Das ist lange her, auch, dass ich überhaupt gesungen habe, wenn man jetzt mal das gelegentliche Trällern unter der Dusche oder inzwischen untrainiert krächzendes Karaoke als Geburtstagsgag ausnimmt.
Noch heute weiß ich nicht, was eigentlich mit mir passierte, als ich einer Freundin zum Gefallen mal zum „Mantra-Singen“ mitging, wo ich, statt mitzusingen über den musikalischen Schwingungsteppich von fast zwei Stunden alles herausschluchzte, von dem ich nicht wußte, aus welcher Tiefe es hochkam. Hinterher fühlte ich mich jedenfalls wie ausgewrungen, entkräftet, aber glücklich wie seinerzeit nach dem Halbmarathon.
Dass Musik heilsam ist, für Körper und Psyche, ist nicht erst seit Konzepten wie dem der modernen Musiktherapie bekannt. Schon Aristoteles meinte, sie reinige die Seele und prägte dafür den Begriff der Katharsis.
Aber darum ging es gar nicht, auch wenn ich im Vorfeld ob dieser Wirkung den einen oder anderen gerührten Tränenstrom befürchtete, als wir die Karten für das Mitsingkonzert „Schalala – Das Mitsingding“ im "Friedrichshagener Freilichtkino", einer Art Mini-Waldbühne im Süden Berlins, kauften.
Weiterlesen nach der Werbung >>>
Ihre Unterstützung zählt
Das war mit circa 400 bis 500 Personen zu dreiviertel gefüllt, vorne zwischen den alten Bäumen die Bühne rechts und links nur mit einem goldenem Flitter-Vorhang und ein paar bunten Billig-Papierbällen dekoriert, der Hintergrund eine schmucklose Powerpoint-Präsentation mit Songtexten. Am Bühnenrand standen wie in der Musikstunde mit Hammond-Orgel, Notenständer und Gitarre die beiden Mitsinge-Frauen Stefanie Bonse, singend und mit Gitarre und Marie-Elsa Drelon am Klavier.
Es braucht nicht viel, so stellt sich schon beim ersten Song heraus, ein ganzes Stadion zum Mitsingen und zum Mitschwingen zu bewegen.
Unprätentiös und quasi ohne Show oder irgendwelche Einlagen laufen die Anleitungen von der Bühne aus, die Musik geht als Gesang wie eine Welle durchs Publikum auf den Holzbänken. Nach kurzem Anlauf und Befremden schmettert ein riesiger Chor gemeinsam einen Gassenhauer nach dem anderen, quasi wie ein Massen-Karaoke, nur viel besser. Vorne läuft der Text, man singt bekannte Melodien, die sich fast nahtlos zu einem gemeinsamen zweistündigen Musikstück verknüpfen.
Zwischendurch mal ein Kanon-Versuch, bei dem bleibt es dann aber auch in Sachen Kanon. Mit Gründen, wenn man lachend die eigene Performance begutachtet.
Ansonsten wird gesungen, was die Stimmbänder hergeben: Von „Dont Stop me now“ von Queen über andere Evergreens wie „Dancing Queen“ von Abba bis hin zu Schlagern, bei denen es einem eigentlich fast peinlich ist, sie zu kennen. Die aber dafür umso mehr Spaß machen. Von Nina Hagens „Du hast den Farbfilm vergessen“ bis zum Griechischen Wein von Udo Jürgens. Nach kurzer Zeit stellt sich heraus, dass es sich im Stehen, was dann zum Tanzen wird, viel besser singt als auf den Holzbänken sitzend.
Das Portfolio der Schlalala-Mädels umfasst über 500 Songs, von denen eine bunte Mischung in den zwei Gesangs-Stunden für Abwechslung sorgt. Hier im Osten Berlins gelegenen Friedrichshagen steht an dem Abend, wohl als Referenz ans Publikum, auch ein Puhdys-Song auf dem Spiel- bzw Singplan: „Lass Deinen Drachen steigen“. Bei „Azurro“ von Adriano Celentano haben die Mädels auf der Bühne einen kleinen Gag eingebaut, der Songtext erscheint in italienischer Lautschrift, so dass man, insofern man korrekt von der Projektion an der Bühnenrückwand abliest, den schmalzigen Gassenhauer nicht durch die kehlige, deutsche Aussprache vergeigen kann. Einfach nur stumpf vorne ablesen, dann klappts auch mit dem Italienisch!
Statt Rührung, Beschämung oder sonstigen Befangenheiten entfaltet sich ein gutgelaunter Musikteppich über zwei Stunden, zwischendurch gibt’s zwei Päuschen, wo man eigentlich kaum erwarten kann, dass es weitergeht mit dem nächsten Song.
Physikalisch gesehen ist Musik ganz einfach eine durch Schwingung einer Schallquelle erzeugte Luftdruckschwankung. Musik entsteht dann, wenn einzelne Töne planvoll miteinander kombiniert werden. Die Botschaft des Singe-Abends aber ist Freude und Gemeinschaft. Und eine solche fühlt es sich auch an. Singen kann als natürliches Antidepressivum bezeichnet werden.
Studien, die mit Profi-Sängern durchgeführt wurden, lassen darauf schließen, dass Menschen, die oft und viel singen, entspannter sind und sich insgesamt besser fühlen. Nur ein Beispiel dafür sind Forschungen aus Schweden,in denen aufgezeigt wurde, dass das Oxytocin während des Singens vermehrt ausgeschüttet wird. Oxytocin wird beispielsweise auch beim Stillen, bei der Geburt oder beim Sex freigesetzt. Das „Kuschelhormon“ ist dafür da, Bindungen zu stärken, Vertrauen zu fördern oder Angst zu reduzieren.
Das hatte auch Anke Engelke 2013 bei einer Art „Glückssuche“ für die ARD auf dem Plan, als sie einen „Chor der Muffeligen“ gründete. Drei Monate lang sangen Menschen zusammen, denen es nach Eigeneinschätzung in ihrer Grundkonstitution mies ging. Vor und nach den Chorproben wurde der Oxytocin-Gehalt im Speichel gemessen, am Ende standen dann ein Konzert-Auftritt und die Auswertung, dass Singen „glücklich macht“. Und zusammen Singen Gemeinschaftsgefühle stärkt.
Was einmal mehr die Maßnahmen der letzten drei C-Jahre auf den Plan bringt, denn an diesem Abend ist für mich kaum vorstellbar, dass all die 500 Leute hier sich das gemeinsame Singen und Zusammenkommen haben verbieten lassen oder vor allem, sich noch einmal verbieten lassen würden. In Deutschland singen allein 4 Millionen Menschen in Chören. Warten wir es ab.
Beim Singen können sogenannte Aerosole, also Gemische aus festen oder flüssigen Schwebeteilchen, bis zu eineinhalb Meter nach vorne ausgestoßen werden. So das damalige C-Narrativ zur Legitimierung der Verbote. Um dieses zu stützen, wurde extra „die Wissenschaft“ bedient, in der MOZ hieß es, das hätten „Wissenschaftler der Universitätskliniken München und Erlangen in einer Versuchsreihe mit dem Chor des Bayerischen Rundfunks (BR) entdeckt.“
Das Chor- und Singeverbot in der Coronazeit wurde zum Teil nach allen anderen Maßnahmen aufgelöst, trug absurde Blüten wie teilweise meterweite Abstandsregeln in Chören und Orchestern, so dass sogar die Kirche, ansonsten jeder irrwitzigen Maßnahme gegenüber opportunistisch, das Chorverbot als unverhältnismäßig kritisierte.
Eine Ahnung davon, wofür dieses Chorverbot in der C-Zeit wohl den Verhängern der Maßnahmen wichtig gewesen sein könnte (wenn man jetzt mal mögliche Ansteckungen angesichts der Erkenntnisse über die Gefährlichkeit des Virus außen vor nimmt), bestätigt sich bei der Rückfahrt vom Konzert in die Innenstadt.
Viele der Konzertbesucher strömen direkt zur wartenden S-Bahn, die Waggons füllen sich ungewohnt zur späten Zeit. Nicht aber betretenes Schweigen, Starren aus den Fenstern oder auf die Handys während der Fahrt, wie sonst in Berlins S-Bahn – nein, der ganze Waggon redet und tauscht sich aus, lacht, kleine Grüppchen miteinander und auch untereinander. Beschwingt und verbunden.
Vielleicht ist es ja das, was Musik am Ende kann. Und was durch die Chorverbote beim Lockdown und durch diesen erst recht verhindert werden sollte. Man könnte sagen, die Musik hallt auf der Ebene der menschlichen Verbundenheit nach, selbst wenn das Konzert zu Ende ist. Die Zugabe des Mitsingekonzertes war übrigens bezeichnender Weise das gemeinsame Singen von „Thank You for the music“.
PS: Das nächste Schalala-Konzert ist am 18. August, auch auf einer kleinen Waldbühne in Berlin-Spandau. Da gehe ich wieder hin, zum Auftanken! Wer kommt mit?
Einen Kommentar schreiben
Sie müssen sich anmelden, um Kommentare hinzuzufügen. Aufgrund von zunehmendem SPAM ist eine Anmeldung erforderlich. Wir bitten dies zu entschuldigen.
Zur Anmeldung