Wer die Geschichte auch nur ein wenig kennt, stellt sich die Frage: Warum die Juden?

Der 11. September Israels

von Julian Adrat (Kommentare: 8)

Karl Lagerfeld: „Man kann nicht sechs Millionen Juden töten, dann Millionen ihrer schlimmsten Feinde ins Land holen.“© Quelle: Youtube / BR, Screenshot

Eins vorweg: In jedem Krieg gibt es Kriegsverbrechen. Aber doch muss festgehalten werden: Wenn es stimmt, dass Babys die Köpfe abgeschnitten wurden in einem überfallenen Dorf, wo kein Militär anwesend war, ist das eine Grausamkeit, für die es keine Worte gibt. Außer satanisch.

Wir sind alle leider ziemlich abgehärtet oder abgestumpft. Der Ukraine-Krieg war der erste Krieg, den die Menschen auf der Wohnzimmercouch mitverfolgen konnten, auf TikTok, auf Twitter. Als es losging, war ich nirgends mehr als auf TikTok.

Die Klassenlehrerin meines 15-jährigen Stiefsohnes schrieb eine Rundmail, wo sie auf die Szenen hinwies, die auf dem Schulhof geschaut wurden. Nie zuvor waren echte Kampfhandlungen, ungefiltert, zum Teil sogar in Echtzeit, weltweit verfügbar gewesen. Viele von uns werden in den letzten anderthalb Jahren mehr Bilder von Toten, mehr echtes Blutvergießen gesehen haben als unsere Vorfahren seit dem zweiten Weltkrieg zusammengenommen.

Viele sprechen vom 11. September Israels, oder von Pearl Harbor. Menschenleben in Zahlen zu packen, ist immer widerlich, aber um ein gesellschaftliches Trauma verständlich zu machen, lohnt sich der Vergleich: Der Verlust von 1000 Menschen ist für Israel, als wären in den USA 50 000 Amerikaner an einem Tag ums Leben gekommen.

Wer die Geschichte auch nur ein wenig kennt, muss sich die Frage: Warum die Juden?

Am Pessach-Fest, wo dem Auszug des Volkes Israel aus Ägypten gedacht wird, spricht der Jude aus der Haggadah folgenden, wohl über zweitausend Jahre alten Satz:

„Denn nicht nur ein Feind hat sich gegen uns erhoben, um uns zu zerstören, sondern in jeder Generation erheben sie sich gegen uns, um uns auszulöschen. Gräueltaten begleiten das Volk Israel von Anbeginn.“

In Exodus 1, 19 heißt es:

„Die Hebammen antworteten dem Pharao: Die hebräischen Frauen sind nicht wie die ägyptischen, denn sie sind voller Leben. Bevor die Hebamme zu ihnen kommt, haben sie schon geboren. 20 Gott verhalf den Hebammen zu Glück; das Volk aber vermehrte sich und wurde sehr stark. 21 Weil die Hebammen Gott fürchteten, gab er ihnen Nachkommen. 22 Daher gab der Pharao seinem ganzen Volk den Befehl: Alle Knaben, die den Hebräern geboren werden, werft in den Nil! Die Mädchen dürft ihr alle am Leben lassen.“

Fabian Schmidt-Ahmad analysiert sehr treffend in der "Jungen Freiheit" die Situation Israels:

„Wäre Israel nicht ein Einwanderungsland, würden sich nicht Jahr für Jahr Juden in der Welt für die israelische Idee begeistern, sprächen heute bereits die meisten seiner Staatsbürger arabisch. […] so verschiebt die Demographie als unbarmherzige Richterin der Völker die Machtverhältnisse zuungunsten des jüdischen Bevölkerungsanteils. Israels militärische Antwort wird hart sein und sie wird so lange andauern, bis sie die israelische Regierung für beendet erklärt. Doch an den grundlegenden Machtverschiebungen wird auch der Gegenschlag nichts ändern. Auch nach seinem Ende wird die Araberin weiterhin mehr Kinder gebären als ihre jüdische Schwester.“

Wer offene Augen hat, wird diese einfache Wahrheit auch hierzulande einsehen. Ein gutes Beispiel: Das Video, das den 61-jährigen Lehrer in Berlin-Neukölln zeigt, der vom 14-jährigen muslimischen Teenager auf dem Schulhof niedergetreten wurde, als er ihm eine palästinensische Flagge abnehmen will. Die ethnische Zusammensetzung des umstehenden johlenden Publikums kann sich jeder vorstellen. Selbst Grüne.

Karl Lagerfeld hatte Recht: Man kann nicht sechs Millionen Juden töten und dann Millionen ihrer schlimmsten Feinde ins Land holen. Ein weiteres irres Gedankenspiel an dieser Stelle: Hätten wir 2015 die Grenzen kontrolliert, könnten wir heute den kompletten Gaza-Streifen aufnehmen und hätten noch immer weniger junge muslimische Männer im Land.

Auf die Gefahr hin zu spoilern: Mose, den seine Mutter in einem Korb auf dem Fluss aussetzt, in der Hoffnung, dass er dem Tod entgeht, wird ausgerechnet von der Tochter des Pharao gefunden und im Palast großgezogen. Er ist es, der letztlich das Volk Israel aus der Gefangenschaft führt. Wobei es nach neun Plagen erst die zehnte ist, die den Pharao überzeugt, nämlich, als der Würgeengel umhergeht, und alle erstgeborenen Söhne der Ägypter tötet.

Während ich diesen Artikel schreibe und hin und her swappe zwischen Schreibprogamm und X, stoße ich auf das Video eines Vaters, der seinen vielleicht vier Jahre alten Sohn dazu anhält, Steine auf fünf schwer bewaffnete israelische Soldaten zu werfen, dabei die palästinensische Flagge im Arm hält, und dem Jungen zuruft: „Lass dich erschießen.“ Wer Exodus kennt, mag sich darüber sogar wenig verwundern, denn nicht einmal der Verlust des eigenen Sohnes stellt den Pharao ruhig. Kurz nachdem das Volk Israel ausgezogen ist, zieht er ihm hinterher.

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Und wieder ein Spoiler-Alarm:

„Darauf sprach der HERR zu Mose: Streck deine Hand über das Meer, damit das Wasser zurückflutet und den Ägypter, seine Wagen und Reiter zudeckt! 27 Mose streckte seine Hand über das Meer und gegen Morgen flutete das Meer an seinen alten Platz zurück, während die Ägypter auf der Flucht ihm entgegenliefen. So trieb der HERR die Ägypter mitten ins Meer. 28 Das Wasser kehrte zurück und bedeckte Wagen und Reiter, die ganze Streitmacht des Pharao, die den Israeliten ins Meer nachgezogen war. Nicht ein Einziger von ihnen blieb übrig. 29 Die Israeliten aber waren auf trockenem Boden mitten durch das Meer gezogen, während rechts und links von ihnen das Wasser wie eine Mauer stand. 30 So rettete der HERR an jenem Tag Israel aus der Hand der Ägypter. Israel sah die Ägypter tot am Strand liegen. 31 Als Israel sah, dass der HERR mit mächtiger Hand an den Ägyptern gehandelt hatte, fürchtete das Volk den HERRN. Sie glaubten an den HERRN und an Mose, seinen Knecht. (Exodus 14)“

Um das Ganze abzurunden: Auch Jesus entgeht einem Massaker an Kindern. Als König Herodes von den Weisen aus dem Morgenland erfährt, dass ein König geboren wurde, lässt es alle Babies im Land töten. Baby Jesus entgeht diesem Schicksal, weil seine Familie - man halte sich fest - nach Ägypten flieht.

Neid ist ein großer Faktor hier. Eine Geschichte aus der Bibel beschreibt es gut: Isaac war in der Lage, Brunnen zu graben und wurde dadurch reich, und als andere Leute vorbeikamen, zerstörten sie die Brunnen, anstatt zu lernen, wie man sie gräbt. Wer von Hass redet, verkennt oft, dass Hass allein nicht reicht, nie selbstgenügsam ist, sondern ein Objekt braucht, ein Treibmittel sozusagen, das oft Neid ist. Wer sich dann vor Augen hält, dass Israel Wüste in fruchtbares Land verwandelt hat, dass sie in der Wüste keinen Wassermangel haben (im Gegensatz zu Kalifornien zum Beispiel, oder Spanien in heißen Sommern), und dann die Israel umgebenden zivilisatorischen schwarzen Löcher betrachtet, in deren heiligen Büchern Juden nicht sonderlich gut wegkommen, gelinde gesagt, erschrickt über folgender Erkenntnis:

Hass wird schlimmer, wenn es dem Hassenden schlecht geht. Und er wird nochmal schlimmer, wenn es dem Objekt des Hasses besonders gut geht. Beides zusammen ist eine tödliche Mischung. Offensichtlich.

Zwei Tage nach dem Angriff der Hamas war „Tag der indigenen Völker“. Denis Prager, ein jüdischer, amerikanischer Radiomoderator erklärte mit trauriger Stimme, dass Juden in der Region Muslimen um 2500 Jahre vorangingen, und dass die Römer den Begriff „Palästina“ erfanden, nachdem sie Jerusalem zerstört hatten. Auch er geht der Frage nach „Warum die Juden?“

Und er zitiert den katholischen Priester und Historiker Edward Flanery: „Es war das Judentum, das das Konzept einer von Gott gegebenen universalen Moral in die Welt brachte. Sie tragen die Bürde Gott durch die Geschichte und dafür wurde ihnen nie vergeben.“

Denis Prager zitiert weiter den Philosophen Ernest van den Haag:

„Fundamental für den Antisemitismus eines Nichtjuden, selten explizit und bewusst, ist die Feindseligkeit gegenüber dem jüdischen Glauben an einen Gott, einem Glauben, dem sich Antisemiten sehr widerstrebend beugten und dem sie nie aufhörten Widerstand zu leisten. Antisemitismus ist eine Form, die dieser Widerstand annimmt. Diejenigen, die diese belastende Religion hervorgebracht haben, […] wurden das Ziel des Ressentiments, denn wenn man sich nicht wagen darf, feindselig gegenüber einem allmächtigen Gott zu sein, dann wenigstens denen gegenüber, die ihn hervorgebracht haben und denen, denen er sich offenbart hat.“

Als katholischer Spät-Konvertit und Sünder will ich enden mit einem jüdischen Witz:

„Grün geht zur Beichte in die Ruprechtskirche und sagt zum Priester: ,Vater, ich bin achtzig Jahre alt, verheiratet, habe vier Kinder und elf Enkelkinder, und letzte Nacht hatte ich eine Affäre mit zwei achtzehnjährigen Mädchen. Ich hatte Sex mit beiden ... zweimal!' Darauf der Priester: ,Also mein Sohn, wann warst Du das letzte Mal bei der Beichte?' - „Nie, Vater, ich bin Jude.“ - „Also, warum erzählst Du mir das denn?“ - „Ich erzähle es jedem!“

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