Unter der Überschrift „Die Russiagate-Lügen" veröffentlichte Matt Taibbi am 12. Januar interne Mails und Memos aus der Twitter-Zentrale, die einen Skandal behandeln, der in der US-Geschichte womöglich bedeutender ist als die Watergate-Affäre Mitte der 1970er Jahre.
„Wenn Sie sich an Watergate erinnern", hatte die Chefredakteurin des The Federalist, Mollie Hemingway, am 14. Februar 2022, geschrieben, „dann handelte es sich um einen Einbruch auf relativ niedrigem Level in ein Büro der Demokratischen Partei und um eine darauffolgende Vertuschung durch das Weiße Haus ... Die Spionage-Operation gegen Donald Trump fand nicht nur während seiner Wahlkampfkampagne statt, sondern man spionierte die Server im Weißen Haus [und] im Trump Tower auch noch aus, als er Präsident war."
Inzwischen ist erwiesen, dass die behauptete Zusammenarbeit der Trump-Kampagne mit Russland im US-Wahlkampf 2016 eine Erfindung war. Es hatte im Wahlkampf „keinerlei geheime Absprachen zwischen Trumps Lager und Russland gegeben". Das stellte der vom Justizministerium der USA im Jahr 2017 eingesetzte Sonderermittler, der ehemalige FBI-Direktor Robert Mueller, der die Aufgabe hatte, eine mögliche Beeinflussung der Präsidentschaftswahl in den Vereinigten Staaten 2016 zu untersuchen, 2019 in seinem Abschlussbericht fest.
Eine angebliche Verbindung zur russischen Alfa Bank und das frei erfundene Steele-Dossier waren damals vom FBI dazu benutzt worden, die richterlichen Beschlüsse zu erwirken, welche für die „Russiagate". genannte Bespitzelung des Wahlkampfteams von Donald J. Trump notwendig waren.
Wie die New York Post am 16. September 2021 schrieb, wurde „ (...) der gesamte Russiagate-,Skandal' von Hillary Clintons Wahlkampagne fabriziert."
Vor diesem Hintergrund steigt das 14. Kapitel der Twitter-Files in jene Vorgänge rund um "Russiagate" ein, die sich ab Januar 2018 abspielten. Wie Matt Taibbi unter Punkt 2 schreibt, war es „ein entscheidender Moment in einem jahrelangen Aufruhr, als die Demokraten einen Bericht über die Mängel bei der Trump-Russland-Untersuchung anprangerten und behaupteten, dieser wäre von russischen ,Bots' und ,Trollen' verstärkt worden."
Am 18. Januar, so Taibbi unter Punkt 5, hatte der damalige republikanische Abgeordnete Devin Nunes dem Geheimdienst-Komitee des Repräsentantenhauses ein klassifiziertes (der Geheimhaltung unterliegendes, Anm. d. Red.) Memo vorgelegt, in welchem detailliert das missbräuchliche Agieren des FBI aufgeführt wurde, mit dem die Behörde von einem FISA-Gericht die Genehmigung zur Überwachung von mit Trump in Verbindung stehenden Personen bekommen wollte, und welches außerdem die entscheidende Rolle thematisierte, die das berüchtigte ,Steele-Dossier' dabei spielte.
Als dieser Bericht im Netz ein enormes Interesse hervorrief und auf Twitter der Hashtag "ReleaseTheMemo" (VeröffentlichtDasMemo) zum Trend wurde, begann der Ansturm der üblichen Verdächtigen auf das Twitter-Hauptquartier. Wobei das Twitter-Management „fassungslos" war, wie Taibbi unter Punkt 3 bemerkt, denn man fand keinen einzigen Beweis für eine russische Einflussnahme. Twitter habe daraufhin sowohl Medien als auch Politiker dahingehend gewarnt, dass nicht nur kein Beweis für deren Behauptungen vorlägen, sondern dass, im Gegenteil, Beweise dafür existierten, dass die betreffenden Accounts eben nichts mit Russland zu tun hätten.
Diese Äußerungen wurden, schreibt Taibbi unter Punkt 4, „komplett ignoriert." Wie er unter Punkt 7 anhand mehrerer Beispiele aufzeigt, verunglimpften die Medien im Januar und Februar 2018 den Nunes-Bericht landesweit „in seltsam identischer Sprache als ,Witz'."
Später, im Dezember 2019, wurden praktisch alle Behauptungen von Nunes in einem Bericht des Generalinspekteurs des Justizministeriums Michael Horowitz bestätigt, doch bis dahin rollte der Machtapparat des Establishments eine gewaltige und im Sinne des Wortes desinformierende Kampagne aus.
Wie unter anderen die hochrangigen Demokraten Senatorin Dianne Feinstein und der Kongressabgeordnete Adam Schiff, die am 23. Januar 2018 gemeinsam in einem offenen Brief, den Taibbi unter Punkt 9 veröffentlicht, erklärten, der Hashtag „ReleaseTheMemo" habe die unverzügliche Aufmerksamkeit und Unterstützung von Social-Media-Accounts erhalten, die mit russischen Operationen zur Einflussnahme verknüpft seien. Sie behaupteten, das Nunes-Memo habe klassifizierte Informationen „verzerrt", allerdings hätten sie diese Informationen bemerkenswerterweise nicht als inkorrekt bezeichnet.
Auch Richard Blumenthal, demokratischer Senator aus Connecticut, verfasste einen, von Taibbi unter Punkt 10 veröffentlichten, offenen Brief, in dem er erklärte: „Wir finden es verwerflich, dass russische Agenten unschuldige Amerikaner so eifrig manipuliert haben."
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Wie Matt Taibbi unter Punkt 11 schreibt, verwiesen sowohl Schiff, Feinstein und Blumenthal als auch sämtliche Medien auf ein und dieselbe Quelle: das Hamilton 68 Dashboard, das vom früheren Beamten der Spionageabwehr Clint Watts unter der Schirmherrschaft der Allianz für Demokratiesicherung (ASD) gegründet worden war.
Unter den Punkten 13 bsi 16 zeigt Taibbi auf, dass das Twitter-Management das Hamilton 68 Dashboard sowie die ASD äußerst kritisch sah. Von Emily Horne über Yoel Roth bis hin zu Carlos Monje zeigen interne Mails eine immense Skepsis gegenüber beiden Organisationen. Dafür gab es offenbar zwei Gründe: einerseits der Fakt, „jedermanns einzige Quelle zu sein", und andererseits das Unbehagen darüber, dass „sich niemand mit Twitter absprach."
Roth konnte jedenfalls keinerlei russische Verbindung zum Hashtag „ReleaseTheMemo" finden. „Ich habe soeben die Accounts überprüft, welche die ersten 50 Tweets mit dem Hashtag gepostet haben, und ... keiner von denen zeigt irgendein Anzeichen für eine Verbindung zu Russland", schreibt er in einer Mail vom 24. Januar.
Wie unter den Punkten 19 bis 23 dokumentiert wird, versuchte Twitter in der Folge, u.a. mit Feinstein und Blumenthal wegen der offenkundigen Widersprüche zwischen der behaupteten russischen Einflussnahme und den realen Fakten ins Gespräch zu kommen. Doch die Versuche blieben erfolglos. Unter Punkt 27 schreibt Taibbi:
„Am Ende sprachen die leitenden Angestellten davon, sie würden ,Kongress-Trolle' füttern, und verglichen ihre Situation mit dem Kinderbuch ,Wenn man einer Maus einen Keks gibt'." Bei dieser Geschichte ginge es darum, dass eine Maus, die einen Keks bekommt, ein Glas Milch haben wollen wird, und dass es danach zu weiteren ermüdenden Forderungen kommt, an deren Ende stets ein Glas Milch stehen wird – und ein weiterer Keks. Diese Metapher für die endlosen Russland-Anfragen, so Taibbi unter Punkt 29, habe derart perfekt gepasst, dass ein Manager schrieb: „Ich schäme mich regelrecht, dass ich daran nicht als Erstes gedacht habe."
Obwohl intern also die absolute Überzeugung herrschte, dass es in dieser Geschichte keine Russen gab, habe Twitter schließlich sein „sklavisches Muster" weitergeführt, um wegen der Russland-Anschuldigungen nicht in Verruf zu geraten, schreibt Taibbi unter Punkt 30. Beraterfirmen wie Debevoise und Plimpton rieten Twitter zu Sprachregelungen wie: „Im Hinblick auf bestimmte Hashtags nehmen wir jedwede Aktivität, welche eine Verletzung unserer Plattform darstellen könnte, sehr ernst." Was zur Folge hatte, dass Journalisten von AP, Politico, NBC, dem Rolling Stone u.v.a.m. auch weiterhin das Thema der „russischen Bots" ausschlachteten, wenngleich es keinen einzigen Beweis dafür gegeben habe.
Matt Taibbi bat all jene Medienunternehmen, welche „die Story über ,russische Bots' [hochgespielt haben]", um einen Kommentar. Alle hätten abgelehnt, schreibt er unter Punkt 35. Ebenso wie der Stab von Feinstein, Schiff und Blumenthal. Nur einer habe sich geäußert, Devin Nunes:
„Schiff und die Demokraten behaupteten fälschlicherweise, die Russen hätten hinter dem Hashtag ReleaseTheMemo gesteckt, hinter all meiner investigativen Arbeit ... Um den Schwindel von der russischen Verschwörung zu verbreiten, zettelten sie eine der größten Aktionen zur Irreführung der Massen in der US-amerikanischen Geschichte an."
Und Taibbi selbst bemerkt abschließend:
"Diese Episode ReleaseTheMemo ist nur eine von vielen im Rahmen der Twitter-Files. Der Russiagate-Skandal basierte auf der feigen Unehrlichkeit von Politikern und Reportern, die über Jahre hinweg die Abwesenheit von Fakten zugunsten erfundener Schreckensschlagzeilen ignorierten."
Oberflächlich betrachtet, beleuchtet dieses Kapitel tatsächlich nur ein weiteres Beispiel für die massive Einflussnahme der US-Demokraten auf eine der wichtigsten Kommunikationsplattformen weltweit. Auf Grund eines gewissen Gewöhnungsprozesses kann schnell der Blick dafür verloren gehen, dass es sich hierbei jedoch um die Verletzung einer zentralen, in der Verfassung festgeschriebenen, bürgerlichen Freiheit handelt. Einer Freiheit, die allein schon deswegen von enormer Bedeutung ist, weil alles, was nicht gesagt werden darf, auch nicht diskutiert und am Ende nicht einmal mehr gedacht wird. Insofern ist die Rede- und Meinungsfreiheit der Grundpfeiler der Freiheit als solcher und jede Verletzung ein elementarer Angriff auf das Selbstbestimmungsrecht der Menschen.
Doch darüber hinaus bringt dieses 14. Kapitel das brisante Thema des Russiagate-Skandals zurück in den Fokus der Öffentlichkeit. Bei diesem geht es selbstverständlich durchaus um Donald J. Trump, den 45. Präsidenten der USA, gleichzeitig aber um etwas sehr viel Bedeutsameres: Der Russiagate-Skandal ist seinem Wesen nach ein FBI-Skandal, der dadurch gekennzeichnet ist, dass eine Regierungsbehörde durch einflussreiche Akteure wie eine Waffe dafür genutzt wird, den politischen Gegner auszuschalten. Das englische Wort für diesen Vorgang lautet „Weaponization".
Laut ABC News hat das neu gewählte US-Repräsentantenhaus am vergangenen Dienstag dafür gestimmt, „(...) einen neuen Ausschuss [einzurichten], der das untersuchen soll, was die Republikaner die ,„Weaponization der Bundesregierung' nennen", wobei der Artikel explizit das Justizministerium und das FBI erwähnt.
Es ist davon auszugehen, dass beispielsweise ein Mann wie Jim Baker, der ehemalige Chefjustiziar des FBI, der später eine ähnliche Position bei Twitter bekleidete, weder an der einen noch an der anderen Stelle ausschließlich aus eigener Motivation heraus gehandelt haben dürfte. Die Frage ist, wer die Anweisungen gegeben hat. Und womöglich wird eben diese Frage spätestens vom neuen Untersuchungsausschuss des Repräsentantenhauses beantwortet werden.
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