Ist unser Land würdig, verteidigt zu werden?

Die Wehrpflicht-Diskussion: Deutsche Soldaten als Opfer für fremde Interessen

von Corinne Henker (Kommentare: 13)

Warum sollten junge Menschen ihr Leben für eine Regierung riskieren, die sie so offensichtlich verachtet?© Quelle: Pixabay / josevigi

„Ich gelobe, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen.“

(Feierliches Gelöbnis der Bundeswehr)

Die 18-monatige Wehrpflicht für Männer wurde in der Bundesrepublik 1956, in der DDR 1962 eingeführt. Für Wehrdienstverweigerer gab es in der BRD einen Ersatzdienst, in der DDR konnte man einen Dienst als „Bausoldat“ ableisten. Die Zeit des Grundwehrdienstes in der BRD wurde mehrfach herabgesetzt, bis 2011 die Wehrpflicht komplett ausgesetzt wurde. Sie besteht prinzipiell weiter, doch zu Friedenszeiten werden keine Wehrpflichtigen mehr eingezogen. Stattdessen wurde ein „Freiwilliger Wehrdienst als besonderes staatsbürgerliches Engagement“ mit einer Dauer von 7 bis 23 Monaten eingeführt.

Seit Beginn des Ukraine-Krieges 2022 wird zunehmend über die Wiedereinführung der Wehrpflicht bzw. eines Pflichtdienstes für junge Männer und Frauen diskutiert. CDU, CSU und AfD sind prinzipiell dafür, die FDP dagegen, von SPD und Grünen hört man unterschiedliche Meinungen. Allerdings hat Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hier schon recht konkrete Pläne geäußert. Sahra Wagenknecht (BSW) wurde auf Abgeordnetenwatch zu ihrer Meinung über die Wehrpflicht befragt, hat sich jedoch bisher nicht geäußert.

Ich kenne den Wehrdienst nur aus zweiter Hand, durch Berichte von Freunden und Verwandten. In der DDR wurde praktisch jeder junge Mann in akzeptablem Gesundheitszustand zum Grundwehrdienst eingezogen. Kurz vor dem Abitur wurden wir alle zu einem Gespräch geladen, in dem man uns eine freiwillige Verpflichtung zur Nationalen Volksarmee (NVA) nahelegte. Als Frau war man mit dem Stichwort „Familie“ schnell aus der Sache raus, aber die meisten meiner männlichen Klassenkameraden verpflichteten sich zu einem dreijährigen Wehrdienst - und verbesserten so ihre Studien- und Karrierechancen.

Dieser Wehrdienst wurde dann sehr unterschiedlich erlebt. Mein Vater leistete ihn in den 1960ern bei der NVA ab. Als Funker und im Sanitätsdienst hatte er einen recht lockeren Job, dank der Fürsprache eines Offiziers erhielt er danach einen Studienplatz für Medizin und konnte so den Grundstein für seine spätere Karriere legen. Er war sicher nicht der Einzige, der von seinem Wehrdienst profitierte. Für andere war es Zeitverschwendung, einige haben wirklich darunter gelitten, wie zum Beispiel ein schwuler, künstlerisch orientierter Freund. Aber auch er hat es irgendwie überstanden.

Mein Stiefvater war in den 1960ern bei der Bundeswehr und berichtete ziemlich abschreckende Dinge, z.B. von mehrtägigen Märschen mit Zeltübernachtung bei Eiseskälte. In den 1980ern war es wohl schon deutlich lockerer, wie mir Studienkollegen später berichteten. Im Gegensatz zur DDR hatte man auch keine beruflichen und gesellschaftlichen Nachteile zu befürchten, wenn man den Dienst an der Waffe verweigerte und stattdessen einen Zivildienst leistete.

Als die Wehrpflicht 2011 ausgesetzt wurde, hielt ich das für eine dumme Idee, weil ich dachte, es würde zur Wohlstandsdekadenz führen. Heute sehe ich die Sache etwas anders: Es war nur ein logischer Schritt für eine Gesellschaft, die sich ohnehin auf dem Weg zur Wohlstandsverwahrlosung befand.

Es ist offensichtlich, dass sich die heutige Bundeswehr in einem desolaten Zustand befindet und praktisch nicht mehr verteidigungsfähig ist. Vor dem Hintergrund der Ukraine-Krise verwundert es nicht, dass sich eine knappe Mehrheit der Deutschen in einer Umfrage des Stern für die Wiedereinführung der Wehrpflicht ausspricht. Interessant ist jedoch die Altersverteilung: In der Gruppe der Ü60er sind 59 Prozent für eine Wehrpflicht, in der direkt betroffenen Gruppe der 18- bis 29-Jährigen 59 Prozent dagegen, wobei die Ablehnung bei jungen Frauen (68 Prozent) noch deutlich stärker ausgeprägt ist als bei jungen Männern (52 Prozent). Auch bei der politischen Ausrichtung gab es deutliche Unterschiede: Die Anhänger von CDU/CSU, AfD und BSW sind mit deutlicher Mehrheit dafür, die SPD-Wähler sind gespalten (51 Prozent dafür), die Anhänger von Grünen und FDP mehrheitlich dagegen.

Doch es geht nicht nur um die Wehrpflicht, auch die sozialen Dienste befinden sich in einem desolaten Zustand und vielerorts wünscht man sich die (preiswerten) Zivildienstleistenden zurück. Also hört man immer wieder die Forderung nach einem „allgemeinen gesellschaftlichen und sozialen Pflichtdienst“, der all diese Probleme lösen sollte. Im Bundestag hatte man diese Variante bereits 2007 geprüft und massive rechtliche Hürden festgestellt.  

Dabei hört es sich doch eigentlich ganz vernünftig an: Warum sollten junge Menschen nicht zu einem „Dienst an der Gesellschaft“ herangezogen werden? Immerhin haben sie „der Gesellschaft“ viel zu verdanken und könnten doch einmal etwas zurückgeben. Vermutlich denkt man dabei gern an Klimakleber, Langzeitstudenten und andere wohlstandsverwahrloste Gestalten, denen ein bisschen sinnvolle Arbeit tatsächlich nicht schaden würde.

Wenn man etwas weiter denkt, sieht die Sache allerdings etwas anders aus. Würden Sie die Pflege Ihrer Angehörigen tatsächlich einem arbeitsscheuen Klimakleber anvertrauen? Möchten Sie Kalifatsjüngern (viele von denen besitzen die deutsche Staatsbürgerschaft), Neonazis (den echten!) oder Antifa-Schlägern auch noch Waffen in die Hand geben? Einen erstaunlich nüchternen Bericht über die Debatte findet man hier. Außerdem wäre ein Handwerker, Ingenieur oder Arzt vermutlich von höherem gesellschaftlichen Nutzen, wenn er ein Jahr länger qualifiziert und motiviert in seinem Beruf arbeitet und Steuern zahlt, statt sich in einem Pflichtdienst ausbeuten zu lassen.

Man sollte auch bedenken, dass sich die Zeiten geändert haben. Diejenigen aus unserer Generation, die heute wohlwollend an ihre Wehrpflicht oder ihren Zivildienst zurückdenken, hatten vorher eine Schulbildung genossen, die diesen Namen auch verdient. Sie konnten sich darauf verlassen, dass ihnen - bei entsprechender Qualifikation und Leistungsbereitschaft - danach eine berufliche Zukunft offen steht, mit der sie problemlos eine Familie versorgen können. Und sie dienten in einer Bundeswehr, die ihrem Gelöbnis getreu auf die Verteidigung des eigenen Landes ausgerichtet war, Einsätze in fremden Ländern in fremden Kriegen für fremde Interessen waren damals nicht zu befürchten.

All das ist heute nicht mehr der Fall. Die Qualität der Schulbildung geht stetig zurück, viele „Brennpunktschulen“ sind mittlerweile ein Sicherheitsrisiko für Schüler und Lehrkräfte. Zudem wurde die Lebensqualität der jungen Menschen über mehrere Jahre durch die Corona-Schikanen massiv eingeschränkt. Und auf eine friedliche, sichere Zukunft mit finanziellem Wohlstand können sie ohnehin nicht mehr vertrauen.

Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Regierungen der letzten Jahre junge Menschen hassen - zumindest diejenigen, die sie nicht für ihre Ideologie instrumentalisieren können.

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Doch zurück zum Wehrdienst. Wäre es nicht sinnvoller, diesen für junge Menschen so attraktiv zu gestalten, dass man auf eine Verpflichtung verzichten könnte? Ein Blick nach Westen könnte als Anregung dienen.

In den USA existiert - ähnlich wie derzeit in Deutschland - die Wehrpflicht zwar noch als Gesetz, tatsächlich ist der Militärdienst seit 1973 freiwillig.  Inzwischen haben die USA eine recht leistungsfähige Berufsarmee aufgebaut, unterstützt durch private Söldner-Organisationen wie Blackwater/Academi. Allerdings sind die Voraussetzungen in den USA auch ganz andere als in Deutschland.

2023 gaben die USA etwa 917 Milliarden Dollar für Militärausgaben aus, das sind etwa 3,4 Prozent des Bruttoinlandsproduktes - in Deutschland waren es 1,5 Prozent des BIP. Dementsprechend ist die Ausrüstung der US-Armee deutlich besser als die der maroden Bundeswehr. Außerdem genießt der Militärdienst in der US-amerikanischen Gesellschaft auch ein deutlich höheres Ansehen als im Scholzland 2024. Zwar lässt auch dort die Versorgung von Kriegsinvaliden sehr zu wünschen übrig, doch man investiert so einiges in die Öffentlichkeitsarbeit: gigantische Militärdenkmäler und -friedhöfe, öffentlichkeitswirksame Besuche von Politikern und Paraden, deutliche Ermäßigungen für Armeeveteranen für den Besuch von öffentlichen Einrichtungen und Veranstaltungen.

Dagegen ist es in Deutschland erlaubt, Soldaten pauschal als „Mörder“ zu bezeichnen. Die Verachtung unserer Politiker gegenüber den Bundeswehrsoldaten wurde nicht nur einmal deutlich. Nachdem man die Bundeswehr über Jahre vernachlässigt und ihre Angehörigen als „Rechtsextreme“ diffamiert hat, versucht man jetzt verzweifelt, eine neue Imagekampagne zu starten. Das „Kreiswehrersatzamt“ heißt jetzt „Karrierezentrum“, Plakate und Filme werben für den Dienst bei der Bundeswehr. 58 Millionen Euro sollen in diesem Jahr für die „Nachwuchsgewinnung“ ausgegeben werden. Außerdem soll auch direkt an Schulen für die Bundeswehr geworben werden. Schließlich wurde sogar ein „Nationaler Veteranentag“ am 15. Juni eingeführt, die Entschädigung für verwundete Soldaten soll verbessert werden.

Derzeit besteht die Möglichkeit, sich freiwillig zur Bundeswehr oder zu einem „Freiwilligen Sozialen Jahr" zu verpflichten. So kann man nicht nur Pluspunkte für seine spätere Bewerbung sammeln, sondern auch die Chancen auf einen zulassungsbeschränkten Studienplatz erhöhen. Dennoch hat die Bundeswehr weiterhin massive Probleme bei der Rekrutierung neuer Soldaten, obwohl entgegen des Koalitionsvertrages sogar schon 17-Jährige eingezogen werden. Und ich muss gestehen, dass auch ich meinem Sohn sehr eindringlich von einem Dienst bei der Bundeswehr abgeraten habe. Und das war noch vor dem Ukraine-Konflikt.

Dabei habe ich kein grundsätzliches Problem mit bewaffneter Landesverteidigung, ich würde auch persönlich Waffen einsetzen, um meine Familie und mein Eigentum zu verteidigen - wenn ich das denn könnte und dürfte. Mein ganz persönliches Hauptproblem besteht darin, dass ich unser Land in seinem aktuellen Zustand nicht für würdig halte, verteidigt zu werden. Warum sollten junge Menschen ihr Leben für eine Regierung riskieren, die sie so offensichtlich verachtet? Und noch absurder: Warum sollten sie das Risiko eingehen, von dieser Regierung in ferne Länder geschickt zu werden, um ihr Leben oder ihre Gesundheit für fremde Interessen zu opfern? Und das alles für dieses Gehalt?

Einen weiteren interessanten Einblick zum Thema Wehrpflicht findet man hier.

In diesem Sinne bitte ich alle Befürworter einer Dienstpflicht eindringlich darum, noch einmal genauer darüber nachzudenken, was sie ihren Kindern, Enkelkindern und anderen jungen Menschen damit antun. Oder anders gefragt: Würden Sie sich selbst unter den gegebenen Bedingungen zu einem Dienst verpflichten?

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