Beim Blick aus der Sardinen.Bar wurde es traurige Gewissheit, die leere Hausfassade auf der gegenüberliegenden Straßenseite war kaltherzig genug: "Estia" gibt es nicht mehr. Die kleine hellenische Meze-Taverne in der Grunewaldstraße in Berlin-Schöneberg hat ihren Überlebenskampf verloren.
Wie oft sind wir dort gewesen in den letzten Jahren, wie glücklich, im Sommer einen der begehrten Abendsonnenplätze ergattert zu haben, wie wohlbewirtet an den wenigen Tischen in diesem in warmen Tönen gestalteten Mekka der Gastfreundschaft, umhüllt von den Klängen der Bouziki.
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Und dann erst das Essen. Kein Gyros. Wer als griechischer Wirt darauf verzichtet, muss stark sein. Und starke Gäste haben. Immerhin Souvlaki für die dem Gyrosteller nachtrauernden Gäste, Fisch, Mousaka, Salate und an erster Stelle kleine Schälchen mit Mezes. Immer frisch. Weinblätter, Taramas, Oktopus. Alles an Köstlichkeiten, was die griechische Küche in ihrer bäuerlichen Einfachheit hergibt.
Und natürlich Tzatziki. Jeder fühlte sich hier wohl, jede wurde satt, ganz gleich ob Fleisch- und Fischesser oder Vegetarier oder gar Veganer. Die zwei inzwischen magischen "Vs" spielten in der Mittelmeerküche bereits eine wichtige Rolle, bevor der Veggie/Vegan-Style von den Nachhaltigkeitsentdeckern kreiert wurde.
Die Taverne brummte. Hummelflug. Der junge Wirt ließ uns an seinem Glück teilhaben. Geschichten vom Mittelmeer. Lachen. Entspannung. Erinnerungen an Reisen. Völkerverständigung.
Doch dann kam Corona. Urplötzlich gehen die Lichter aus. Der Wirt und sein Team haben keine Arbeit mehr. Heimatverlust. Auch für die Gäste. Nach dem ersten Schock sieht der Wirt diese Krise als Chance. Aber ist sie das wirklich für jeden?
Unser Wirt jedenfalls glaubt daran und hofft, das Ganze wäre nur von kurzer Dauer. Weil die Gäste nicht mehr zu ihm kommen, will er seine Speisen zu ihnen tragen. Das fällt vielen seiner Kollegen ein. Klingt wie eine gute Idee und wird anfangs gut angenommen. Nur hat er die Rechnung ohne die Trittbrettfahrer gemacht, die Lieferdienste, online multinational aufgestellt. Auf sie ist er angewiesen. Sie saugen ihn aus.
Die Provisionen so hoch, dass kaum etwas für ihn übrigbleibt. Gewinne? Ein Trugschluss. Immerhin die Hoffnung, dass er so Kontakt zu seinen Gästen behält. Die Bestellungen aber werden weniger. Wie lässt sich auch ein schöner Abend im "Estia", wahrgenommen mit allen Sinnen, kompensieren durch angelieferte lauwarme Überlebensmittel.
Nächste Idee: Take away aus dem Tavernenfenster. Nun auch mit Gyros-Pita, was fast wie eine Selbstverleugnung klingt. Ja, der ein oder andere Stammgast schaut mal vorbei. Aber irgendwie trägt sich das Ganze nicht. Die Imbisskonkurrenz in nächster Nähe ist groß. Außerdem vernichtet dieses neue Konzept Außensitzplätze. Auf die das "Estia" angewiesen ist. Draußen sitzen die Leute ja so gerne in jedem Sommer. Drinnen nichts los.
Mitte des letzten Jahres dann das Ende. Monatelang mehr Ausgaben als Einnahmen, kompletter Verbrauch der Rücklagen. Der Vermieter gewährt dem Wirt, immerhin, eine sechsmonatige Kündigungsfrist bis Ende Februar, mit Untervermietungsmöglichkeit bis dahin. Ein Corona-Schnelltestcenter eröffnet. Dort, wo das "Estia" uns so lange glücklich gemacht hat. Und ist wenige Monate später wieder verschwunden. Fenster wie hohle Fratzen.
Der griechische Wirt arbeitet nun bei seinem Onkel auf dem Bau. Die Familie fängt auf. Das Team ist zerstreut in alle Winde. Ob es jemals wieder ein "Estia" geben wird? Die Hoffnung stirbt zuletzt. Doch schön und lecker ist es gewesen, damals, in der kleinen hellinischen Meze-Taverne in der Grunewaldstraße.
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