Triumph der Reproduktionsmedizin oder Frankensteins Erben?

Israel hat Terroropfern der Hamas Sperma entnommen

von Alexander Wallasch (Kommentare: 2)

Mit den Spermien gefallener Helden werden Waisenkinder gezeugt© Quelle: Pixabay/ Gerald screenshot

Israel hat männlichen Opfern des Hamas-Terrors Samenzellen entnommen, dieses Sperma tieffrieren lassen, um es zu einem späteren Zeitpunkt zur Zeugung von Halbwaisen zu nutzen. Ist das nur gespenstisch und tieftraurig zugleich oder steckt mehr dahinter?

Gestern hatten wir darüber berichtet, dass in der Ukraine in Reproduktionskliniken das Sperma von ukrainischen Soldaten gesammelt wird für den Fall, dass die Soldaten nicht lebend aus dem Krieg zurückkommen.

Eine Ärztin der Klinik lieferte mit einem Zitat die Schlagzeile für eine Spiegel-Reportage: „Wir kämpfen darum, unsere Nation zu erhalten, unseren genetischen Code weiterzugeben“.

Das Magazin aus Hamburg fand nichts dabei, dass hier ein Volk über seine Gene definiert wird. So etwas aus dem Munde eines AfD-Abgeordneten oder von Martin Sellner hätte mutmaßlich wieder hunderttausende „gegen Rechts“ auf die Straße gebracht.

In dem Zusammenhang ist ein Thema auf den Tisch gekommen, das schon einmal im August 2023, also Wochen vor den Terroranschlägen der Hamas und dem Beginn des Gaza-Krieges, die Medien beschäftigte. Damals leitete die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) einen Artikel mit folgendem Intro ein:

„Familien gefallener israelischer Soldaten kämpfen dafür, mit deren Spermien Waisenkinder zeugen zu dürfen. Derweil schicken palästinensische Kämpfer aus dem Gefängnis ihren Samen heim, um ihre Frauen zu schwängern. Über den Heldenkult auf beiden Seiten der Mauer.“

Und schon damals offenbarte sich eine Praxis im Umgang mit bei Terroranschlägen oder sonstigen Auseinandersetzungen gestorbenen oder gefallenen israelischen Soldaten oder Polizisten, die für Europäer schockierend wirken könnte. Die NZZ berichtete über einen von einem palästinensischen Steinwurf getöteten israelischen Offizier, dessen Familie noch innerhalb der ersten Stunde nach dem Attentat einen Anruf bekam, dass die Familie das Recht habe, die Entnahme einer Sperma-Probe aus dem Körper ihres Sohnes zu beantragen und diese einfrieren zu lassen.

„Später“, so hieß es weiter, „können Sie sich für eine künstliche Befruchtung entscheiden, damit ein Enkelkind gezeugt werden kann. Vielleicht sogar mehrere.“ Die Familie entschied sich dafür. Und das, so die NZZ, nicht allein aus individueller Trauer und dem Wunsch, diesen Tod so irgendwie zu überwinden. Sondern mit folgender Begründung des Vaters:

„Es ist ein persönliches Bedürfnis und auch ein religiöses Gebot, die Nachkommenschaft meines Sohnes zu sichern. Wenn das mit dieser Methode möglich ist – warum nicht?“

Hier spielt also mehr hinein als nur die ethisch zweifelhafte medizintechnische Möglichkeit, Halbwaisen zu zeugen. Zunächst soll es nur den Ehefrauen vorbehalten gewesen sein, dieses Sperma zu nutzen, aber der israelische Gesetzgeber diskutierte ab Mitte 2023 darüber, dieses Recht auf Freundinnen des Verstorbenen und sogar die Entscheidung der Eltern auszudehnen.

Organisationen wie „Or Lamishpachot“, die sich um die Familien von Gefallenen und getöteten Soldaten oder Polizisten kümmert, beschäftigen sich beratend auch explizit mit dieser Form der Sperma-Entnahme. Die Leiterin dieser Gruppe sagte gegenüber der NZZ: „Wenn wir die Nachkommenschaft dieser Soldaten sicherstellen, bedeutet das in gewisser Weise, dass wir die Welt neu bevölkern.“ Ein Zitat, das in einem anderen Kontext verstörend wirken könnte.

Und was sind die so gezeugten Kinder dann? Lebende Mahnmale für die Hinterbliebenden? Die ukrainischen Spermaspenden von noch lebenden Soldaten sollen laut einer Ärztin im Kiewer Reproduktionscenter die Gene des ukrainischen Volkes sichern.

Vor dem Krieg galt die Ukraine als „globales Zentrum für Leihmutterschaften“, auch Israelis zählten hier zu den Kunden. 90 Prozent der Babys werden hier für ausländische Eltern ausgetragen.

Die Entnahme von Spermien von toten israelischen Männern machte – überwiegend in englischsprachigen Zeitungen – erneut Schlagzeilen, als Hamas-Terroristen am 7. Oktober 2023 Israel angriffen und diese Sperma-Entnahmen von israelischer Seite an etlichen der dem Terroranschlag zum Opfer gefallenen Männern vorgenommen wurden.

Laut einem Bericht von CNN war es unter anderem eine medizinische Sozialarbeiterin, die Angehörige der beim Terroranschlag ermordeten Männer betreute und nach Absprache mit einer Klinik das Angebot machte, den Toten Spermien zu entnehmen und diese einzufrieren.

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Diese Sozialarbeiterin beschreibt die Reaktionen der Angehörigen wie folgt:

„Früher gab es nur Qual und Dunkelheit in den Augen der Mutter und plötzlich gab es ein Flackern von Licht und Hoffnung.“

Mit Fortdauer des Gaza-Krieges werden Krankenhäuser laut CNN von solchen Anfragen gerade „überschwemmt“. Das israelische Gesundheitsministerium hat die gesetzlichen Hürden für so eine Genehmigung noch einmal kriegsbedingt reduziert, heißt es weiter.

Wer sich jetzt fragt, wie das medizinisch überhaupt möglich ist: Sperma lebt nach dem Tod noch weiter und kann wohl bis zu einem bestimmten Zeitpunkt – die Rede ist von maximal 24 Stunden – halbwegs unbeschadet dem Hodengewebe des Verstorbenen entnommen werden. Diese lebenden Spermien werden dann umgehend in flüssigem Stickstoff eingefroren.

Auch die israelische Armee (IDF) bietet diesen Service proaktiv an bzw. vermittelt hier. Schon 2007 gab es einen Fall einer solchen Spermienentnahme. Es dauerte dann über ein Jahrzehnt, bis tatsächlich ein Kind geboren wurde, dessen Vater dann laut Geburtsurkunde demnach zehn Jahre vor der Geburt gestorben ist.

Wenn man solche Überlegungen weiterdreht und sich fragt, wie lange Spermien überhaupt per Stickstoffkühlung haltbar sind – bei fachgerechter Lagerung soll das quasi unbegrenzt möglich sein –, dann wäre theoretisch die Zeugung eines Kindes möglich mit dem Sperma eines Menschen, der vor vielen Generationen lebte. Eine bizarre Vorstellung einer modernen Version einer Messias-Erwartung.

Unabhängig vom unsäglichen Leid für die Angehörigen eines Ermordeten hat hier die ethisch-moralische Komponente etwas Verstörendes. Hinzu kommt eine mindestens ebenso verstörende völkisch-genetische Einordung, wie sie besagte Ärztin einer Reproduktionsklinik in der Ukraine vorgenommen hatte, welche „den genetischen Code“ auf diese Weise weitergeben will, um die „Nation zu erhalten“.

Und wenn man diese Zeugungsexperimente noch weiter fortführen will, dann ist der Traum des ewigen Lebens in den Köpfen solcher Menschen dadurch befeuert worden, dass diese sich nun Hoffnung machen können, dass auch Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte nach ihrem natürlichen Ableben aus ihrem Tiefkühlsperma ein Sohn per Leihmutter geboren werden kann. Jedenfalls dann, wenn ihnen die finanziellen Mittel zur Verfügung stehen.

Denkt man sich noch die passende tiefgefrorene Eizelle dazu, dann kann es sein, dass ein Kind Eltern hat, über deren Leben allenfalls Historiker Antwort geben können. Damit wäre dann die Büchse der Pandora geöffnet.

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