dann muss man den Eindruck haben, dass die Zukunft nicht in Europa sondern anderswo stattfindet. Ich habe den Eindruck, dass Europa und der Westen auf Grund ihrer ideologischen Politik mehr und mehr zurückfallen und inzwischen sogar abgehängt worden sind. Allerdings wollen sie es wahrnehmen, dass sie mit ihrer Ideologie und Politik auch gar nicht mehr zukunftstauglich sind.
Alexander Wallasch: Das ist aber doch nichts Naturgegebenes. Das passiert nicht zufällig. Viele Menschen hierzulande haben sich daran gewöhnt und sagen: Na ja, das ist halt der Zahn der Zeit und Epochen verändern sich. Dabei habe ich immer das Gefühl, es geht ein bisschen unter, dass das von Ideologen gesteuert wird.
Und das führt mich zur letzten Frage: Bundespräsident Steinmeier kondoliert zum Tod der Queen, was ja seine Aufgabe ist. Und er schafft es, nach wenigen Sätzen den Krieg Russlands auf die Ukraine mit ins Bild zu bringen. Steinmeier erinnert daran, dass Königin Elisabeth ja miterlebt habe, wie ein Krieg in Europa überwunden werden kann. Ist das nicht fast zynisch auf irgendeine Art und Weise?
Hans-Georg Maaßen: Ich würde nicht so weit gehen, zu sagen, dass es zynisch ist, aber es ist aus meiner Sicht auf jeden Fall unpassend. Und es passt zum Bild, das ich von dem heutigen Bundespräsidenten habe, der viel politischer und ideologischer ist als viele seiner Vorgänger, und auch gefühlloser. Aus meiner Sicht sollte man in einem Kondolenzschreiben das Lebenswerk der Verstorbenen und die Bedeutung für Deutschland würdigen, und es gehört sich nicht, dass man die einseitige Parteinahme für die Ukraine in eine derartige Kondolenz aufnimmt.
Alexander Wallasch: Vielen Dank für das Gespräch!
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Kommentar von Karl Georg Lempenheimer
In der letzten Legislatur Merkels waren sage und schreibe 94% der CDU/CSU-Abgeordenten in den Wahlkreisen direkt gewählt. Fälllt damit nicht die Theorie vom verantwortungsbewussteren Direktabgeordneten gegenüber seinen Wählern?
Auch Direktkandidaten werden von der Partei aufgestellt, wennzwar von einem anderen Gremium. „Die“ Partei, die die Listenkandidaten aufstellt, besteht aus Personen, die selber gewählt wurden. Es gibt keine weitgehend saubere idelle Trennung von Direkt- und Listenkandidaten.
Von meinem zur Wahl aufgestellten Direktkadidaten (im Plural) höre ich ein Mal in vier Jahren etwas. Es ist der Flyer vor der Wahl in meinem Briefkasten, worin zum Ausdruck kommt, dass man ihn wählen soll. Freilich kann man ihn auch während der vier Jahre kontaktieren, aber wer macht das schon? Ein repräsentatives Feedback bekommt der Abgeordnete so nicht.
Den Wähler wird man so nehmen müssen, wie er ist. Leute ändern sich nicht auf Bestellung.
Eine ganz anderen Sicht auf die Demokratie
Die Tagespolitik rauf und runter zu verfolgen, kostet einen als Bürger sehr viel Zeit. Daraus folgt: Die Gewählten sollen ihren Job gut machen, damit der Bürger diesen nicht auch noch machen muss neben seinem eigenen Beruf. Viele Dinge sind zu komplex, als dass man beides gut genug bewältigen könnte. Was für Entscheidungen reichen würde, käme oft einem vertieften Studium gleich. Das mag tun, wer erstens die Vorbildung und zweitens die Zeit dazu hat – aber niemand hat auf allen Feldern die nötige Vorbildung.
Medien
Der Bürger bekommt alle Informationen über Medien. Damit haben sie eine Schlüsselstellung bei der Bildung des politischen Willens. Aber auch hier wird man Demokratie immer nur in großen Linien denken können. Alles andere macht kaum Sinn. Vieles, was Politik sein will, ist zur Unterhaltungssendung im großen Zirkus mutiert.
Der Hebel geht ganz klar über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Er muss einfach anders werden und zwar politisch neutral, was auch heißt, allen Parteien ohne Bevorzugung oder Benachteiligung eine Plattform zu geben. Demokratie ist die Bühne, auf der alle Parteien tanzen dürfen – aber keine einzige Partei vertritt die Demokratie sondern ihre parteiischen Interessen. Hingegen kann man privatwirtschaftlichen Medien die politische Ausrichtung nicht vorschreiben.
Parteien
Eine Partei sollte für ein Gesellschaftsmodell stehen, auf das man sich verlassen kann. Das schließt ständige Neujustierung auf Grundlage von Meinungsumfragen oder Social-Media-Einflüssen aus. Der Bürger muss wissen, woran er ist. Innerparteiliche Demokratie wäre zu hinterfragen. In Unternehmen bestimmt ein Chef die Hierachie, die anderen sind seine „Helfer“. Vorhaben gelingen nach Plan, nicht durch „demokratische“ Kompromisse, die sowieso nicht demokratisch sind, da nicht das ganze Volk gefragt wird. Warum nicht auch in Parteien so?
Mir als Bürger ist egal, wie das Angebot einer Partei zustandekommt. Ich will nur wissen, was es ist, um dann zu entscheiden, wen ich wähle. Aber dann möchte ich mich darauf verlassen können, was am ehesten gelingt, wenn einer(!) dafür steht, der die Sache umsetzen will, kann und darf.
Der Bürger muss sich wie auch Unternehmen auf die Kontinuität und damit auf Planbarkeit verlassen können (Lebensplanung bzw. Aufgabenplanung). Man kann nicht alle paar Jahre alles umwerfen und unter neuen Bedinungen anfangen.
Demonstrationen
Der Bürger geht auf die Straße, wenn ihm persönlich etwas Gravierndes nicht passt. Das ist sein gutes Recht und muss es bleiben. Anders sieht es aus, wenn er es aus ideologischen Gründen tut. Damit stellt er sich gegen das Ergebnis demokratischer Wahlen. Dies steht ihm nicht zu. Damit hätten wir einen Punkt, wie die „Delegitmierung des Staats“ aus Verfassungssicht doch noch einen Sinn macht.
Politische Immunität
Dass alles missbrauchbar ist, ist bekannt. Deshalb brauchen wir Gesetze mit Strafen gegen Missbrauch auch für Politiker und Beschäftigte des Staats. Immunität macht nur einen Sinn, wenn sie nicht aufgehoben werden kann. Also erst gar keine Immunität einführen oder Immunität nur für bestimmte Arten von Dingen.
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Kommentar von Matthias P.
Noch etwas zum Thema Traditionspflege:
Man sollte auch daran denken, die alte Binnengliederung wieder herszustellen. Die jetzigen Länder sind ja bekantlich Gebilde der Allierten mit Grenzen, die oft genug den Besatzungszonen entsprechen und zusammengehörige Gebiete durchtrennen. ZB besteht das Land Rheinland-Pfalz aus einem Teil der preuß. Rheinprovinz, der bayr. Pflalz und Rheinhessen und wurde zusammengefügt, weil sich alles in der franz. Zone befand. Die Schwäche D's, auch bes. Norddeutschlands dürfte auch mit der Zerstückelung Preußens zusammenhängen, das immer der Motor des Fortschritts war.
Eine Neuregliederung des Bundesgebiets war ja ursprünglich im Grundgesetz vorgesehen, ist dann aber zu einer reinen Kann-Bestimmung unter Vorbehalt eines Volksentscheides herabgestuft worden (der einzige Fall eines Volksentscheides, der im GG vorgesehen ist). Obwohl ich mich gerade noch für Volksentscheide ausgesprochen habe, muss man ihn hier wieder kritisch sehen, denn die Bevölkerung von zB Rheinland-Pfalz wird wohl kaum ihrer Zerstückelung zustimmen, weil es ihrem Land besser geht als NRW oder (wohl auch) Hessen. Sinnvoll wäre eine Gesamtlösung: Die Komplettwiederherstellung der alten Struktur mit einem Gesamtvolksentscheid auf Bundesebene. So könnte es gelingen.
Nur das oft angestrebte Ziel, die Gesamtzahl der Länder zu verringern, ließe sich auch damit nicht erreichen, weil sich die Anzahl nicht (nennenswert) verändern würde. Aber die Leistungsfähigkeit von Staat und Verwaltung des Nordens könnte wohl verbessert werden.
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Kommentar von Sebastian Adolph
Zu Matthias P. : ich würde sogar noch weiter gehen und sagen das eine Demokratie OHNE VOLKSENTSCHEIDE IN WICHTIGEN FRAGEN wie z.B. der Einführung des Euros, der Flutung unseres Landes mit Migranten oder der Beteiligung an einem Krieg ( Ukraine ) eine Scheindemokratie ist, nein eigentlich sogar nur ein zynischer Witz! Aber das können die Vögel die wir im Bundestag sitzen haben halt als allerwenigstes gebrauchen, ein direktes Mitspracherecht der Bürger. Ich verwette mein Augenlicht das in den von mir genannten Entscheidungen keine einzige so gefällt worden wäre, wäre es zu einem Volksentscheid gekommen.
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Kommentar von Matthias P.
Ergänzung zum ersten Absatz meines Kommentars und zu meinen Vorgänger-Kommentaren: Ja, auch Volksentscheide sollten eingeführt werden. Auf Landesebene ist es ja zT geschehen, aber auf Bundesebene fehlt diese Möglichkeit noch fast vollständig.
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Kommentar von Matthias P.
Ich teile die Auffassung, dass man RECHTZEITIG demonstrieren sollte; wäre das geschehen, wären uns vielleicht Euro, Rettungsschirme, Massenzuwanderung und –einbürgerung erspart geblieben. Diese Probleme können jetzt nur noch, wenn überhaupt, unter großen wirtschaftlichen Verlusten bzw. in rechtlich problematischer Weise gelöst werden.
Das politische Bewusstsein des deutschen Bürgertums war wohl traditionell eher gering, da es monarchisch geprägt war. Die kurze Zeit der Weimarer Republik konnte das wohl nicht grundlegend ändern. Eine „Politisierung“ konnte dann ja erst nach der Gründung der Bundesrepublik in den Westzonen eintreten. Möglich, dass sie seit den Höhepunkten der 50er/60er Jahre wieder rückläufig ist/war.
Zuzustimmen ist der Auffassung, dass die Herrschaft der starren Parteiliste beendet werden sollte, weil sie dafür sorgt, dass die wahre Herrschaft nicht beim Volk, sondern bei den Parteien (und innerhalb der Parteien auch wieder nur bei einigen wenigen Personen) liegt. Ob das aber durch reines Mehrheitswahlrecht geschehen sollte, ist die Frage, kann man doch, je nach Bemessung der Wahlkreise auch das Wahlergebnis beeinflussen.
Ich sehe es auch so, dass die Tradition in D zu wenig gepflegt wird. Der Historiker Friedrich Meinecke zB schlug seinerzeit vor, als Nationalflagge kein reines schwarz-rot-gold einzuführen, sondern das alte schwarz-weiß-rot in einer Ecke der Flagge anzubringen, um die Kontinuität zum Kaisereich auch symbolisch darzustellen.
Überhaupt ist der Untergang der Monarchie ein großes Unglück, das durch die Weigerung der Sieger (v.a. wohl der USA) mit D Frieden zu schließen, solange der Kaiser im Amt sei, mit verursacht wurde. Später wiederholten die USA diesen Fehler in Bezug auf Japan nicht. Berater empfahlen Wilhelm II, das Amt an seinen Enkel zu übertragen, um die Monarchie zu retten; leider befolgte er diesen Rat nicht, sondern stattdessen später den anderen Rat ins Ausland zu fliehen, was ihm wohl weitere Sympathien kostete. Wäre die Monarchie gerettet worden, hätte es einen 2. WK vermutlich nicht gegeben und das Reich bestünde bis heute. Das Beispiel Spanien zeigt, dass eine Monarchie auch erfolgreich wiedererrichtet werden kann. Ein Monarch, der vom ganzen Volk anerkannt ist, könnte das Volk besser einen als ein Bundespräsident, der ja immer mehr nur nach parteipolitischen Interessen ausgewählt wird.
Wenn man die Monarchie schon nicht wiederherstellen will, könnte man bei den Feiertagen mehr Tradition walten lassen. Der Sedanstag wurde abgeschafft; er könnte auch wieder eingeführt werden; aber auch ein Feiertag zur erfolgreichen Schlacht bei Tannenberg 1914 oder zum Frankreich-Feldzug 1940 wären möglich. Auch bei den Denkmälern besteht Änderungsbedarf. Jedenfalls dann, wenn Russland alle Rohstofflieferungen komplett einstellt, sollten die Denkmäler beseitigt werden, die den Sieg des sowj. Bolschewismus über D glorifizieren.
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Kommentar von La Vinia
Vieles sehe ich ähnlich. Aber kommt man mit dem Verweis auf Länder wie die Schweiz und den dortigen ausgeprägten Bürgersinn wirklich weiter? Ich habe gelesen und kann es immer noch nicht glauben, dort sei es ab demnächst strafbar (also nicht etwa eine Ordnungswidrigkeit oder so, nein, so richtig strafbar), seine Wohnung auf über 19 Grad zu beheizen. Es mag sein, dass sich Schweizer Bürger mehr für politische Fragen zuständig fühlen als Deutsche, die man davon durchaus gezielt wegerzogen hat (anders kann ich bspw. die Kampagnen gerade in meiner Jugend gegen angebliche Stammtischparolen nicht verstehen; auch dieser von allen namhaften gesellschaftlichen Institutionen geförderte Hang zum moralischen Aufladen von Sachfragen hat sicher dazu beigetragen), aber das Ergebnis scheint sich doch von den Entwicklungen bei uns nicht sehr zu unterscheiden.
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Kommentar von Hildegard Hardt
Demonstrationen sind notwendig, solange die Regierenden ihre Machtbefugnisse zum Nachteil des Volkes mißbrauchen, die Bürger in Angst und Schrecken versetzen und ihre Existenz gefährden.
Demonstrationen wären aber nicht nötig, wenn die Möglichkeit von Volksentscheiden in a l l e n wichtigen Bereichen im Grundgesetzt verankert worden wäre. Das war aber nicht im Sinne der Westalliierten, denn sie fürchteten um ihren Machterhalt.
Daß in einer Demokratie der Souverän nur alle vier Jahre seiner Meinung Ausdruck verleihen darf und direkt nach der Wahl die Gewählten ihre Wahlversprechen ungestraft brechen können, beweist überdeutlich, daß wir nur in einer Scheindemokratie leben.
Diese Mißstände könnten aber nur durch den Druck von der Straße geändert werden und es ist zu hoffen, daß dieser schnellstmöglich erfolgt, denn die Zeit ist mehr als reif!