Selbstdemütigung als deutsche Staatsräson

Gastgeschenk von der Rolle: Effendi Steinmeier serviert in Istanbul Berliner Döner

von Alexander Wallasch (Kommentare: 14)

"Ich freue mich, gleich gemeinsam mit Arif Keles einen Döner Kebab vorzubereiten.“© Quelle: YouTube/ ZDF Screenshot

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ist zu Besuch in der Türkei. Seine Presseabteilung gibt dazu in regelmäßigen Abständen Informationen heraus: Steinmeier wandelt auf den Spuren türkischer Gastarbeiter.

Das macht zunächst Sinn, denn viele der ab den 1960er Jahren in die alte Bundesrepublik eingewanderten türkischen Männer, die in Deutschland von der Industrie in Empfang genommen wurden, holten ihre Familien nach, schickten ihre Kinder in deutsche Schulen, verwurzelten und blieben in Deutschland.

Es ist müßig, darüber zu spekulieren, was diese Gastarbeiter tatsächlich zum Wirtschaftswunder beigetragen haben und was sie sich hintenherum wieder aus der Sozialkasse genommen haben. Sicher ist, dass diese Gastarbeit für Millionen Türken aus dem hintersten Anatolien aus ärmsten ungebildeten Verhältnissen zum Eilzug Richtung Wohlstand wurde. Nicht wenige Nachfahren dieser Gastarbeiter – heute Deutsche, die sich auch so definieren – haben eine um viele Klassen bessere Ausbildung genossen als ihre Eltern.

Wer noch in den 1970er oder 1980er Jahren einen Türkei-Urlaub gemacht hat und als Deutscher durchs Land reiste, der hat von diesen Gastarbeitern auf Urlaub in ihrer alten Heimat eine Dankbarkeit erfahren, die man kaum in Worte fassen kann. Ein freundliches Zugeneigtsein, dem man sich erst nach etlichen Tees und Leckereien entziehen wollte und konnte.

Davon spricht Steinmeier auch in seinen Reden auf seiner Türkeireise. Er spricht nicht von den Problemen der Folgegenerationen, die heute vielfach auf Sozialhilfe angewiesen sind, die im vom Vater und Großvater hart erschufteten Wohlstand aufgewachsen sind und die sich als türkischstämmige Deutsche in diesem noch von ihren Vätern so geliebten Deutschland nicht richtig zurecht finden wollten und konnten.

Ein tragisches prominentes Beispiel des Scheiterns der Idee einer Integration oder gar Assimilation ist der deutsche Fußballnationalspieler Mezut Özil, der zwischenzeitlich sogar zum Lieblingssammelbild der deutschen Kinder auf den Hanuta-Packungen wurde.

Özils Vater Mustafa war in den 1960er Jahren von der türkischen Schwarzmeerküste nach Gelsenkirchen gekommen, weil es dort gute Arbeit und sehr viel Geld dafür gab. Özils sportliche Karriere war Inspiration nicht nur für türkischstämmige Deutsche. Aber dazu muss man wissen, dass in Özils Familie immer türkisch gesprochen wurde und Özil statt eines Kindergartens eine Vorbereitungsschule besuchte, die mehrheitlich von Kindern türkischen Ursprungs aufgesucht wurde. Heute hat Özil Deutschland den Rücken gekehrt und sich als türkischer Nationalist zu erkennen gegeben.

Die Özil-Geschichte ist deshalb von Belang, weil Özil noch Mitte 2018 bei Steinmeier um Abbitte bat, nachdem er im Vorfeld der Wahlen in der Türkei zusammen mit Präsident Erdogan posiert hatte. Damals sagte Steinmeier nach dem Treffen entgegenkommend, die Geschichte Özils spiegele die Erkenntnis wider: „Heimat gibt es auch im Plural.“ Ein Mensch könne mehr als eine Heimat haben und neue Heimat finden.

Warum sagte Steinmeier das? Weil Özil dem türkischen Präsidenten ein Trikot mit der Aufschrift „Mit Respekt für meinen Präsidenten“ überreicht hatte. Beim Besuch bei Steinmeier nun also das Zugeständnis des deutschen Bundespräsidenten: Du darfst auch Götter neben mir haben. Aber zuletzt wollte Özil nur noch einen Gott und verschwand ohne Gruß in die Türkei.

Jetzt ist ihm Steinmeier quasi hinterhergereist, um überall im Land von Özils Vorvätern Reden zu halten und „typisch deutsches Essen“ zu servieren – zum Essen gleich noch ausführlicher. Eine Rede hielt Steinmeier schon am Bahnhof Sirkeci.

Steinmeier erzählte unter anderem:

„An diesem Bahnhof hier begannen viele Geschichten wie die der jungen Fatma, Geschichten von Neugier und Angst. Von hier sind hunderttausende Türkinnen und Türken in den 1960er Jahren als sogenannte Gastarbeiter nach Deutschland aufgebrochen: Istanbul-München als Direktverbindung – 'Wie klein die Welt doch ist.'“

Und Steinmeier berichtet, was diesen Gastarbeitern dann passiert ist:

„So vieles war neu: eine neue Sprache, neue Nachbarn und Kollegen, eine neue Kultur. Man kann sagen: ein ganzes neues Leben, zwischen Hoffnung und Scheitern.“

Zur Wahrheit gehört hier dazu, dass eben viele Türken lieber bei ihrer alten Kultur blieben und dass viele Fatmas auch nach 40 oder 50 Jahren kaum deutsch sprechen können. Sie bleiben mit ihrer Sprache gefangen in den engen Wohnungen und auf dem Weg zum türkisch sprechenden Gemüsehändler an der Ecke. Leben in einer fremden Welt mit den Problemen der Kinder, die in diese fremde Welt eingetaucht und für die Mutter so kaum mehr erreichbar sind.

Steinmeier befindet:

„Heute leben in unserem Land fast drei Millionen türkeistämmige Menschen, die unsere Gesellschaft mitprägen und -gestalten. Sie haben unser Land mit aufgebaut, sie haben es stark gemacht und sie gehören ins Herz unserer Gesellschaft.“

Wichtig zu wissen: Steinmeier kann hier nur die alten Bundesländer meinen, die neuen Bundesländer sind davon kaum betroffen. Die rührseligen Geschichten des Präsidenten haben in Rostock oder Dresden keine Abnehmer.

Man weiß nicht, ob es Verzweiflung, Unkenntnis oder Hochmut von Steinmeier oder seinen Hofschreibern aus den Redaktionen von „Zeit“ und „Süddeutsche Zeitung“ waren, die dem deutschen Präsidenten in der Türkei auf einem Auswanderer-Bahnhof so einen Unsinn erzählen ließen:

„Vergessen wir aber nicht: Die deutsch-türkische Migrationsgeschichte verlief nicht nur in eine Richtung. Armut und Arbeitslosigkeit trieben im 19. Jahrhundert Handwerker aus Deutschland nach Anatolien. Die Bosporus-Deutschen wurden hier mit offenen Armen empfangen. Inzwischen leben sie in vierter und fünfter Generation in der Türkei.“

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Das ist im Verhältnis zu den gigantischen Integrationsaufgaben, welche die Deutschen im Umgang mit Millionen Türken und türkischstämmigen Deutschen zu bewältigen hatten, ein historischer Unsinn und ein schwer verdrehter Blick auf die Probleme der Türken in Deutschland.

Es steht außer Frage: Die Westdeutschen sind mit ihren Türken über Jahrzehnte auf eine bestimmte Weise gegenseitig versöhnt. Das war noch einmal besonders spürbar, als es zwei weitere große Bevölkerungsveränderungen gab:

Zum einen 1990 mit der Wiedervereinigung, als Westdeutsche und ihre türkisch stämmigen Nachbarn auf die neu ankommenden DDR-Bürger schauten. Das Fremde schweißte das Einheimische weiter zusammen, aber die DDR-Bürger holten besonders schnell auf. Wuchs hier etwas zusammen, das zusammengehörte? Eine interessante Frage auf vermintem Gelände, wenn Volkszugehörigkeit und Kultur eine wichtige Rolle spielen. Wie deutsch ist die DDR-Kultur für einen Westdeutschen? Wie deutsch sind die westdeutschen Türken für einen Ex-DDR-Bürger? Wie stark wirkten die vielen innerdeutschen gemeinsamen Familiengeschichten nach 1990?

Und die zweite große Bevölkerungsveränderung begann 2015 mit der illegalen millionenfachen Massenzuwanderung vorwiegend muslimischer junger Männer, welche alle Deutschen auf eine besonders harte Probe stellten. Die Türken und türkischstämmigen Deutschen übrigens ebenso, nur dass sie ihre Kritik kaum artikulieren können oder wollen, zu sehr sind sie damit beschäftigt, sich von den zugewanderten Glaubensbrüdern abzugrenzen, deren Glauben sie längst nicht mehr im selben Maße praktizieren.

Der integrierte Türkei ist vielfach so wenig muslimisch, wie das Gros der Deutsche christlich ist.

Steinmeier sagte auf dem türkischen Bahnhof:

„Praktisch jeder hier hat einen Onkel, einen Cousin oder eine Schwippschwägerin in Deutschland. Jeder hat eine Geschichte über Almanya zu erzählen.“

Und die Presseabteilung des Präsidenten hat noch mehr Literatur für Steinmeier vorbereitet. Gleich die nächste Rede wurde geschrieben für einen Kulturabend in der Istanbuler Kulturakademie Tarabya, ehemals ein Geschenk des Sultan Abdülhamid II. an das deutsche Kaiserreich.

Für den heutigen Abend in Istanbul mit Blick auf den Bosporus hat sich der deutsche Präsident etwas Besonders einfallen lassen. Er hat deutsches Essen mitgebracht, das er seinen türkischen Gästen in der Türkei servieren will. Und den Koch hat er auch gleich mitgebracht. Aber bevor der Bauch gefüllt wird, muss das Ohr ertragen. Man kann mit Fug und Recht sagen, jeder neue deutsche Präsident will seine Vorgänger in der Kunst der deutschen Selbstaufgabe noch übertrumpfen.

Schockierte Christian Wulff noch mit seiner Aussage, der Islam gehöre zu Deutschland, lässt es die Bundesregierung ein Jahrzehnt später so aussehen, als sei das schon Staatsräson. Aber Steinmeier will das 2024 noch toppen und sich ebenfalls in diese Chronologie der Selbstaufgabe eintragen – mit dem zwar dadaistischen, aber nicht weniger wirkmächtigen Satz an alle türkischstämmigen Menschen in Deutschland:

„Sie sind nicht Menschen mit Migrationshintergrund, sondern unser Land ist ein Land mit Migrationshintergrund!“

Die Tragik hinter all diesen Zuwanderungszyklen sind nicht die Leidens- oder Erfolgsgeschichten der Menschen. Menschen finden immer zum Menschen. Der Mensch ist dem Menschen niemals von selbst ein Wolf. Die Tragik besteht darin, dass jede dieser Entwicklungen ausnahmslos politisch gewollt und gnadenlos inszeniert wurde.

Aber was hat Steinmeier denn nun als typisch deutsches kulinarisches Gastgeschenk mit nach Istanbul gebracht? Was kocht man bloß, wenn die besten deutschen Starköche alle wegen Steuerhinterziehung im Knast sitzen?

Lassen wir den Präidenten selbst erzählen, warum er eine tiefgefrorene Dönerrolle mit im Gepäck hatte:

„Besonders freue ich mich auch darüber, dass mich Arif Keles auf meiner Reise begleitet, der in dritter Generation einen beliebten Dönerladen an der Berliner Yorckstraße betreibt. Der – so habe ich mir sagen lassen – auch der Lieblingsladen unserer eben schon erwähnten Fußballnationalelf ist. Der Döner Kebab, in seiner heutigen Form entwickelt von türkischen Gastarbeitern in Berlin, ist mittlerweile ein deutsches Nationalgericht geworden. Kein Schnellgericht geht in Deutschland häufiger über die Theke, wird öfter verspeist, sogar häufiger exportiert als der Döner Kebab, der es in seiner abgewandelten – man muss sagen ,typisch deutschen' Form – als „Kotti Berliner Döner Kebab“ bis nach New York City geschafft hat. Ein Stück türkisch-deutsche Alltagskultur, die aus unserem Land, aus unserer Küche nicht mehr wegzudenken ist. Ich freue mich, gleich gemeinsam mit Arif Keles einen Döner Kebab vorzubereiten.“

Das muss man sich bildlich vorstellen: Der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier steht in Istanbul am mitgebrachten Berliner Dönerspieß und fragt die hochrangigen türkischen Gäste, ob sie „mit Alles“ und „mit Scharf“ wollen. Steinmeier vollkommen von der Rolle. Aber damit steht er in guter sozialdemokratischer Tradition.

Es gab nämlich schon einmal eine ähnliche Szene aus Goslar, als der damalige deutsche Außenminister Sigmar Gabriel vor laufenden Kameras für seinen türkischen Kollegen – den er zuvor sanft in seine Baumarkt-Gartensessel gedrückt hatte – am Billig-Samowar den Tee-Onkel machte.

Steinmeier konnte heute auch diese Szene noch übertrumpfen. Deutschland hat fertig. Mit Alles. Mit Hühnchen oder mit Lamm? Und eine letzte Frage ganz zum Schluss: Hieß das Döner nicht früher mal Gyros und die Türken haben diese Idee einfach nur den griechischen Gastarbeitern geklaut? Wer weiß mehr?

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