Auch wenn die meisten Deutschen glauben, dass vor allem bei Türken oder Arabern die Familien viel besser funktionieren, ist seit langem auch bei vielen Migranten eine Art familiärer Zerfall zu beobachten.
Nur nach außen wird alles gegeben, um ja stark gegen „äußere Feinde“ zu wirken. Das ist ein kulturelles Ding oder eine Mentalität, die nicht selten nach hinten losgehen kann, weil es oft keine äußeren „Feinde“ mehr gibt. Und so beginnen die Kämpfe eben im Inneren, eine Selbstzerfleischung bis hin zur Spaltung und zum Zerfall der überlieferten Familienstrukturen.
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Meine Cousine hat nach langen Jahren des Leidens den Kontakt zu fast allen in der Familie abgebrochen. Nein, nicht wegen Ehre oder sonstigen Klischees, sondern aus ganz „normalen Gründen“. Statt der toxischen Familienbeziehungen wollte sie ein anderes Leben führen als das, was sie kannte. Und mit ihrem Kind und einem sie liebenden Mann schaffte sie auch den Absprung. Sie ist eine sehr kluge und gebildete Frau.
„Redest Du mit dem Kleinen kein türkisch, Selda?“, fragte ich sie. Denn mir ist aufgefallen, dass der Kleine mich nicht richtig verstand, wenn ich mit ihm türkisch sprach.
„Ein bisschen, Ates, ich geb mir Mühe, aber deutsch fällt mir leichter. Du weißt, Daniel spricht auch nur deutsch und es ist nun mal unsere gemeinsame Familiensprache“, antwortete sie. Und ich spürte in dem Moment einen Schmerz in mir, der von ihrem rechtfertigenden Ton auszugehen schien.
Zu gut erinnerte ich mich an den verachtenden Blick von Verwandten oder anderen Türken, wenn diese feststellten, dass mein Türkisch insgesamt „für den Arsch“ war, ich es aber irgendwie doch gelernt hatte, aber nur Gott weiß, wieso. Meine Cousine Selda spricht viel besser türkisch als ich und ich war verwundert.
Sie hatte wohl öfters diese Frage gestellt bekommen. So zumindest meine Vermutung. Ich sparte mir also das „Vielsprachigkeit ist ein Geschenk“-Gelaber und wollte das Thema wechseln und mit ihr über Kitas sprechen, als sie plötzlich fortfuhr:
„Ich lebe in Deutschland, Ates. Klar, türkisch gehört zu uns. Auch zu ihm“, sagt sie und zeigte auf den Jungen, „aber ich fühle es nicht mehr. Das merkt der doch.“
Puh, dachte ich. Keine Ahnung. Denn wenn man selbst kinderlos ist, weiß man so vieles nicht über Kinder. Nur eines weiß ich: Wenn man Kinder hat, dann ist man, ob man es will oder nicht, offiziell erwachsen geworden. Und jeder, der sich dagegen wehrt, gibt kein gutes Elternteil ab. Aber was weiß ich schon. Ich nickte also und fragte sie, wie die Kita ist, die der Kleine seit drei Monaten besucht.
„Super, er hat sich super eingelebt. Aber wir werden wohl oder übel wechseln zu einem privaten Laden“, sagte sie mir und sah plötzlich aus, als hätte sie etwas verbrochen und als schäme sie sich dafür.
Sie rührte weiter mit dem Löffel in ihrer Tasse mit stinknormalem löslichen Kaffee, und ich fragte mich, ob ihr mein löslicher Kaffee überhaupt schmeckt. Und während sie rührte, schaute sie zu dem Kleinen, der fröhlich auf der Couch hüpfte.
„Ich habe wirklich lange mit mir gehadert, wirklich lange überlegt, aber das geht nicht. Die Erzieher sind sehr gut zu ihm, vor allem seine Haupterzieherin. Aber dieses Multikulti-Ding...“
Bei dem Begriff „Multikulti“ wurde meine Neugierde größer. Sie fuhr fort:
„Die Kita liegt quasi in einem Brennpunkt. Ja, Ates, es sind Kinder. Kinder! Ich weiß das! Die können nix dafür und natürlich ist es ein Segen für so manche, die neu hierhergekommen sind, ein Segen, dass man speziell auf sie eingeht, weil sie ja noch gar kein Deutsch sprechen. An Bayram, als ich den Kleinen abholte, waren von zwanzig Kindern nur drei da! Kannst Du Dir vorstellen, was das heißt ?!“, sagte sie mit empörter Stimme und ich raffte gar nichts.
„Nein, Selda, ich weiß nicht“, sagte ich und schaute sie fragend an.
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„Na, dass die alle Zuhause geblieben sind wegen Bayram, Ates. Das ist ja nix Schlimmes, aber unterm Strich bedeutet es nichts anderes, als dass drei von zwanzig keine Muslime sind. Eines der drei Kinder war nur an dem Tag in die Kita, weil die Mutter zwar auch Muslima ist, aber eben arbeiten muss. Das ist kein Multikulti, Ates! Was soll mein Kleiner da lernen ? Die Kinder können alle kein richtiges Deutsch. Die wechseln untereinander immer sofort ins Arabische, Afghanische oder Türkische. Und so glaubt mein Junge, dass ausgerechnet ihm sprachlich Fähigkeiten fehlen, anstatt andersherum. Nein, ich habe nichts dagegen, dass er andere Kulturen kennenlernt. Bitte versteh mich nicht falsch. Aber selbst die Erzieher sprechen teilweise schlechtes Deutsch. So viele tragen Kopftuch in der Kita, weil sie extra eingestellt wurden, um auf diese Kinder in ihrer Muttersprache einzugehen. Mein Junge lernt Zuhause deutsch, und ja, auch Türkisch, aber das?! Es sind Kinder, Ates, ich weiß … es tut weh, aber sie kommen aus den schlimmsten Verhältnissen, tragen dreckige, kaputte Kleider. Dafür können sie nichts, ich weiß das doch!“
Plötzlich entwich ihr eine Träne aus dem Auge, die sie schnell wegwischte.
„Ates, nicht mal ich oder Du sind so aufgewachsen! Wie soll ich mein Kind in solchen Kreisen aufwachsen lassen? Du weißt ganz genau, selbst meine Mutter wäre durchgedreht, wenn sie diese Kita von innen gesehen hätte. Und sie hätte mich fertig gemacht, wie ich meinen Sohn dahin schicken könnte! Die Kinder fangen von null an! Wozu haben wir uns den Arsch aufgerissen? Damit auch unsere Kinder wieder von null anfangen? Nicht mal das, ich würde ihn erst mit diesen Kreisen vertraut machen, Ates! Ab jetzt prägt das Umfeld dieses Kind. Soll ich ihn bewusst nach unten anpassen? Das ist kein Multikulti, verdammt! Wo sind denn die französischen Kids, die amerikanischen, die italienischen, die spanischen, die österreichischen oder meinetwegen die japanischen Kinder? Es gibt keine. Alles arabisch, afghanisch und ein bisschen Türkisch. Und jetzt kann ich monatlich 350 statt 120 Euro zahlen, nur weil ich will, dass er ein klein wenig gefördert wird. Ja, das mach ich! Früher war das, wofür wir heute tief in die Tasche greifen, NORMAL! Weißt Du, wie beschissen ich mich fühle, Ates?! Es ist als würde ich meinen eigenen Sohn vor der Generation unserer Eltern schützen wollen! Ich bin jetzt die Fremdenfeindliche! Ich fühle mich beschissen, ich habe so oft geheult. Gleichzeitig weiß ich, dass es das Beste für meinen Sohn ist!“
Ich schluckte und starrte zum Kleinen. Er wirkte gerade so entspannt. Ganz anders als seine Mutter. Scheinbar gab es noch viel mehr, was man nicht wissen kann, wenn man keine eigenen Kinder hat. Aber ich weiß, sie ist eine gute Mutter.
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