Ende März verkündeten Bürgermeister Matteo Lepore und der für die Digitale Agenda zuständige Massimo Bugani einen Plan für Digitale Innovation 2022-2024. Teil des Plans ist die Nutzung künstlicher Intelligenz zur Verkehrsmessung und -lenkung, unter anderem indem die Bürger über den Verkehrsfluss informiert werden.
Man kann hier gewisse Gefahren in Richtung Erstellung von Bewegungsprofilen erahnen, wenn man der Stadtregierung einen Hang zur Überwachung, Kontrolle und Manipulation ihrer Bürger unterstellen will.
Dafür gaben Lepore und Bugani auf der gleichen Pressekonferenz allen Anlass. Denn sie kündigten außerdem für September ein Pilotprojekt an, bei dem Bürger Punkte sammeln können, wenn sie sich im Sinne der Stadtverwaltung vorbildlich verhalten. Bugani beschrieb das geplante „Smart Citizen Wallet“ (engl. Name im ital. Original) so:
„Im Zentrum steht der tugendhafte Bürger, der zum Beispiel Müll gut trennt, keine Energie vergeudet, öffentliche Verkehrsmittel benutzt, keine Bußgelder bekommt oder sich für die Bologna Welcome Card engagiert. Zu diesen Menschen sagt die Stadt ‚wir geben Ihnen Punkte‘ als Teil einen Belohnungssystems mit individuell nutzbaren Prämien.“
Mich gruselt, wenn ein Beamter derart schambefreit sein partriarchalisches Menschenbild zur Schau stellt und dafür offenbar nicht einmal heftigen Gegenwind bekommt.
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Freiwillig im Neusprech-Sinne
Die Sache sei harmlos meint er, weil die Aktion auf Freiwilligkeit beruhe. Nur wer die entsprechende App nutze, nehme teil. Das ist kein sehr beruhigendes Argument. Hier will die Stadt mit dem Geld der Steuerzahler geldwerte Prämien dafür ausloben, dass Bürger sich datenmäßig nackig machen und ihre Tugendhaftigkeit beweisen. Das ist an sich schon unerhört.
Spätestens seit der exzessiven Ausgrenzung nicht gegen Corona Geimpfter durch 3G und 2G oder 2G+ wissen wir sehr gut, wie überaus fließend die Grenze zwischen Freiwilligkeit und Zwang sein kann und wie man Pseudo-Freiwilligkeit nutzen kann, um Menschen ihrer Freiheit zu berauben. Man musste sich nicht impfen lassen, aber man verzichtete dann halt „freiwillig“ auf den „Vorteil“, am öffentlichen Leben teilnehmen zu dürfen. Es ist die Freiwilligkeit aus dem Corona-Neusprech-Wörterbuch, die hier angeführt wird.
In China, das ein Sozialkreditsystem wie hier angedacht mit vielen staatlichen und privaten Projekten als Pionier vorangetrieben hat, ist deutlich erkennbar, dass ein solches System, sobald es eine gewisse Wichtigkeit erreicht, immer auch die Zuteilung von Nachteilen oder Strafen für unerwünschtes Verhalten beinhaltet. Wer in den Sozialpunktesystemen der Social-Media-Giganten zu schlecht abschneidet, der hat mit äußerst vielfältigen und schwerwiegenden Nachteilen im täglichen Leben zu kämpfen: Sei es bei der Suche nach einer Wohnung oder nach einem Lebenspartner.
Ein derartiges System ist unvermeidlich anti-individualistisch und gegen eine freiheitliche Gesellschaft gerichtet. Diejenigen, die die Punkte verteilen, bestimmen von oben herab, was tugendhaftes Verhalten ist, und zwingen die Menschen mit sanftem oder nicht so sanftem Druck dazu, fremden Vorlieben und Wertvorstellungen zu folgen. Das geht in China so weit, dass Menschen mit niedrigem Sozialpunktekonto von anderen geschnitten werden, weil sie Punktabzug befürchten, wenn sie mit solchen Leuten befreundet sind oder Kontakt haben.
Wer ein solches Instrument zur Verfügung hat, der kann die Menschen eines ganzen Landes zwingen, „freiwillig“ das zu tun, was die Führungsschicht will.
Noch allerdings muss dieses monströse Projekt der Bologneser Möchtegern-Volkserzieher der Datenschutzbehörde vorgelegt werden. Vielleicht bleibt es ja dort wenigstens hängen. Aber es ist auf jeden Fall schockierend, wie sehr sich die Werte schon gewandelt haben müssen, dass eine Behörde sich traut, so etwas anzukündigen.
Norbert Häring ist promovierter Volkswirt, Bestsellerautor (zuletzt: "Endspiel des Kaptialismus").Dieser Beitrag erschien zuerst auf seinem Blog "Geld und mehr".
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Kommentar von Arno Nühm
Sogar wenn man die Idee eines social scoring nicht grundsätzlich ablehnt muss doch klar sein, dass damit oft die falschen belohnt werden.
Der arbeitsunwillige Alkoholiker, der auf Steuerkosten lebt:
* 100 Punkte weil er die Mülltonne zum richtigen Zeitpunkt vor die Tür gestellt hat – weil er nicht arbeitet, hat er ja sonst nichts zu tun
* 7×1000 Punkte pro Woche, weil er mit dem Bus zum Schnapsladen gefahren ist, anstatt ein Auto zu benutzen (Führerschein wurde ihm ja sowieso längst entzogen)
* 500 Punkte für „keine Strafzettel gesammelt“ (wie auch, ohne Führerschein)
* 500 Punkte, weil er keine zuckerhaltigen Produkte gekauft hat (nur Schnaps, alles andere kommt aus der Mülltonne der Nachbarn)
* 500 Punkte, weil er eine Mitfahrgelegenheit mit seinem Nachbarn benutzt hat, statt selbst Auto zu fahren
Sein arbeitender Nachbar, der die Steuern bezahlt mit denen der Alkoholiker durchgefüttert wird:
* 500 Strafpunkte, weil er die Mülltonne zu früh rausgestellt hat, weil er zur Arbeit gehen musste
* 5×1000 Strafpunkte, weil er mit dem Auto zur Arbeit und dann auch noch zum Wocheneinkauf gefahren ist
* 1000 Strafpunkte für einen Strafzettel für falsches Parken, den er bekommen hat, als er seinen Nachbarn zum Laden gefahren hat, als dieser den Bus verpasst hat
* 1000 Strafpunkte für ein Dessert beim Arbeitsessen
* 10000 Strafpunkte, weil ein Produkt, an dessen Herstellung er beteiligt war, nach Russland exportiert wird
Wer ist der bessere?