Die 551 Fragen der CDU/CSU

Ein „Offener Brief“ aus der Wissenschaft bekämpft die Demokratie

von Martin Schwab (Kommentare: 10)

Warum ich diesen Brief nicht unterzeichnen werde.© Quelle: Privat

Mittels einer parlamentarischen Anfrage begehrt die Unionsfraktion im Deutschen Bundestag von der Bundesregierung zahlreiche Informationen zu NGOs. Dagegen richtet sich jetzt Widerspruch aus der Wissenschaft.

Von Prof. Dr. Martin Schwab

Autoren und Unterzeichner eines „Offenen Briefes“ sorgen sich um die Zivilgesellschaft als tragende Säule der Demokratie. Und merken vermutlich nicht einmal, dass sie mit ihrem Brief in Wirklichkeit die Demokratie bekämpfen.

Am 4.3.2025 veröffentlichte der „Verfassungsblog“ einen „Offenen Brief“, der Anstoß an den 551 Fragen nimmt, die die Unionsfraktion im Bundestag mit Bundestags-Drucksache 20/15035 an die Bundesregierung gerichtet hat.

Diese 551 Fragen betreffen die Finanzierung und den Gemeinnützigkeitsstatus zahlreichet NGOs, z.B. CORRECTIV, Omas gegen Rechts, Amadeu-Antonio-Stiftung, aber auch den Agora-Komplex.

Aktuell (Zeitpunkt des letzten Abrufs: 5.3.2025, 20.45 Uhr) steht der Brief bei 2.080 Unterzeichnern. Als der SPIEGEL am Tag der Veröffentlichung über den Brief berichtete, waren es noch 1.700. Die Kommentarspalte ist zwar aktuell geschlossen, aber weitere Unterzeichner werden noch aufgenommen. Die Anzahl der Unterzeichner wird also vermutlich noch ansteigen.

Worum geht es?

Die Autoren des „Offenen Briefes" beklagen den konfrontativen Unterton, in dem der Fragenkatalog der Unionsfraktion abgefasst ist, und wenden, kurz zusammengefasst, Folgendes ein:

1. In Zeiten verstärkten Misstrauens gegenüber der Demokratie sei eine starke Zivilgesellschaft besonders wichtig. Eine lebendige Demokratie sei auf eine kritische Zivilgesellschaft angewiesen.

2. Zivilgesellschaftliche Organisationen spielten eine wichtige Rolle in einer demokratischen Gesellschaft. Sie förderten politische Bildung und bekämpften Gewalt und Radikalisierung. Derartiges zivilgesellschaftliches Engagement dürfe nicht in ein negatives Licht getaucht werden.

3. Die Unterscheidung zwischen Staat und Gesellschaft werde verkannt, wenn zivilgesellschaftliche Organisationen als verlängerter Arm des Staates wahrgenommen und zur politischen Neutralität verpflichtet würden.

4. Die Diskreditierung von NGOs sei typisches Merkmal autoritärer Regierungen. So etwas dürfe in Deutschland nicht Schule machen.

5. Gemeinnützige Organisationen müssten zwar parteipolitisch neutral, nicht aber politisch neutral sein. Sie dürften vielmehr jene Parteien kritisieren, deren Handeln den Werten und Zielen der jeweiligen Organisation zuwiderlaufe.

Autoren und Unterzeichner des Briefs fordern gewiss nicht (jedenfalls nicht direkt), die parlamentarische Anfrage zurückzuziehen. Aber man möge zivilgesellschaftliche Organisationen doch bitte nicht unter Druck setzen, sondern bitte stattdessen deren Unabhängigkeit respektieren.

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Warum verdient es dieser Brief, weder beachtet noch unterzeichnet zu werden?

Um eines klarzustellen: Ich werde diesen Brief nicht unterzeichnen. Denn in diesem Brief werden demokratische Werte nicht etwa verteidigt, sondern verraten:

1. Die Union hat erstmals am eigenen Leibe verspürt, was es heißt, wenn im öffentlichen Diskurs plötzlich die Spielregeln neu geschrieben werden - in dem Sinne nämlich, dass es jetzt eine "gute" (das ist die regierungsfreundliche) und eine "schlechte" (das ist die regierungskritische) Meinung geben soll. Die Union will vermeiden, dass diese Spielregeln (die mit Demokratie in Wirklichkeit nichts zu tun haben) weiterhin gegen sie in Stellung gebracht werden. Das kann man ihr nicht verdenken - unabhängig davon, dass sie an dieser Neuformulierung der Spielregeln selbst nicht ganz schuldlos ist.

2. Die Zivilgesellschaft ist nur dann unabhängig, wenn sie nicht am Tropf von Regierungsgeldern hängt. In eben diesem Sinne muss auch das Gemeinnützigkeitsrecht verstanden werden: Es darf nicht passieren, dass "gemeinnützig" mit "regierungstreu" gleichgesetzt wird.

3. Die Zivilgesellschaft ist nur stark, wenn sie ohne Unterstützung staatlicher Akteure auskommt. Und nur wenn sie auf ihrem Recht besteht, die staatliche Exekutive zu hinterfragen, handelt es sich um eine kritische Zivilgesellschaft. Mit der Förderung von zivilgesellschaftlichem Engagement hat es daher nichts zu tun, wenn die Regierung eines Staates Organisationen finanziert oder mit Steuerprivilegien ausstattet, die ihre Kritiker bei jeder sich bietenden Gelegenheit mit vorgeschobenen Vorwürfen und erfundenen Framing-Geschichten á la Wannseekonferenz 2.0 als Nazis diffamiert. Vielmehr kündet eine solche Förderpraxis von autoritärem Gebaren der Regierenden. Und gerade damit so etwas nicht Schule macht, kommen die 551 Fragen der Unionsfraktion genau zum richtigen Zeitpunkt.

4. Autoren und Unterzeichner des "Offenen Briefes" sind offenbar blind für wirkliche Gefahren, denen der demokratische Diskurs ausgesetzt ist, als da sind: Zensur (Digital Services Act, Trusted Flagger), Denunziationsportale (z. B. der neu eingerichtete "Beratungskompass Verschwörungsdenken") und eine ausufernde Instrumentalisierung des Äußerungsstrafrechts zur Verfolgung von Kritikern des politischen Establishments.

5. Die Menschen misstrauen nicht der Demokratie. Sie misstrauen Akteuren, die den Begriff der Demokratie für sich vereinnahmen und sich anmaßen, jeden als „undemokratisch“ zu brandmarken, der den eigenen Zielen im Wege steht. Ganz im Gegenteil wünschen sich die Menschen den demokratischen Diskurs nach den bisherigen Spielregeln zurück. Sie wünschen sich insbesondere, dass unterschiedliche politische Standpunkte wieder auf Augenhöhe ausgetauscht werden. Denn in einer Demokratie, die diesen Namen verdient, gibt es keine Instanz, die dazu berufen wäre, Meinungen autoritativ in die Kategorien Gut und Böse bzw. Richtig und Falsch einzuteilen. Kein Akteur des demokratischen Diskurses hat das Recht, sich über andere zu stellen. Wer es doch versucht, handelt nicht demokratisch, sondern autoritär.

Insgesamt stärken Autoren und Unterzeichner des „Offenen Briefs“ genau jenen NGOs den Rücken, die ohne jede Legitimation eine Deutungshoheit darüber reklamieren, was demokratisch ist und was nicht und was man noch sagen darf und was nicht. Und damit bekämpfen sie die Demokratie, die sie zu verteidigen vorgeben. Und vermutlich merken viele von ihnen das noch nicht einmal.

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