Eine Buchbesprechung von Bettina Röhl und Wolfgang Brümmer

Das „Konservative Manifest“ von Jordan B. Peterson greift sehr kurz

von Bettina Röhl und Wolfgang Brümmer (Kommentare: 8)

„Eine tiefgreifende Sinnkrise erschüttert, destabilisiert und entmutigt derzeit die souveränen Bürger des Westens und die gesellschaftlichen Institutionen, auf die wir angewiesen sind.“© Quelle: Quelle Fontis Verlag

Im Frühjahr 2023 ist das sogenannte „Konservative Manifest“ des kanadischen klinischen Psychologen Jordan B. Peterson im fontis-Verlag auf Deutsch erschienen.

Es ist nicht das erste Buch von Peterson, das auf Deutsch erscheint. Jordan B. Peterson, 1962 in Kanada geboren, war von 1997 bis 2022 an der Universität von Toronto Professor für Psychologie und klinischer Psychologie. Er ist ein hervorragender Redner, fast schon ein Prediger. Sein Redetalent ist durchaus mit dem von Obama zu vergleichen, der ein phantastischer Redner war, allerdings leider zu viele willkommene Sprechblasen („Yes, we can“, „Change“ et cetera) ablieferte.

Peterson versucht dagegen mit Vorträgen über Psychologie und aus seinem großen psychologischen Fundus einen realen Beitrag für die Abgehängten und systemisch an den Rand gedrängten Menschen, „excluded men“ nennt er sie gelegentlich, zu leisten. Ganz nach seinem Vorbild, dem russischen Schriftsteller Dostojewsky, wendet er sich immer wieder den „Erniedrigten und Beleidigten“ zu. Hier eine der typischen, spannenden Vorlesungen von Jordan Peterson:

Jordan Peterson on the meaning of life for men. MUST WATCH - YouTube

Seit ca. 2013 stellt Peterson seine Vorlesungen an der Universität bei Youtube online, was ihm bereits im Jahr 2017 den eine Millionsten Follower brachte, 2018 veröffentlichte er seinen Bestseller „12 Rules of Life“, in dem er zum Beispiel anhand des Verhaltens von Hummern zu erklären versucht, dass hierarchisches Verhalten Milliarden Jahre alt ist.

Seine Bücher und Lesungen machten Jordan B. Peterson zu einem der bekanntesten Psychologen und Lebensberater in der westlichen Welt, in hunderten von Interviews, Podcasts und Videos ist Peterson in den letzten fünf Jahren kontrovers befragt worden, trat vor Tausenden von Menschen auf und erhöht die Zahl seiner Follower von Jahr zu Jahr.

Weiterlesen nach der Werbung >>>

Ihre Unterstützung zählt

Mit PayPal

Aktuell veröffentlicht er seine Lectures und Videos auf der Plattform Daily Wire, tourt durch die Welt, wo er Vorträge vor großem Publikum hält, und bietet auf seiner Website zum Beispiel Persönlichkeitskurse für 99 Dollar an. Im Jahr 2022 verließ er die Universität freiwillig unfreiwillig nach einem Gender-Dissenz. In diesem aktuellen Video erfährt man Näheres über den aktuellen Status und die nächsten Pläne von Jordan Peterson:

College of Psychologists vs Jordan B Peterson | Mikhaila Peterson | EP 322 - YouTube

Jordan B. Peterson gilt als einer der vordersten Kritiker gegen den Wokismus und das Egalitätspostulat. Er gilt als eines der bekanntesten Opfer der sogenannten Cancel-Culture und es ist ein erschreckendes Faktum: Er braucht - letztlich wegen nichts anderem als der Ausübung der Meinungsfreiheit und freier Rede - Bodyguards.

Vieles klingt richtig, aber die reale Kontextualisierung fehlt

In seinem aktuell in Deutschland erschienenen Büchlein „Konservatives Manifest“ will Jordan B. Peterson auf ca. fünfzig Buchseiten mit wenigen Worten eine kurze Analyse des Ist-Zustandes des Westens skizzieren sowie die Eigenschaften, Fähigkeiten und Handlungen benennen, die seiner Meinung nach notwendig wären, um die Menschen aus einer fatalen, nihilistischen, zerstörerischen Desorientierung in ein wertebasiertes, auf Leistung und Belohnung und soziale Verantwortung aufbauendes Leben (zurück) zu führen.

Ein gigantisches Anliegen, hier an die Konservativen und Traditionalisten im Land gerichtet, quasi als Ratschlag, Lebenshilfe und Handlungsanweisung, an dem das Buch scheitert.

Schon der Titel „Konservatives Manifest“ ist irreführend, denn es gibt in dem Buch keine Definition von Konservativismus, und die sehr pauschal angerissenen Probleme sind keine Probleme der Zeit, sondern Probleme, die so alt sind, wie die Menschheitsgeschichte.

Zitat Jordan Peterson aus dem „Konservativen Manifest:

„Eine tiefgreifende Sinnkrise erschüttert, destabilisiert und entmutigt derzeit die souveränen Bürger des Westens und die gesellschaftlichen Institutionen, auf die wir angewiesen sind. Diese Krise hat sich zunehmend auf den Rest der Weltbevölkerung ausgeweitet, sie stiftet Verwirrung und sät Mißtrauen – anstelle von freiwilliger Zusammenarbeit und friedlichem Wettbewerb. Diese Krise ist in erster Linie Folge eines zersetzenden Zweifels, gesät nicht zuletzt durch eine gleichgültige Haltung gegenüber unseren Werten, Zielen und Handlungsgrundsätzen – jenen Grundsätzen, die uns bisher inspiriert, geleitet und gestärkt haben. (…) Was können diejenigen von uns, die versuchen, an den traditionellen Werten unserer Vergangenheit festzuhalten und einen unerschütterlichen Glauben an sie zu demonstrieren, in solchen Zeiten anbieten? Nicht den unüberlegten und zweckdienlichen Appell an Zynismus und Bitterkeit verbunden mit der Feststellung, dass unsere sozialen und politischen Institutionen von Grund auf unzuverlässig, korrupt und vertrauenswürdig seien. Nicht die harsche und verurteilende Ermahnung der Forderung, einen Moralkodex anzunehmen und aufrechtzuerhalten, der nur durch Freudlosigkeit, Sterilität und Neigung zu Verbot und Verdammung besticht. Sondern die selbstbewußte und unerschrockene Weitergabe der vergessenen ewigen Wahrheiten an all jene, die derzeit ohne diese umherirren, die in diesem Mangel dürsten und hungern.“

Vom Grunde her klingt hier manches richtig, aber die reale Kontextualisierung fehlt. Die aus den USA stammende Neue Linke mit ihren Bezügen zur Mao Tse Tungs Kulturrevolution hat in der Tat die westlichen Demokratien geistig-politisch in Teilen entkernt.

Der „zersetzende Zweifel“, von dem Peterson spricht, ist historisch auf Marx, auf Mao und die Ideen des Kommunismus zurück zu führen. Und auf die große popkommunistische 68er-Revolte, die ihren kulturellen Sieg von „Revolution“, „Sex, Drugs and Rock’n Roll“ bis hin zu „We don’t need no education“ seit fünfzig Jahren in Wellen und mit immer neuem Personal und neuen Themen durch die westlichen Demokratien trägt.

Während Peterson in vielen Lesungen und Reden auf die Verbrechen von Lenin, Stalin, Mao und anderen kommunistischen Führern klar hinweist und sie in Korrelation zum Völkermörder Hitler setzt, und seine Reichweite nutzt, (Jordan Peterson - People Who Still Celebrate Lenin - YouTube) erwähnt Peterson die große Kulturevolution von 1968, die sich seit den sechziger Jahren im Westen ausbreitete und in die er selber als Kind hineinwuchs, selten, obwohl sie wohl mit Abstand die destruktivste geistige Kraft im Westen wurde.

The new left: Entwertung um ihrer selbst willen

Entwertung um ihrer selbst Willen, ohne Alternativen bereit zu stellen, das war die Agenda der Neuen Linken, die sich seit 1959 an Ho Tschi Minh und Mao Tse Tung orientierten. Das große amerikanische Trauma Vietnam ist nie ernsthaft aufgearbeitet worden. Und noch weniger hat die Realität je eine Chance gehabt, dass der in den sechziger und siebziger Jahren im Westen als Volksbefreiungsarmee bejubelte stalinistisch-maoistische Vietcong ein menschenverachtendes Terrorregime war, das nach dem Abzug der amerikanischen Armee 1975 in Südvietnam gegen die Zivilbevölkerung mörderisch wütete. Millionen Südvietnamesen flüchteten aufs Meer, Boatpeople genannt, und die westlichen Vietnam-Phantasten haben bis heute ihre Irrtümer nicht offengelegt.

Das große Thema des verbrecherischen Vietnamkrieges soll hier nicht aufgemacht werden. Ebenso wenig sollen die Verbrechen der Amerikaner oder ihres Marionettenregimes in Saigon in Vietnam klein geredet oder relativiert werden. Die Amerikaner haben in Vietnam wahrscheinlich alles falsch gemacht, was man falsch machen konnte. Hier geht es lediglich um die systemische Asymmetrie der Wahrnehmung mit bis heute nachwirkenden Folgen: Mao, Tschi Minh und der Kommunismus gut, der Kapitalismus, der Westen und die USA böse. So wie es sich in Millionen Köpfe eingebrannt hat.

Es geht nicht um „vergessene ewige Wahrheiten“, wie Peterson es nennt, sondern es geht um eine permanente Verirrsinnigung, die in den westlichen Gesellschaften Platz greift, die Ende der fünfziger Jahre ihren Anfang nahm und bis heute ungebremst weitergeht, eine Verirrsinnigung, die von großen Teilen des politischen Establishments im ganzen Westen für „Normal Null“ erklärt wird; heute mit großer Unterstützung von globalen NGOs, Tec-Giganten und einem Heer auch zu Gewalt und Kriminalität bereiter Aktivisten.

Das alles zu qualifizieren und zu quantifizieren ist eine Herkulesaufgabe, die nicht mit ein paar abstrakten Wörtern, die analytisch nicht greifen, angepackt werden kann.

Weiterlesen nach der Werbung >>>

Ihre Unterstützung zählt

Mit PayPal

Entsprechend wirken auch die Handlungsanweisungen, die Peterson anbietet, hilflos im Raum schwebend, ohne historische, politische oder ökonomische Herleitung, ohne faktische Substanz und ohne irgendeine Konkretisierung.

Zitat Jordan B. Peterson aus dem „Konservativen Manifest“:

„Welche Werte, die für das konservative Temperament von überragender Bedeutung sind, schreien derzeit nach Wiederentdeckung Rückbesinnung und Aneignung? Eine zwangsläufig unvollständige, aber unbedingt notwendige Liste könnte Folgendes beeinhalten: Demut, Freiheit, Autonomie, Wahrheit, Handlungsfähigkeit, Identität, Leistung, Verantwortung, Tradition, Gemeinschaft, Schöpfungsverantwortung, Gerechtigkeit und Einigkeit. Dieser Aufzählung hinzufügen könnte man eine Reihe von Thesen über die wahre Natur und Quelle absoluter Entbehrung, die Unvermeidbarkeit wirtschaftlicher Ungleichheit und die praktischen Gegebenheiten der individuellen Kompetenz, von der die psychische Gesundheit des Einzelnen und der Zusammenhalt der Gesellschaft gleichermaßen und wechselseitig abhängen.“

Und in dieser Reihenfolge sind dann die einzelnen Kapitel überschrieben; Demut, Freiheit, Autonomie usw. , die willkürlich aneinandergereiht erscheinen und per se weder Mut machen noch irgendetwas erklären.

Was zum Beispiel ist die immer wieder zitierte „erlösende Wahrheit“?

Und was soll wer mit dieser Behauptung anfangen, die auf S. 28 steht: „Die Ehe, nicht die sexuelle Befriedigung, ist das angemessenste Ziel der Liebe“.

Wer eine grundsätzlich als links dominiert erkannte Diskurshoheit aufbrechen will und dieser von der konservativen Seite etwas entgegensetzen möchte, geht mit diesem Buch als „Argumentationshilfe“ unter dem Arm baden und macht sich zum Gespött seiner politischen Gegner.

Die von Jordan B. Peterson beklagte Orientierungslosigkeit des Westens ist real. Aber sehr viel komplexer begründet. Ein Abrakadabra-Buch kann die Welt so nicht wieder auf die Füße stellen.

Weiterlesen nach der Werbung >>>

Ihre Unterstützung zählt

Mit PayPal

Bettina Röhl und Wolfgang Brümmer sind gemeinsame Autoren der beiden historisch-biographischen Bücher

„So macht Kommunismus Spaß“ über die kommunistische Unterwanderung aus Ostberlin und Moskau in den fünfziger und sechziger Jahren in der Bundesrepublik. 2006 erschienen bei EVA

„Die RAF hat Euch lieb Die Bundesrepublik im Rausch von 68“ über den politischen Paradigmenwechsel von 1968 durch die große Kulturrevolution in China“, 2018 erschienen im Heyne-Verlag

Die beiden Autoren veröffentlichten 2013 den damals viel beachteten Artikel in der „Wirtschaftswoche“ mit dem Namen „Der Himmel ist konservativ“, der zuvor in einem Buch mit dem Titel „Was ist konservativ“, in dem die gesamte politische Elite von Angela Merkel über Helmut Kohl bis Martin Walser und Johann Wolfgang von Goethe (posthum) ihren Beitrag zu dem Thema in kurzen oder längeren Worten beschrieben hat, veröffentlicht worden war.
Check this out!

Bettina Röhl direkt: Was ist konservativ?

Einen Kommentar schreiben

Sie müssen sich anmelden, um Kommentare hinzuzufügen. Aufgrund von zunehmendem SPAM ist eine Anmeldung erforderlich. Wir bitten dies zu entschuldigen.

Kommentare