"Alle zehn Jahre wird von neuen Politikern die gleiche uralte Sau durchs Dorf getrieben"

„Die Klugen, Gebildeten und Wohlhabenden verlassen das Land“

von Alexander Wallasch (Kommentare: 6)

„Seit 2015 haben über 1,3 Millionen Deutsche das Land verlassen. Das waren sicherlich keine Hartz-IV-Empfänger, sondern Menschen, die zu unserem Wohlstand beigetragen haben.“© Quelle: Privat

Dr. Hans-Georg Maaßen am Montag über das Leiden an der verinnenden Zeit und über aktuelle Fragen, die auf den Grund der Ostsee führen und in die menschenleere Fertigungsstätte einer automatisierten Glaserei.

Alexander Wallasch: Warum hört man eigentlich nichts mehr vom Anschlag auf die Nord-Stream-Pipelines? Ist es der Bundesregierung egal, wer es gewesen ist?

Hans-Georg Maaßen: Dieser Anschlag vom 26. September war ein Anschlag auf unsere kritische Infrastruktur, denn die Pipelines versorgten Deutschland mit günstigem Gas, und durch die Zerstörung der Pipelines haben wir nicht mehr die Möglichkeit, in unserer Ukraine- und Russlandpolitik eine Kehrtwende durchzuführen und wieder russisches Gas zu beziehen. Es war also in erster Linie ein Anschlag gegen Deutschland. Die Bürger wurden von den Massenmedien mit der Erklärung abgespeist, dass hinter dem Anschlag Russland stünde. Andere mögliche Szenarien, die wesentlich plausibler und naheliegender sind, dass der Anschlag nämlich von einem unserer Freunde oder Partner durchgeführt wurde, wurden öffentlich gar nicht diskutiert bzw. sofort als Spinnerei diskreditiert. In ausländischen Medien, selbst in den USA, wurde anders als in Deutschland ganz offen darüber diskutiert, ob die Regierungen der USA, Großbritanniens oder Polens diesen Anschlag gegen die deutsche Infrastruktur zu vertreten haben.

Deutschland muss ein eigenes nationales Interesse daran haben, den Urheber dieses staatsterroristischen Anschlages zu identifizieren und sich nicht damit abspeisen zu lassen, dass der böse Putin hinter allem steckt. Wochen nach dem Anschlag sollten die geheimdienstlichen und staatsanwaltlichen Ermittlungen in Deutschland und in anderen westlichen Ländern wesentlich weitergekommen sein. Man sollte durch forensische Ermittlungen an den Tatorten, auf Grund von Aufzeichnungen der Schiffsbewegungen und aufgrund der technischen Überwachung des Funk- und Kommunikationsverkehrs über Beweise oder zumindest über tatsächliche Anhaltspunkte verfügen, dass entweder die von offizieller Seite vertretene Russland-Urheber-Vermutung zutrifft, oder die belegen, wer der Urheber des Anschlags war.

Das Schweigen der Offiziellen und der Mainstreammedien ist erstaunlich. Lägen Hinweise vor, die auf eine russische Urheberschaft schließen, würde man die Erkenntnisse sicherlich sofort veröffentlichen. Und auch dann, wenn noch keine greifbaren Ermittlungsergebnisse vorlägen, würde man bei anderen Anschlägen die Öffentlichkeit über den Ermittlungsstand informieren, um deutlich zu machen, dass die Bundesregierung den Anschlag ernst nimmt.

Das Schweigen der Politik und der Mainstreammedien, die dieses Thema nicht mehr behandeln, könnte den Eindruck erwecken, dass kein Interesse besteht, Licht ins Dunkel zu bringen. Im Übrigen gilt das Gleiche auch für den Anschlag auf das Funknetz der Deutschen Bahn am 8. Oktober: Auch hier schweigt die Bundesregierung über die Täter und Hintergründe des Anschlags und die Mainstreammedien fragen nicht.

Alexander Wallasch: Wenn ich aber schon in etwa weiß, wer der Täter sein könnte, wenn ich als Bundesregierung dann davon überzeugt bin, dass ich denjenigen niemals verklagen kann, dann macht das Ganze wenig Sinn. Oder geht es hier nur um Wahrhaftigkeit?

Hans-Georg Maaßen: Beim Anschlag um die Nord-Stream-Pipelines geht es nicht so sehr um strafrechtliche Anklagen. Die Einzelpersonen, die den Anschlag verübten, sind weniger von Interesse als der Staat und die Regierung, die dahinter standen. Es geht um die zentrale Frage, war der Täter ein Partner oder ein Feind, was war dessen Motivation, wer unterstützte, mit was ist noch zu rechnen, was wussten deutsche Dienststellen im Vorfeld und warum wurde der Anschlag nicht verhindert? Wenn die Regierung kein Interesse an einer Aufklärung zu haben scheint, dann sollten Opposition und Medien die Bundesregierung dazu bringen, die Fakten auf den Tisch zu legen. Andernfalls muss man befürchten, dass hier etwas verschwiegen werden soll.

Alexander Wallasch: Die investigative vierte Gewalt wird ja im Grunde genommen nur noch von Herrn Böhmermann präsentiert, und den habe ich bisher auch noch nicht im Taucheranzug gesehen.

Hans-Georg Maaßen: Es gibt in der Medienbranche zahlreiche investigativ tätige Journalisten. Aber man hört oder liest nichts von ihnen über die Anschläge. Und diese Anschläge waren nicht irgendein Verkehrsunfall, sondern Anschläge auf die deutsche kritische Infrastruktur, und sie zeigten die ganze Schwäche unserer nationalen Sicherheit. Man muss als Journalist nicht in der Ostsee tauchen, um über die Hintergründe zu recherchieren. Aber dass hier anscheinend gar nichts passiert, lässt aus meiner Sicht nur zwei Alternativen zu: Entweder hat es der deutsche Journalismus verlernt zu recherchieren und ist nur noch dann investigativ, wenn ihm Andere Informationen zustecken, oder er hat einfach kein Interesse an dem Thema.

Alexander Wallasch: Eine andere aktuelle Sache: Es wird viel diskutiert über das neue Einwanderungsfachkräftegesetz. Ein Hamsterrad: Alles fängt wieder von vorn an, wieder gibt es Diskussionsverbote. Liegt das Problem nicht ganz woanders? Wie finden wir endlich zu einer vernünftigen Familienpolitik zurück? Was ist da passiert? Der jüngste Tiefpunkt war hier die Diffamierung von Leistungen für Mütter als „Herdprämie“. Ist es nicht viel wichtiger, uns darüber zu unterhalten, als noch mehr Fachkräfte anzulocken um irgendwelche Lücken zu füllen?

Hans-Georg Maaßen: Ihre Frage geht in die Richtung, die Jürgen Rüttgers mal mit dem Spruch „Kinder statt Inder" thematisierte. Vernünftige Familienpolitik statt Einwanderungspolitik, also Arbeitskräftepolitik. Dafür wurde er von der politischen Linken in Politik und Medien angegriffen. Es ist ein Irrglaube, dem wir schon seit rund 50 Jahren folgen, unsere Arbeitsmarktprobleme durch Migration zu lösen. Ich habe den Eindruck, alle zehn Jahre wird von neuen Politikern die gleiche uralte Sau durchs Dorf getrieben, die aber überzeugt sind, was ganz Neues gefunden zu haben.

Das fing schon mit der Anwerbung von Gastarbeitern in den 1960er Jahren an, wo man dem Volk vormachte, es seien nur „Gast“-Arbeiter und würden nach einiger Zeit wieder in die Heimat zurückkehren. Dann mit den verschiedenen Verordnungen, um Arbeitskräfte ins Land zu holen, dann mit der „Süßmuth-Kommission“ von Bundeskanzler Schröder, die uns das modernste Einwanderungsgesetz der Welt versprach, mit dem man die „dringend benötigten“ Spezialisten und nobelpreisverdächtigen Wissenschaftler ins Land holen wollte, dann mit den Punkteverfahren und Regelungen für Hochqualifizierte, dann mit der „Blue-Card“-Richtlinie der EU für Fachkräfte.

Die Fachkräfteprobleme sind damit nicht gelöst, sondern nur vertagt worden. Jetzt geht es nicht nur um hochqualifizierte Ingenieure oder Ärzte, nicht einmal um Spezialitätenköche für Imbissbuden oder Pflegekräfte für Krankenhäuser, sondern wir sind noch nicht einmal in der Lage, in ausreichender Zahl Dreher oder Fleischerfachangestellte aus Deutschland auszubilden, obwohl wir in den letzten Jahren mehrere Millionen Asylsuchende und illegale Ausländer aufgenommen haben.

Die gesamte Bildungs- und Ausbildungspolitik der letzten Jahrzehnte ist gescheitert, und die Lösung, die das politisch Establishment sieht, besteht darin, noch mehr Arbeitsmigranten ins Land zu lassen. Mittlerweile werden Headhunter in die entferntesten Winkel der Welt geschickt, um dort junge Leute für Lehrberufe zu finden, da wir nicht in der Lage sind, eine ausreichende Zahl von jungen Menschen hervorzubringen, die solche Ausbildungen machen wollen. Dass das nicht funktionieren kann, weil es in den letzten Jahrzehnten noch nie funktioniert hat, und dass wir damit immensen integrationspolitischen Schaden anrichten, sollte inzwischen jedem klar sein. Aber das hält die ökosozialistische Bundesregierung nicht davon ab, im Brustton der Überzeugung die alten Dummheiten als neue Wahrheiten zu propagieren.

Um das Fachkräfteproblem zu lösen, bedarf es wirklicher politischer Anstrengung und keiner Schnellschüsse. Natürlich brauchen wir eine andere Familienpolitik, aber sie wird die Probleme nicht kurzfristig lösen. Kurz- und mittelfristig kann man die Probleme auch ohne Arbeitsmigration relativ leicht mildern, zum Beispiel, indem sich die Politik darum bemüht, die Auswanderung von Deutschen aus Deutschland zu verringern und Deutsche aus dem Ausland wieder für Deutschland zurückzugewinnen.

Im letzten Jahr haben rund 250.000 Deutsche Deutschland den Rücken gekehrt. Nach dem Jahr 2015, dem Jahr von Merkels „Wir schaffen das“-Migrationspolitik, hatte sich die Zahl der Auswanderer von 140.000 auf über 281.000 verdoppelt. Seitdem haben über 1,3 Millionen Deutsche das Land verlassen. Das waren sicherlich keine Hartz-IV-Empfänger, sondern Menschen, die zu unserem Wohlstand beigetragen haben, die auch wegen der verschlechterten politischen Situation und der Lebensverhältnisse Deutschland verlassen und in anderen Staaten als Leistungsträger gerne aufgenommen werden.

Es haben Unternehmer, Selbständige und Freigeister das Land verlassen. Menschen, die nicht in einer grünen Kommandowirtschaft arbeiten wollen, wo unqualifizierte Parteifunktionäre vorschreiben, wie ein Unternehmen geführt werden soll, und die sich nicht sagen lassen wollen, wie sie zu leben haben. Die Klugen, Gebildeten und Wohlhabenden verlassen das Land.

Alexander Wallasch: Geht es nicht auch darum, unsere Wirtschaft notwendigerweise den Möglichkeiten anzupassen, die wir haben, indem man sagt: Wir haben jetzt diese Fachleute nicht, da müssen wir uns in irgendeiner Form reduzieren. Wird uns diese Menge an Fachkräften diktiert? Franz Josef Strauß hat mal was in der Richtung gesagt, wir bräuchten keine Zuwanderung, wir müssten uns nur entsprechend anpassen.

Hans-Georg Maaßen: Vom Ergebnis her hatte er Recht. Die Knappheit an Arbeitskräften hatte auch dazu geführt, dass sich die Wirtschaft in hohem Maße automatisiert und digitalisiert hatte. Wenn man heute durch große Werkshallen geht, sieht man kaum mehr Arbeitskräfte. So war ich beim Besuch einer großen Glasfabrik erstaunt, dass nur wenige Menschen dort arbeiteten.

Andere Industrieländer, wie zum Beispiel Japan, sind in ähnlicher Weise wie wir durch Geburtenrückgang und Arbeitskräftemangel betroffen. Sie reagieren auf die Probleme nicht damit, dass sie so wie wir massenhaft Arbeitskräfte aus dem Ausland holen, sondern suchen nach anderen Lösungen. Dazu zählt auch, dass man Anreize schaffen sollte, dass Menschen auch im höheren Alter freiwillig und wenn auch nur zeitweise weiterarbeiten. Arbeitsmigration löst nicht die strukturellen Probleme, die wir haben, sie schafft neue und komplexere Probleme, insbesondere bei der Integration von Ausländern, und sie kann bestenfalls für den Augenblick Abhilfe bei akutem Arbeitskräftemangel schaffen.

Wichtig erscheint mir ebenfalls, dass die Gesellschaft die Arbeit im Handwerk und in der gewerblichen Wirtschaft wieder wertschätzt. Es wird immer noch die Vorstellung vermittelt, ein Studium und sei es noch so inhaltleer, sei wertvoller als eine Berufsausbildung als Handwerker. Deutschland hat es versäumt, hier einen Perspektivwechsel bei der Wahrnehmung der klassischen Ausbildungsberufe herbeizuführen. Und die Folge ist, dass wir zu viele Akademiker in nicht berufsqualifizierenden Studiengängen haben und zu wenig Leute, die im Handwerksbetrieb oder in der Werkshalle arbeiten und für unsere Volkswirtschaft Wertschöpfung betreiben.

Und ich glaube, die jetzige Politik befördert das auch noch. Ich denke da nur an das Thema „Homeoffice“. Das macht handwerkliche Berufe noch unattraktiver, weil man bei diesen Berufen nicht mit dem Laptop vom Küchentisch aus arbeiten kann. Das ist natürlich eine Arbeitskultur, die konkurrenzlos ist gegenüber der Werkshalle.

Alexander Wallasch: Zu der von Ihnen angesprochenen Bürokultur hat Sascha Lobo, der Spiegel-Kolumnist, vor Jahren mal ein Buch geschrieben mit dem Titel „Wir nennen es Arbeit“.

Noch etwas anderes: Ich merke an unseren Gesprächsterminen, wie schnell die Zeit vergeht und stelle erschrocken fest, wie wenig sich Zeit verlangsamen lässt, um sie ein bisschen bewusster wahrzunehmen. Womöglich ist Bewusstheit schon der Schlüssel zur Verlangsamung. Und damit wären wir dann irgendwo in der asiatischen Philosophie. Können Sie es besser als ich?

Hans-Georg Maaßen: Vermutlich ist die Termindichte und Themenmenge, mit der Sie sich beschäftigen sehr hoch. Ich kenne das. Die Details verblassen wegen der Vielzahl an Themen, mit denen man sich beschäftigt. Man erinnert sich bestenfalls nur noch an die Themen, nicht mehr an die Details. Und das ist ein ähnliches Gefühl, als wenn sie sich an Geschehnisse zurückerinnern wollen, die schon länger zurückliegen.

Auch da sind die Details schon verblasst, weil sich in der Zwischenzeit schon viel ereignet hat. Sie sollten sich am Tag Zeitfenster schaffen, am besten morgens oder abends, einfach nur zum Nachdenken, zum Nachlesen oder um zurückzublicken. Ich notiere in meinem Notizbuch meine Gespräche, Telefonate und manches, was ich erledigt habe, um mich später leichter daran erinnern zu können. Und am Ende der Woche lese ich alles durch, was ich mir notiert habe, um das nochmal zu memorieren. Dadurch erinnere ich mich daran, was ich alles in recht kurzer Zeit gemacht habe.

Alexander Wallasch: Kann es sein, dass das Aufschreiben selbst auch schon ein Prozess des Festhaltens sein kann?

Hans-Georg Maaßen: Natürlich ist es ein Prozess des Festhaltens. Man muss es noch nicht einmal aufschreiben. Wenn ich nichts zu schreiben habe oder gerade Auto fahre, fasse ich gedanklich oder durch lautes Vorsprechen die gerade geführten Gespräche noch einmal zusammen, um mir das besser einzuprägen. Und damit das besser haften bleibt, versuche ich mich auch an die Gesprächsumstände und an Banales aus dem Gespräch zu erinnern, damit das Gespräch in der Erinnerung Farbe bekommt.

Alexander Wallasch: Wenn ich das einmal versuche, in einem Satz zusammenzufassen, was schwerlich nicht geht, könnte man sagen: Um Zeit festzuhalten, muss man sich notwendigerweise Zeit nehmen. Wäre das so ein Fazit?

Hans-Georg Maaßen: Natürlich. Wenn man sich nicht die Zeit nimmt, seine Axt zu schärfen, dann wird man ewig brauchen, um mit einer stumpfen Axt einen Baum zu fällen. Von daher muss man sich auch die Zeit nehmen, gedanklich das Erlebte zu wiederholen und zu genießen.

Alexander Wallasch: Vielen Dank für das Gespräch!

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